Von Daniel Silberhorn
Frankfurt a.M. (UVG) – Der jüngste IPCC-Bericht hat erneut bestätigt: Es muss sich etwas bewegen für das Klima. Tatsächlich streben unter steigendem Druck aus Finanzwelt und Politik immer mehr Organisationen das Ziel der Netto-Null-Emissionen an. Einfach nur die Emissionen zu reduzieren, reicht jedoch nicht aus. Eine effektive und durchdachte Kommunikation mit verschiedenen Interessengruppen ist dabei wichtig.
Dabei befürchten viele Unternehmen, sich Greenwashing-Vorwürfen auszusetzen. Und tatsächlich ist dies eine reale und nicht zu unterschätzende Gefahr. Wer die Berichterstattung durchsucht, stößt bereits in den ersten Wochen des Jahres 2023 auf zahlreiche Meldungen, die belegen: Gesetzgeber und Behörden gehen derzeit verstärkt gegen Unternehmen vor, die mit positiven Aussagen zu Nachhaltigkeit und Klima punkten wollen, ohne dafür ausreichend Belege vorzuweisen.
Greenwashing aufs Korn genommen
Einige Beispiele: Frankreich verschärfte im Januar die Regeln für Netto-Null-Behauptungen, Australien verhängte eine weitere Geldstrafe, und Großbritannien nahm potenzielles Greenwashing auf Etiketten von Lebensmitteln, Getränken und Toilettenartikeln aufs Korn. Die IPRA, einer der weltweiten PR-Verbände, veröffentlichte Richtlinien für die Kommunikation zum Klimawandel.
Gleichzeitig hat die Europäische Union (EU) im März einen Gesetzentwurf zum Verbot von Greenwashing vorgelegt. Außerdem hatte die EU bereits zuvor die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) eingeführt, die ab 2024 strengere Regeln für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen vorsieht. Und dies ist keineswegs eine vollständige Liste.
Der Begriff ‚Net-Zero‘ (‚Netto-Null‘) tauchte erstmals 2018 in einem Bericht des Weltklimarats (IPCC) auf. Diesem Bericht zufolge müssen alle Länder ihre Kohlendioxidemissionen bis 2050 auf Netto-Null reduzieren, um die globale Erwärmung auf 1,5 °C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Unternehmen können Netto-Null erreichen, indem sie ihren eigenen Ausstoß von Treibhausgasen so weit wie nur möglich reduzieren. Und die verbleibenden Emissionen durch Investitionen in Projekte wie nachhaltige Aufforstung oder erneuerbare Energien kompensieren.
‚Klima-neutral‘ als faules Versprechen?
Angesichts des steigenden Interesses am Thema Klima ist die Behauptung, ‚CO2-neutral‘ oder ‚klima-neutral‘ zu sein, zu einer gern genutzten Botschaft in der Kommunikation geworden. Allerdings werden solche Aussagen auch immer stärker daraufhin hinterfragt, wie die Unternehmen das genau erreichen. Insbesondere die Praxis der Kompensation ist in die Kritik geraten.
Der Einsatz solcher Maßnahmen wird von UN-Experten heftig kritisiert. Sie seien oft mangelhaft oder gar nicht verifiziert und ersetzten dabei meist die effektive Reduzierung der Emissionen. Jüngeren Berichten zufolge könnten mehr als 90 % der Kohlenstoffkompensationen eines der weltweit größten Anbieter von Zertifikation praktisch wertlos sein. Und damit unter Umständen sogar schädlich für das Klima.
Tatsächlich mangelt es laut einer Studie des Thinktanks NewClimate Institute und Carbon Market Watch selbst bei führenden Unternehmen an Glaubwürdigkeit und an Transparenz. Ein Fazit des Berichts: Die Realität entspräche oft bei weitem nicht den Versprechungen der Unternehmen.
Das bedeutet: Unternehmen sind gut beraten, sich nicht zu sehr mit dem Etikett ‚klima-neutral‘ zu zieren, wenn diese Behauptung in hohem Maße auf Kompensationen beruht. Wie können Unternehmen aber sicher sein, dass sie sich in der Kommunikation auf sicherem Terrain bewegen?
‚Net Zero‘ nach SBTi als aktueller Standard
Die Klimaagenda wird von zahlreichen Interessengruppen vorangetrieben. Dabei war das Pariser Abkommen von 2015 Initialzünder für zunehmenden Druck und steigende Erwartungen aller Interessengruppen. Im Jahr 2017 entwickelte die Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) Risikomanagementpläne und integrierte das Thema Klima in die Finanzberichterstattung.
Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) liefert regelmäßig die umfassendsten wissenschaftlichen Bewertungen zum Klimawandel, seinen Auswirkungen und zu erwartenden künftigen Risiken. Mit dabei: Optionen für alle Sektoren, durch die sich die Geschwindigkeit des Klimawandels abbremsen lassen soll.
Auf der Grundlage der wissenschaftlichen IPCC-Reduktionsziele hat ein weiterer wichtiger Akteur, die ‚Science Based Targets‘-Initiative (SBTi), feste Kriterien für Net Zero-Ziele festgelegt. Die SBTi ist eine Kooperation von Carbon Disclosure Project, dem United Nations Global Compact, dem World Resources Institute (WRI) und dem World Wide Fund for Nature (WWF). Dementsprechend stimmen deren Kriterien mit den globalen Klimazielen überein und qualifizieren so die Pläne von Unternehmen. Diese ambitionierten Kriterien sollen dabei nicht nur den Klimawandel bekämpfen, sondern auch Innovation vorantreiben und nachhaltiges Wachstum ermöglichen.
Welche Kommunikation ist glaubwürdig?
Bis Anfang 2023 haben bereits 1.625 Unternehmen SBTi-Netto-Null-Verpflichtungen abgegeben. In jüngerer Zeit beispielsweise HeidelbergCement, eon, P&G, Linde, easyJet und VW.
Eine solche SBTi-konforme Verpflichtung bietet eine glaubwürdige Grundlage, um über Klimaziele zu sprechen. Und fast hätte es schon im März 2023 noch engere Verpflichtungen gegen Greenwashing gegeben: Das EU-Gesetz gegen Greenwashing sollte ursprünglich sogar eine Lebenszyklusanalyse verlangen, die die Auswirkungen eines Produkts von den Rohstoffen bis zur Entsorgung bewertet.
Natürlich reicht es nicht, sich einfach ein Net-Zero-Ziel zu setzen. Anfang 2020 machte Microsoft noch groß Schlagzeilen damit, bis 2030 sogar mehr CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen, als das Unternehmen ausstößt. Heute wird mehr verlangt. So fordern etwa die Vereinten Nationen: „Verpflichtungen müssen durch mutige, glaubwürdige Maßnahmen untermauert werden“. Einmal mehr gilt: Taten sagen mehr als Worte. Aber was genau ist dabei glaubwürdig?
Einfach ausgedrückt: Unternehmen müssen zeigen, wo sie stehen (Basis), wo sie hinwollen (Ziele) und welche Schritte sie wann unternehmen (Roadmap). Auf diesem Weg müssen sie regelmäßig und transparent Rechenschaft über ihren Fortschritt ablegen. Und sie müssen von Anfang an in den Dialog mit ihren Interessengruppen treten und ihre Mitarbeitenden effektiv führen.
Transformation braucht Kommunikation
Tatsächlich scheitern viele Transformationsprojekte an mangelnder Kommunikation. Und Nachhaltigkeit erfordert viele Veränderungen, das steht außer Frage. 1995 brachte John P. Potter die wichtigsten Führungsfehler bei Veränderungen mit mangelnder Kommunikation in Verbindung: Kein ausreichendes Bewusstsein für die Dringlichkeit werde geschaffen, keine ausreichend starke interne Koalition, keine klare Vision, die die Richtung vorgibt, und zu wenig Kommunikation über die Vision.
Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden in Planung und Gestaltung einbeziehen und frühzeitig eine starke interne Koalition aus den wichtigsten beteiligten Abteilungen bilden, sichern sich einerseits Zugang zu allen relevanten Perspektiven und Expertise. Außerdem fördert ein inklusives Vorgehen das ‚Buy-in‘: Dass also möglichst viele mitziehen bei der Umsetzung der Netto-Null-Strategie.
Andernfalls könnten die Bemühungen zum Scheitern verurteilt sein. Schließlich müssen dauerhaft Veränderungen im Verhalten und Bewusstsein erreicht werden. Unternehmen müssen daher sorgfältig darüber nachdenken, wie sie ihre Bemühungen in die Alltagskultur integrieren.
Einige Fragen können dabei sein: Wie sehr sind nachhaltige Werte Teil des Onboardings? Der regulären internen Kommunikation? Welche Strukturen und Anerkennung für nachhaltige Innovation und verantwortungsbewusstes Verhalten gibt es intern? Sind Boni mit Nachhaltigkeitszielen verbunden?
Extern kann ein Engagement in passenden Allianzen und Initiativen die eigene Glaubwürdigkeit erhöhen. Zu nennen wären beispielsweise die von den Vereinten Nationen unterstützten Kampagne ‚Race to Zero‘ oder die branchenübergreifende ‚Transform to Net Zero‘. Nachhaltigkeitsratings und -bewertungen wie EcoVadis oder des gemeinnützigen Carbon Disclosure Projects (CDP) sorgen für ein gewisses Maß an Objektivität und Vergleichbarkeit innerhalb und zwischen den Branchen.
Fünf Empfehlungen für eine erfolgreiche Net Zero-Kommunikation:
- Wissenschaftlich fundierte Klima-Ziele: Unternehmen sollten sich Ziele setzen, die sich an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und bewährten Verfahren orientieren, wie z. B. dem SBTi. Das sorgt für ambitionierte, glaubwürdige Ziele und Akzeptanz bei den Stakeholdern.
- Transparentes und glaubwürdiges Reporting: Unternehmen sollten regelmäßig über ihre Emissionen, Reduktionsziele und Fortschritte berichten und dabei anerkannte Rahmenwerke und Standards wie die Global Reporting Initiative und das Carbon Disclosure Project nutzen.
- Offene und stetige Kommunikation: Die Nachhaltigkeitsbemühungen sollten Teil der regelmäßigen Unternehmenskommunikation sein. Klare Sprache und gut aufbereitete, detaillierte Daten helfen, die Fortschritte verständlich und nachvollziehbar aufzuzeigen.
- Stakeholder einbeziehen: Nachhaltigkeit ist eine Chance für Dialog. Dies kann dazu beitragen, Unterstützung und Zustimmung für Initiativen zu sichern und zeigt den Stellenwert von Nachhaltigkeit – am besten auf Basis eines soliden Narrativs und authentischen Storytellings
- Greenwashing vermeiden: Kommunikation muss korrekt und wahrheitsgemäß sein und darf nicht in die Irre führen. Dafür müssen Umfang und Grenzen klar sein, Aussagen konkret und nachprüfbar. Erste Orientierung bieten Kommunikationsrichtlinien wie die der IPRA.
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