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Sexuelle Belästigungen im Wissenschaftsbetrieb

Foto: Jen Theodore auf Unsplash

Was Hochschulen dagegen unternehmen (sollten)

Berlin (csr-news) – Während sich die Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen einen Gelsenkirchener Professor ausweiten, gerät die Frage nach den Gegenmaßnahmen der Hochschulen in den Fokus der öffentlichen Diskussion.

Am Dienstag hatte die WAZ (Funke Mediengruppe) berichtet, dass ein Professor an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen über mehrere Jahre männliche Studierende bedrängt und teilweise sexuell belästigt haben soll (> unsere Meldung dazu). Das berichteten sechs Betroffene gegenüber der Zeitung, bei der sich inzwischen auch zwei ehemalige Studierende einer anderen Hochschule meldeten: Dort hatte der Professor ebenfalls gelehrt und die Studierenden erlebten Ähnliches. In der Presse wir nun die Verantwortung der Hochschulen diskutiert – auch mit Verweis auf den im Januar vorgelegten Gender-Report 2022 der nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerin Ina Brandes.

Status Quo in Nordrhein-Westfalen unklar

„Viele Hochschulen haben ihre Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung intensiviert und bspw. den Zugang zu Ansprechpersonen und Beschwerdeverfahren ausgebaut“, heißt es darin. „Richtlinien gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt werden jedoch erst in Ansätzen hin zu einem umfassenden Diskriminierungsschutz weiterentwickelt.“ Dabei geraten auch hochschulinterne Abhängigkeitsverhältnisse in den Blick: „Insbesondere die Kunsthochschulen ergreifen verschiedene Präventions- und SensibiIisierungsmaßnahmen, um Machtmissbrauch vorzubeugen und hochschulinterne Abhängigkeitsverhältnisse diskriminierungsarm zu gestalten.“ An vielen Hochschulen würden Beschwerdestellen und Fortbildungen zur sexualisierten Gewalt angeboten. Ob diese niedrigschwellig erreichbar seien und wie sie genutzt würden, bleibe jedoch unklar, so der Bericht weiter.

Fast jeder Dritte in Wissenschaft und Forschung betroffen

Geschlechtsbezogene Gewalt in Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist Gegenstand des Forschungsprojekts UniSAFE. Das am Leibnitz-Institut für Sozialforschung angesiedelte Projekt will eine Wissensbasis für die Entwicklung effektiver Interventions- und Präventionsmaßnahmen an Wissenschaftseinrichtungen schaffen. In der ersten Jahreshälfte 2022 führte das Institut eine Umfrage zu geschlechtsspezifischer Gewalt in Wissenschaft und Forschung durch, an der 42.000 Studierende und Mitarbeitende aus 15 europäischen Ländern teilnahmen. Zentrale Ergebnisse: Nahezu ein Drittel der Befragten haben in ihren Wissenschaftsinstitutionen sexuelle Belästigungen erlebt, sechs Prozent erlebten körperliche und drei Prozent sexualisierte Gewalt. Jedoch haben nur 13 Prozent der Befragten ihre Erlebnisse berichtet.

Machtgefälle in den Fokus nehmen

Der Würzburger Wirtschaftsethiker Harald Bolsinger rät angesichts dieser Zahlen dazu, das Machtgefälle zwischen Lehrpersonen und Studierenden in den Fokus zu nehmen. „Wichtige Notengebung sollte nur in begründeten Ausnahmefällen von einer einzelnen Lehrperson abhängig sein! Allein durch die Forderung nach Zweitkorrekturen kann schon einiges an potenzieller Abhängigkeit beseitigt werden. Auch die Anonymisierung von Klausuren vor der Korrektur sind hilfreich“, so Bolsinger, der an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) lehrt. „Nicht alle Hochschulen haben sich über solche Instrumente bereits Gedanken gemacht.“

Sexuelle Belästigung auch unter Studierenden

„Sexuelle Belästigung kann an Hochschulen und Universitäten in ganz unterschiedlichen Formen auftreten“, berichtet die Journalismus-Professorin Tong-Jin Smith, die an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin lehrt und zugleich als Frauenbeauftragte tätig ist. „Zum einen erleben wir, dass eher männliche Lehrende verbal und physisch Grenzen überschreiten mit homophoben, mysogynen und anderen diskriminierenden Äußerungen bis hin zu Annäherungsversuchen oder Handgreiflichkeiten gegenüber Studierenden und Mitarbeitenden.“ Fast immer werde dabei ein – tatsächliches oder angenommenes – Machtgefälle ausgenutzt.

Der Frauenbeauftragten liegen verschiedene Beschwerden von überwiegend weiblichen Studierenden vor, die sich nicht alle gegen Lehrende richten. „Wir haben mehrere Fälle von sexueller Belästigung unter Studierenden zu verzeichnen. Darunter ein Fall, in dem ein Student mehrere Kommilitoninnen im Gruppenchat der Studiengruppe mit seinen sexuellen Fantasien überzogen, beleidigt und bedroht hat.“ Solche Erfahrungen zeigen bei einigen Betroffenen deutliche negative Auswirkungen. „Es ging so weit, dass sich einige der Frauen nicht mehr in die Hochschule getraut haben und ungern im Dunkeln nach Hause gegangen sind“, so Smith.

Wie viele andere Hochschulen gebe es an der HMKW für solche Fälle keine klaren Richtlinien und kein Präventionsprogramm, daher sei ihr Team gefordert. „Zum einen müssen wir einen Code of Conduct entwickeln, der in Anbetracht der internationalen Studierenden und Lehrenden an unserer Hochschule entsprechend gut und interkulturell kommuniziert wird. Wir beziehen in diesem Prozess auch Studierende ein und entwickeln gemeinsam Ideen, wie man einen hochschulweiten Verhaltenskodex implementieren kann“, so die Journalismus-Professorin. Dazu gehörte es zu lernen, ganz offen die eigenen Grenzen zu kommunizieren. „Denn die Überschreitung der roten Linie ist zum Teil eine persönliche Frage. Zum anderen brauchen wir Standards im Umgang mit Fällen von sexueller Belästigung. Dazu gehört auch, dass alle darüber aufgeklärt werden, wann etwa eine Straftat vorliegt und wie man damit umgeht.“

Dass die deutliche Mehrheit der Betroffenen ihre Erfahrung für sich behalte, will die Frauenbeauftragte nicht stehenlassen. Smith: „Ich kann in diesem Zusammenhang Betroffene nur ermutigen, die verantwortlichen Stellen an Hochschulen wie Anti-Diskriminierungs-, Gleichstellungs- und Frauenbeauftragte im akuten Fall zu kontaktieren und sich nicht zu schämen.“


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