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Komplexität und Resilienz

Foto: Taylor Deas-Melesh auf Unsplash

Herausforderung und Chance für Institutionen und Individuen. Ein Beitrag zum 38. MAGAZIN

Wir leben in einer Zeit zunehmender Komplexität. Um ihr zu begegnen und Antworten auf die drängenden Fragen des 21. Jahrhunderts zu finden, brauchen wir eine krisenresiliente Gesellschaft. Aber wie entsteht Resilienz? Denkanstöße zur sozialen und institutionellen Transformation – von der Schule bis ins Unternehmen.

Von Tong-Jin Smith

Schon vor zehn Jahren sprach sich die Unesco dafür aus, die Resilienz von Bildungssystemen zu stärken, Krisenprävention und Friedensbildungsmaßnahmen in bildungspolitische Entscheidungen einzubeziehen – lange vor Covid-19, den Lockdowns, dem Krieg in der Ukraine und der drohenden Energiekrise. Laut Leonora MacEwan vom International Institut for Educational Planing könne die Integration von Maßnahmen zur Verringerung von Konflikt- und Katastrophenrisiken in die Bildungspolitik, -pläne und -programme Ländern helfen, die Vorhersage, Verhinderung und Bewältigung von Konflikten und Katastrophen zu stärken. Aber was genau bedeutet das? Wie kann man nicht nur Bildungssysteme stärken, sondern auch Menschen und Unternehmen? Und welche Kompetenzen werden dafür benötigt?

Resilienz ist laut der Studie „Zukunftskraft Resilienz – Gewappnet für die Zeiten der Krise“ des Frankfurter Zukunftsinstituts die „dynamische Kombination aus Stabilität (Identität, Sicherheit, Verlässlichkeit) und Flexibilität (Beweglichkeit, Offenheit, Kreativität)“. Aus dieser Definition leiten die Autor:innen für die Sphären Planet, Mensch, Gesellschaft und Wirtschaft verschiedene To-Dos ab und identifizieren als zentrale Voraussetzung für mehr Resilienz einen Bewusstseinswandel, der die Entwicklung einer „höheren sozialen Rationalität“ voraussetzt sowie eine neue „Wir-Komplexität“, die Emotionalität anerkennt, sinnstiftend ist und Kreativität fördert. Ganz nach dem Motto: „Individuelle Resilienz kann nur gelingen, wenn der Mensch sich wieder als soziales Wesen begreift.“

Resilienz ist keine Privatsache

Gleichzeitig proklamieren sie, dass Resilienz keine Privatsache sei. Individuelle, organisationale und gesellschaftliche Resilienz müssten stets zusammen gedacht werden. So gesehen beginnt der Weg zur resilienten Gesellschaft in der Familie und erstreckt sich über das Bildungsystem, Unternehmen, Vereine, Parteien und andere Institutionen in die Gesellschaft. Sie kann als Antwort auf die zunehmende Komplexität verstanden werden, die laut Trend- und Zukunftsforscher Harry Gatterer in vielen Bereichen deutlich an Geschwindigkeit zunimmt. Auch auf den Krisenmodus, den Gesellschaftsforscher:innen in der Netzwerkgesellschaft als „New Normal“ bezeichnen, kann die resiliente Gesellschaft Antworten finden. Die aktuellen Krisen – von Corona bis Klima – zeigen schon, wie wichtig es ist, auf die zunehmende Ungewissheit und Unsicherheit mit klugen systemischen und intersektoralen Kompetenzen und Konstellationen zu antworten.

Dazu zählt vor allem demokratische Resilienz, denn Krisen wie die Folgen von Naturkatastrophen, Pandemien oder Kriegen fordern schnelle politische Entscheidungen, die zum Teil in die bürgerlichen Grundrechte eingreifen oder eine staatliche Regulierung des Marktes bedeuten. Die überlicherweise langwierigen Entscheidungs- und Gesetzgebungsprozesse liberaler Demokratien sind wenig geeignet, um auf Krisen dieser Art zeitnah zu reagieren. Und so können sich Autokratisierungstendenzen einschleichen, weil die „Checks & Balances“ parlamentarischer Prozesse nicht greifen und die Exekutive ihre Macht schlimmstenfalls ungebremst ausweiten kann – so wie in Ungarn oder anderen semi-autoritären Staaten. „Auch wenn viele Demokratien die letzten zwei Jahre überstanden haben, ohne demokratische Prinzipien aufzugeben, sind die mittel- bis langfristigen Folgen der Pandemie für demokratisches Regieren derzeit noch nicht absehbar“, schreibt Sebastian Hellmeier, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin. Man denke nur an das aktuelle „Machtwort“ von Olaf Scholz in Sachen Atomkraftwerkelaufzeit.

Nicht immun gegen Autokratisierung

Keine Demokratie sei vollständig immun gegen Autokratisierung, so Sebastian Hellmeier. Die Stärkung ihrer Resilienz sei daher eine dauerhafte und mitunter mühsame Aufgabe, die sich aber lohne. Stichwort: Demokratiebildung. Denn eine aktive Zivilgesellschaft sei ein gutes Mittel, „die Widerstand gegen die Erosion der Demokratie leistet und die sich Politiker:innen, die demokratische Normen brechen, an der Wahlurne oder notfalls auf der Straße entgegenstellt.“ Auch Politiker:innen könnten beitragen, indem sie ihre Anhänger:innen mobilisierten, ohne auf eine toxische Polarisierung von „die“ und „wir“ zu setzen – das Gegenteil von dem, was gerade bei den Wahlen in Italien, Schweden oder auch Niedersachsen zu beobachten war.

Diese toxische Polarisierung könne als Anzeichen für die Rückkehr des Faschismus verstanden werden. „Hier kippt gerade was“, kommentiert Publizist Georg Diez in Deutschlandfunk Kultur. „Und was wir erleben, unterscheidet sich von dem, was noch vor einiger Zeit als autoritäre oder rechtspopulistische Tendenzen bezeichnet wurde. Es ist radikaler, aggressiver, selbstsicherer – angetrieben durch die wachsende Ungleichheit, wachsende Ängste, größere gesellschaftliche Anspannung.“ Politiker:innen müssen also, wie Sebastian Hellmeier fordert, „einige der derzeit diskutierten Kernursachen der Autokratisierung wie wachsende ökonomische Ungleichheit angehen.“

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Dr. Tong-Jin Smith
ist Hochschuldozentin und Publizistin. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.


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