Ab März verpflichtet die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) der Europäischen Union auch Versicherungsmakler, ihre Kunden zu Nachhaltigkeitsaspekten zu beraten. Das soll gerade in dieser Branche Veränderungen anstoßen: Denn Verbrauchern ist das Nachhaltigkeitspotential auf dem Versicherungsmarkt weitgehend unbekannt. Das Problem: Gleiches gilt auch für die Makler. Und von den derzeit 362 Leben-, Kranken-, Schaden- und Rückversicherern in Deutschland sind nach Einschätzung der Greensurance Stiftung aktuell erst bis zu fünf Prozent auf einem Weg der nachhaltigen Entwicklung.
Von Achim Halfmann
Und mit diesem Weg ist gemeint, dass sich Versicherungen in ihrem Kerngeschäft nachhaltig positionieren – nicht nur mit energieoptimierten Hauptverwaltungen oder dem Einsatz von Recyclingpapier. „Die Betriebsökologie ist in der Versicherungsbranche nicht das entscheidende, sondern entscheiden sind das Kerngeschäft und die Produkte“, sagt Anna Schirpke, Geschäftsführerin der Greensurance Stiftung.
Nachhaltigkeitshebel der Versicherungen
Die 2014 gegründete gemeinnützige GmbH will deshalb Verbraucher informieren, Versicherungsmakler schulen und Versicherungen anhand von Nachhaltigkeitskriterien bewerten. Mit ihren Kapitalanlagen verfügen Versicherungen über einen gewaltigen Nachhaltigkeitshebel. „Zum nachhaltigen Investment gibt es bereits einige Studien und Kriterien“, berichtet Schirpke.
Kaum im Blick sei jedoch der zweite große Nachhaltigkeitshebel: das Schadensmanagement. Allein die Schaden- und Unfallversicherer zahlen jährlich 53 Mrd. Euro aus. Wenn dabei Nachhaltigkeitsaspekte beachtet würden, ließe sich viel erreichen. „Bei der Wiederbeschaffung oder Reparatur zum Beispiel im Wohngebäudebereich nach einem Schadenfall könnten ein Energieberater oder Sachkundiger zum Hochwasserpass hinzugezogen werden“, so Schirpke.
Mit dem „Underwriting“ – der Entscheidung darüber, welche Risiken versichert werden – identifiziert die Greensurance Stiftung einen dritten Nachhaltigkeitshebel. „Eine Frage ist etwa, ob und unter welchen Bedingungen künftig noch Kohlekraftwerke oder Massentierhaltung versichert werden“, sagt Schirpke.
Nachhaltigkeits-Indikatoren-System für Versicherer
Das Ziel des noch bis Oktober laufende zweijährige Projekt „NATIVE“ ist die Entwicklung eines Nachhaltigkeits-Indikatoren-Systems für die Versicherungsbranche. Das Projekt ist bei der Greensurance Stiftung angesiedelt, gefördert wird es durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und wissenschaftlicher Projektpartner ist die Hochschule für Technik Stuttgart.
Im Anschluss an die Entwicklung der Kriterien sollen in dem Projekt bis zu 30 große, mittlere und kleine Versicherer bewertet werden. Schirpke: „Wir beziehen bewusst auch die kleinen Unternehmen und StartUps mit ihrem hohen Veränderungspotential ein.“ Basis des Ratings werden Nachhaltigkeitsberichte und öffentlich verfügbare Informationen bilden. Zudem werden den Versicherern Fragen zugesandt. Aus den Ergebnissen des Ratings soll zudem ein Tool entstehen, das Versicherungsmakler bei der Beratung ihrer Kunden zu nachhaltigen Produkten unterstützt.
Neupositionierung und politische Regulierung
Seitens der Hochschule für Technik Stuttgart ist Prof. Tobias Popović an “Native” beteiligt. Der Experte für Sustainable Finance sieht bei den Versicherungen – anders als im Bankenwesen – noch wenig Bewegung: „Bei Banken hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Dort gibt es Vorreiter, die sich in der Global Alliance for Banking on Values zusammengeschlossen haben.“ Allerdings hat sich der Gesamtverband der deutschen Versicherer im Januar zu Nachhaltigkeitsthemen positioniert, und diese Positionierung weise in die richtige Richtung. Popović: „Über die im Januar veröffentlichte Nachhaltigkeitspositionierung der deutschen Versicherer war ich positiv überrascht. Die Versicherungsbranche hatte ich vorher eher zurückhaltend und wenig proaktiv wahrgenommen.“
Angesichts zunehmender Regulierungen – etwa der EU Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) – rät Popović den Versicherern, aus der “Regulierungsnot” eine Tugend zu machen. “Es geht darum, neue Geschäftsmodelle zu erfinden und Transformation durch Innovation voranzubringen. Es geht auch darum, durch innovative Produkte Marktlücken zu erschließen, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit zu verbinden und neue Ertragsquellen zu erschließen. Versicherer sollten chancenorientiert denken“, sagt der Wissenschaftler.
Bewegung bei Kapitalanlagen – Stillstand auf Produktebene
Bei der Transformation der sozialen Marktwirtschaft in eine sozial-ökologischen Marktwirtschaft seien Versicherungen ebenso ein wichtiger Akteur wie bei der Unterstützung von Kunden in einem nachhaltigen Handeln, so Popović. Dabei hat auch er die großen Hebel der Branche im Blick: „Der Kapitalanlagebereich der Versicherungsbranche steht bereits länger im Fokus. Hier gibt es unterschiedliche Rahmenwerke, die zur Orientierung dienen können. Zudem unterstützen einige Versicherer sowie nun auch der GDV Initiativen wie z.B. die UN Net-Zero Asset Owner Alliance. Im Nicht-Leben-Bereich der Versicherungswirtschaft fehlen bislang solche Nachhaltigkeitsimpulse weitgehend.“
Während in die Transparenz zu Kapitalanlagen Bewegung gekommen sei, passiere bei den Sachversicherungen auf Produktebene noch wenig. Popović weiter: “Hier könnten die Versicherer Anreize setzen, dass sich Kunden nachhaltiger verhalten: Bei Verbrauchern sehen wir eine Attitude-Behavior-Gap. Bei der Wiederbeschaffung eines Fahrzeugs etwa könnten Versicherer die klimafreundlicheren Varianten fördern. Bei einem Totalschaden könnte ein SUV mit hohem CO2-Fußabdruck ja auch klimafreundlicher ersetzt werden.“
Mangelhafte Datenlage
Carsten Zielke wirkt an der Revision der sogenannten Non-financial reporting Direktive (NFRD) für Finanzinstitute in Europa der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) mit. In seinem Unternehmen Zielke Research Consult analysiert er seit Jahren die deutschen Versicherer in Bezug auf Nachhaltigkeit. „Versicherer sind die größten Kapitalanleger in Europa. Gemeinsam mit den Banken finanzieren sie fast die gesamte Wirtschaft“, sagt Zielke.
Bei der Ermittlung des Status Quo zum Klimaschutz stoßen Unternehmen im Hinblick auf ihre Kapitalanlagen und die versicherten Risiken schnell an Grenzen. „Wieviel verschmutze ich mit meinen Kapitalanlagen? Wieviel verschmutze ich mit den von mir gezeichneten Risiken? Tatsache ist, dass Versicherer heute weder das eine noch das andere wissen“, so der Kapitalmarktexperte. Das solle sich allerdings mittelfristig ändern: „Seitens der EU ist eine Emissionsdatenbank zu allen Industriezweigen geplant. Deren Umsetzung wird noch zwei Jahre dauern.“ Damit Versicherer mit vorliegenden Daten arbeiten können, müssen diese vergleichbar sein. „Im Blick auf die Qualität der Umweltdaten kristallisiert sich in Europa eine Standardisierung heraus. Bisher werden CO2-Emissionen mit verschiedenen Mess-Systemen erfasst, und es geht ja nicht nur um CO2. Das ist ein Lernprozess, der Zeit braucht“, sagt Zielke.
Optimierungspotential in der Berichterstattung
Wenn dann Daten verfügbar und vergleichbar sind, geht es um eine transparente und verlässliche Berichterstattung. Zielke: „Die Nachhaltigkeitsberichte deutscher Versicherer sind zu den Bereichen ‚Social‘ und ‚Governance‘ gut ausgearbeitet. Der ‚Environment‘ ist noch ausbaubar.“
Eine EFRAG-Taskforce, in der Zielke mitwirkt, hat ein “Proposal for a relevant and dynamic EU sustainability reporting standard-setting” erarbeitet und im Februar vorgestellt. „Der EFRAG-Report schlägt ein einheitliches Berichtserstattungsschema mit standardisierten Anlagen vor. Mehrere Berichte eines Unternehmens führen zu Verwirrung und Intransparenz“, sagt Zielke.
Engagement und Umsteuerung
Die Europäische Kommission zielt mit ihrem im Dezember 2019 vorgestellten “European Green Deal” auf eine grundlegende Reform der Realwirtschaft, durch die europäische Netto-Emissionen von Treibhausgasen bis zum Jahr 2050 auf null reduziert werden. „Den Transformationsprozess mitzugestalten, ist die größte Herausforderung für die Versicherungswirtschaft, und da sind sie lange noch nicht.” Zielke weiter: “Es gibt nicht viele von vornherein grüne Investitionsoptionen. Versicherungen und Banken müssen daher abwägen, ob sie in ein Unternehmen investieren, dass sie hin zu einem nachhaltigeren Wirtschaften beeinflussen können. Das braucht einen Engagement-Prozess. Mehr noch: Das geht bereits in Richtung Impact-Investment. Zudem haben viele Versicherer dafür keine ausreichende Bilanzsumme.”
Und auch beim Underwriting sieht Zielke baldigen Handlungsbedarf: „Versicherer haben sich noch nicht vergegenwärtigt, dass sie nach EU-Recht demnächst angeben müssen, wie viel ihres Prämieneinkommens sie mit verschmutzenden Geschäften verdienen. Dahingehend werden sie in kürzerer Zeit eine Geschäftssteuerung vornehmen müssen.“
Klimastiftung Schweiz
In Sachen Klimaverantwortung ist in der Schweiz die Klimastiftung Schweiz ein wichtiger Akteur. Nach dem Prinzip „Von der Wirtschaft für die Wirtschaft und fürs Klima“ spenden 26 Partnerunternehmen – vor allem Versicherungen und Privatbanken – ihre Rückerstattung aus einer CO2-Lenkungsabgabe an die Klimastiftung, die damit kleine und mittlere Firmen bei ihren Klimaschutz-Innovationen und Energieeffizienz-Projekten unterstützen.
Präsident des Stiftungsrates der Klimastiftung Schweiz ist Thomas Hügli. „Mit Blick auf Klimastrategien sind Versicherungen bei ihrem unmittelbaren ökologischen Fußabdruck aus ihrer Betriebs- und Verwaltungstätigkeit gut aufgestellt und in Richtung Klimaneutralität unterwegs”, sagt Hügli – und verweist darüber hinaus ebenfalls auf die Klimaverantwortung im Investment und beim Underwriting: “Klimastrategien sollten aber weitergehen und auch das Erderwärmungspotential der Investments messen, darin liegt die größere Herausforderung. Mittel- und langfristig rückt dann auch der CO2-Abdruck der Kunden in den Fokus.”
Das Thema Nachhaltigkeit sei bei den großen Versicherern angekommen, so Hügli weiter. Zunächst hätten Versicherer die Aktivseite ihrer Bilanzen – die Anlagen – in den Blick genommen. Inzwischen gehe es auch um die Passivseite mit dem klassischen Versicherungsgeschäft und der Frage nach Ausschlusskriterien für Abschlüsse. “Das reicht aber nicht: Versicherungen wenden sich vermehrt einer Green Business Strategy zu – nicht nur Underwriting-Ausschlüsse, sondern zum Beispiel auch nachhaltige Produkte und Dienstleistungen.“
Biodiversität als Klimathema
Für unzureichend hält Hügli zudem die Fixierung auf den CO2-Ausstoß. Andere Themen hätten ebenso Auswirkungen auf den Klimawandel – etwa die Biodiversität. “Hier öffnen sich den Versicherungen viele spannende Projekte als Ökosystemversicherer. Ich denke etwa an bereits bestehende Versicherungen von Korallenriffen vor Hotelanlagen in Mexiko gegen Sturmflutrisiken oder auch Mangrovenwälder, welche die Wucht von Flutwellen brechen. Zugleich beherbergen Mangroven im wahrsten Sinne des Wortes eine hohe Biodiversität, sind sie doch gerade für Fische Brut-, Aufzuchts- und Zufluchtsort zugleich. Wir brauchen eine systemische Perspektive, die Klima und Biodiversität zusammendenkt.”
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen begünstigten ein nachhaltiges Versicherungsengagement. Hügli: „Jetzt ist die Zeit reif für das Thema, die Politik setzt Rahmenbedingungen und der Kunde verlangt vermehrt danach. Da könnten Unternehmen mutiger und kreativer sein, wenn es um die Entwicklung nachhaltiger Versicherungsangebote geht.“
Herausforderung Reporting
Zu den deutschen Versicherern, die sich früh mit der Nachhaltigkeitsverantwortung auseinandersetzten, gehört die Barmenia. Stephan Bongwald ist deren Nachhaltigkeitsbeauftragter. „Wir sind seit 2015 im Bereich der Hauptverwaltung mit 1.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern klimaneutral gestellt – mitsamt mit Server und Mitarbeiterrestaurant sowie Geschäftsreisen. Seit 2013 verwenden wir Ökostrom. Seit 2010 haben wir unsere CO2-Emissionen erheblich reduziert.“ Die Barmenia kommuniziert ihr Engagement in Nachhaltigkeitsberichten. Bongwald weiter: „Seit 2015 berichten wir nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex. Unsere Erfahrungen damit geben wir gerne weiter. Seit 2009 veröffentlichen wir Nachhaltigkeitsberichte, vorher nach GRI.“
Die Verpflichtungen zur nicht-finanziellen Berichterstattung setze Unternehmen durch den sehr engen Zeitrahmen erheblich unter Druck. ” Bei der Erhebung unserer CO2-Bilanz ist es nicht einfach, schnell an die entsprechenden Daten von externen Partnern, z. B. bei angemieteten Immobilien, zu kommen“, sagt Bongwald.
“Versicherungshebel” in der Praxis
Wie steht es um die bereits genannten Hebel der Versicherungen zu einer Transformation der Wirtschaft? Etwa im Investment? „An Bedeutung gewonnen hat das Impact Investing.“ Bongwald weiter: „Die Principles for Responsible Investment – PRI – haben wir 2014 gezeichnet, als dritter deutscher Versicherer überhaupt. Im September 2019 haben wir unsere Ausschlusskriterien nachgeschärft und die Kriterien des UN Global Compact zugrunde gelegt. Die Wahrung der Menschenrechte spielt für uns als menschenfreundlichen Versicherer eine besondere Rolle.“
Im Blick auf die Regulierungen verweist der Nachhaltigkeitsbeauftragte darauf, dass etwa in der Hausratversicherung im Schadensfall seit Langem die Kosten für die Wiederbeschaffung eines Haushaltsgerätes der höchsten Effizienzklasse erstattet werde. Erdwärmeanlagen würden bei den Gebäudeversicherungen in die Neuwertversicherung eingeschlossen. “Und bei Handyversicherungen wird nicht einfach ein neues Gerät beschafft, wenn sich das alte noch reparieren lässt.“
Zur Produktebene verweist Bongwald auf den Bereich Leben: „In der Rentenversicherung bieten wir seit über 10 Jahren Nachhaltigkeitsfonds an.“
Neue Zeit mit neuen Möglichkeiten
Und auch für Bongwald sind es die politischen Rahmenbedingungen, die ein nachhaltiges Versicherungsengagement befördern: „Die EU-Verordnungen fordern Transparenz dazu ein, wie Investitionen auf das Ziel eines Umbaus zu einer klimaneutralen Wirtschaft einzahlen. Damit schafft die EU die notwendigen Rahmenbedingungen und Klarheit für Finanzdienstleister. Das schafft auch neue Möglichkeiten für die Versicherungsbranche.“
Vieles spricht für den Optimismus, den Greensurance-Expertin Anna Schirpke vermittelt: „Ich beobachte, dass die Versicherungsbranche gerade aufwacht. In den nächsten zwei Jahren wird sich einiges tun.“
Achim Halfmann
ist Journalist und Medienpädagoge und lebt im Bergischen Land.
achim.halfmann@csr-news.net
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