Der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU) macht in seinem Gutachten „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ deutlich, dass wir angesichts der drängenden sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit tiefgreifende Veränderungen in unserer Gesellschaft brauchen. (1) Denn nur somit können wir die langfristige Erhaltung unserer Lebensgrundlagen und die unserer Kinder und Enkelkinder sicherstellen.
Von Tanja Brumbauer
In dieser Großen Transformation kommt auch Unternehmen eine wichtige Rolle zu. Dass sich diese schon in großer Zahl für den Klimaschutz einsetzen, wird im Rahmen der kürzlich veröffentlichten Klimastudie der Entrepreneurs for Future (2) deutlich: Die vier am weitesten verbreiteten Klimaschutzmaßnahmen (1. Ökostrom & Ökogas im Büro 2. Leitungs- statt Flaschenwasser 3. Bahnfahren statt Fliegen und 4. Homeoffice/Coworking) werden von mindestens 72 % der befragten Unternehmen vollständig oder teilweise umgesetzt. Dies ist zu begrüßen und kann als erster Schritt in Richtung einer zukunftsfähigen Wirtschaft gewertet werden.
Um die Große Transformation zu stemmen, die sowohl sozial verträglich als auch ökologisch nachhaltig ist, braucht es aber noch weitere Bemühungen. Es braucht radikal neu gedachte Geschäftsmodelle – Geschäftsmodelle, die Sozialverträglichkeit und ökologische Nachhaltigkeit vereinen. Gemeinschaftsgetragene Unternehmen nach Vorbild der solidarischen Landwirtschaft können einen Ansatzpunkt bieten. Wie ein solches Unternehmen aussieht und welche Potentiale für eine zukunftsfähige Wirtschaft dies bietet, wird im folgenden Beitrag diskutiert.
Die Mutter: Solidarische Landwirtschaft
Die Anfänge solcher Unternehmen sind Solidarische Landwirtschaften bzw. Community Supported Agricultures (CSA). In diesen tragen die Haushalte die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs, wofür sie im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten. Einmal im Jahr kommen Konsument:innen und Produzent:innen zusammen und legen in einem demokratischen Prozess fest, wie viele und welche Lebensmittel im kommenden Jahr angepflanzt werden. Auf Basis dessen wird der ökonomische Bedarf des Betriebs kalkuliert, um die identifizierte Menge an Lebensmitteln zu produzieren und im Gegenzug den Lebensunterhalt der Landwirt:innen zu finanzieren und die Fixkosten des Betriebs zu decken.
Inspiriert von dieser wirtschaftlichen und sozialen Innovation aus dem Bereich der Landwirtschaft haben sich in den letzten Jahren immer mehr Unternehmen auf den Weg begeben, ihr Geschäftsmodell auf gemeinschaftsgetragene Prinzipien umzustellen. So gibt es beispielsweise über die klassische Solidarische Landwirtschaft hinaus bereits gemeinschaftsgetragene Bäckereien, Winzer:innen, Brauereien und Lebensmittelgeschäfte. Aber auch gemeinschaftsgetragene Gesundheitszentren, Schneidereien, Radwerkstätten und Energieanbieter haben sich an verschiedenen Orten etabliert.
Gemeinschaftsgetragene vs. klassische Unternehmen
Genau wie die Solidarische Landwirtschaft finanzieren sich gemeinschaftsgetragene Unternehmen durch den Zusammenschluss privater Haushalte. Diese übernehmen die Betriebskosten des Unternehmens und erhalten im Gegenzug die produzierten Produkte. Im Gegensatz zu klassischen Unternehmen herrscht hierbei eine Kostentransparenz. Die Unternehmer:innen geben den Verbraucher:innen einen Überblick, welche Kosten für eine ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Produktion notwendig sind. Die Verbraucher:innen entscheiden dann auf Basis dieses Einblicks individuell im Rahmen einer sogenannten Bieter:innenrunde, welchen Beitrag sie für ihren Anteil bezahlen wollen. Werden in einer ersten Bieter:innenrunde die Kosten nicht gedeckt, findet eine weitere statt, in der die Mitglieder die Möglichkeit haben, ihren individuellen Beitrag nochmals anzupassen. Dies geschieht so lange, bis die offengelegten Produktionskosten gedeckt sind.
Die Verbraucher:innen übernehmen damit als Gemeinschaft Verantwortung für die sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen und entscheiden selbst, welchen monetären Beitrag sie dazu leisten wollen. Durch die Vorfinanzierung der Produktionskosten wird das unternehmerische Risiko verteilt. Produktionsausfälle werden entsprechend von Konsument:innen und Produzent:innen gemeinsam getragen. Solche Unternehmen unterscheiden sich damit grundsätzlich von klassischen Unternehmen. Anlehnend an Rommel (2017) (3) gibt folgende Tabelle einen Überblick über die wichtigsten Unterschiede.
STRUKTURMERKMALE | |
Gemeinschaftsgetragene Unternehmen | klassische Unternehmen |
Umweltfreundliche Leistungserstellung als Grundmotivation der Erzeuger:innengemeinschaften (4) | i.d.R. umweltfreundliche Leistungserstellung als Marketing-Strategie oder Verkaufsargument |
Nahräumliches Wirtschaften | i.d.R. internationalisierte Wertschöpfungsketten |
Vergemeinschaftete Betriebskosten (Beiträge statt Preise) | Festsetzung von konkurrenzfähigen Marktpreisen |
Kostendeckung, Internalisierung von Mehrkosten durch ökologisch nachhaltige und sozial verträgliche Produktion | Kostendeckung, oftmals Externalisierung von sozialen und ökologischen Kosten aufgrund niedrigen Marktpreises |
Kostentransparenz gegenüber Verbraucher:innengemeinschaft | i.d.R. keine Kostentransparenz gegenüber Verbraucher*innen |
Ko-Produktion: Verbraucher:innen nehmen aktive Rolle in der Produktion ein (z.B. in der Distribution) | i.d.R. Konsument:innen nicht am Produktionsprozess beteiligt |
Partizipative Entscheidungsfindung zwischen Verbraucher:innen und Erzeuger:innen | Entscheidungen werden unternehmensintern getroffen |
Arbeitskraftintensivierung / Ressourcenschonende Technisierung | Maschinisierung und Industrialisierung zur Vergrößerung der Effizienz |
Vergemeinschaftetes Eigentum, z.B. durch Genossenschaften oder Vereine | i.d.R. Eigentum bei Personen- oder Kapitalgesellschaften |
Solidarische Finanzierung mit unterschiedlichen Beiträgen abhängig von individuellen finanziellen Rahmenbedingungen | Finanzierung über Marktpreise |
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass insbesondere die enge Einbindung der Konsument:innen, die veränderten Eigentumsstrukturen und die Unabhängigkeit von Nachfrageschwankungen am Markt bei den gemeinschaftsgetragenen Unternehmen herausstechen. Klassische Unternehmen hingegen produzieren in der Regel für einen anonymen Markt, legen das Eigentum in Hand einer Personen- oder Kapitalgesellschaft und orientieren sich in ihren Produktionsentscheidungen an Marktprognosen.
Beiträge zu einer zukunftsfähigen Wirtschaft
Paech et al. 2019 (5) bezeichnen solche gemeinschaftsgetragenen Geschäftsmodelle als „transformative Unternehmen.“ Dies sind nach ihnen Unternehmen, „die das Ziel verfolgen, nachhaltige, regionale und souveräne Versorgungsysteme durch teilhabe-orientierte und ökologische Praktiken zu etablieren“ (vgl. Paech et al. 2019). Solche Unternehmen bringen damit sowohl im Sinne einer ökologischen als auch einer sozialen Nachhaltigkeit großes Potential mit sich.
Auf Seiten einer ökologischen Nachhaltigkeit sind vor allem die Vorteile einer regionalen Wertschöpfungskette zu erwähnen. Die unmittelbare physische Nähe zwischen Verbraucher:innen und Erzeuger:innen minimiert die CO2 Emissionen, die durch den Transport der Produkte anfallen. Findet die Distribution mit ökologisch nachhaltiger Mobilität statt, ist gar von einer klimaneutralen Transportinfrastruktur zu sprechen. So wird beispielsweise die Auslieferung von Produkten in der Regel nicht an einen externen Transportdienstleister abgegeben, sondern meist unternehmensintern bzw. mitgliederintern über eine eigene ökologischere Verteilungsinfrastruktur (z.B. per Lastenfahrrad) übernommen.
Was ebenfalls eine positive Nachhaltigkeitswirkung erzeugen kann, ist die Option auf eine Arbeitskraftintensivierung durch die zusätzliche Arbeitskraft der Mitglieder. In vielen gemeinschaftsgetragenen Unternehmen sind die Verbraucher:innen nicht nur an den Entscheidungen beteiligt, sondern bringen sich ehrenamtlich in die Produktions- und Verteilungsorganisation ein. Diese zusätzlichen personellen Ressourcen ermöglichen eine Arbeitskraftintensivierung und damit einen verringerten Einsatz von Maschinen. Dies sind beides Entwicklungen, die im regulären Marktgeschehen aufgrund der hohen Kosten für den Personaleinsatz nicht möglich wären. Außerdem kann – bedingt dadurch, dass die Preise nicht am Markt verhandelt werden – in Absprache mit den Verbraucher:innen Rücksicht auf eine ökologische Produktion genommen werden. So sinkt beispielsweise der Druck, kurzfristig Böden auszubeuten, um wettbewerbsfähig zu bleiben (6) oder beim Einkauf von Produkten nicht nur auf den Preis, sondern auf die Regionalität der Rohstoffe zu achten.
Es wird deutlich, dass insbesondere der Dialograum zwischen Verbraucher:innen und Erzeuger:innen viele Möglichkeiten eröffnet: Die regelmäßigen Zusammenkünfte und die Transparenz über die Kosten für den laufenden Betrieb ermöglichen den Erzeuger:innen, genau darzulegen, welche Kosten notwendig sind, um ökologisch nachhaltig zu wirtschaften. Diese Transparenz ermutigt die Verbraucher:innen wiederum zur Bezahlung eines Preises, der die Mehrkosten für eine umweltfreundliche Produktion beinhaltet. Einer Externalisierung von Kosten wird damit vorgebeugt.
Sozialverträgliche Produktion ohne Konkurrenzdruck
Nimmt man die soziale Nachhaltigkeit in den Blick, sticht das solidarische Beitrags- und Finanzierungssystem hervor. Durch die regelmäßigen Beitragsrunden, bei denen die Erzeuger:innen die Kosten erläutern, ist es möglich, die Kosten für eine sozialverträgliche Produktion offenzulegen. Folgen eines marktwirtschaftlichen Konkurrenzdrucks, wie z.B. Lohneinsparungen oder eine Verschlechterung von Arbeitsbedingungen aufgrund Effizienzdrucks, kann damit vorgebeugt werden. Da kein fester Marktpreis gezahlt wird, sondern die Konsument:innen auf Basis ihrer individuellen Zahlungsbereitschaft Beiträge festlegen, können außerdem Einkommensunterschiede innerhalb der Verbraucher:innengemeinschaft ausgeglichen werden.
Dies kommt letztendlich einer freiwilligen Umverteilung unter den Verbraucher:innen gleich. Der dafür notwendige Dialog untereinander und eine demokratische Auseinandersetzung mit Bedürfnissen, Einkommens- und Vermögensunterschieden und Lebensumständen ist in der Regel ein Lernfeld für alle Beteiligten und auch im Sinne einer Ausbildung von demokratischen Fähigkeiten zu begrüßen. Denn die konkreten Fragen, die im Rahmen einer solidarischen Verteilung von Produktionskosten auftauchen, sind ebenso in Bezug auf eine Verteilungs- und Leistungsgerechtigkeit auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene relevant.
Neben dem Finanzierungssystem leistet die teilhabeorientierte Mitgliederstruktur einen positiven Beitrag im Sinne einer sozialen Nachhaltigkeit. Die regionalen Versorgungsstrukturen und die Mitgliedschaft in der Verbraucher:innengemeinschaft befördern soziale Kontakte: So kommen die Verbraucher:innen in der Regel mindestens bei den Beitragsrunden zusammen. In vielen gemeinschaftsgetragenen Unternehmen wird auch ein Teil der Produktions- oder Distributionsstruktur von Verbraucher:innen übernommen. Diese freiwilligen Einsätze bieten Gelegenheit für ein Kennenlernen untereinander, einen direkten Bezug zu den konsumierten Produkten und das Gefühl, gemeinsam einer sinnstiftenden Arbeit nachzugehen. In einer Gesellschaft, in der Vereinzelung und Individualisierung zu einem immer größeren Problem wird, ist dies eine sehr positive Entwicklung.
Solidarisch wirtschaften und füreinander sorgen
Gemeinschaftsgetragene Unternehmen beziehen die Verbraucher:innen so eng in die Produktion, Distribution und sogar Kostenplanung mit ein, dass sie von passiven Konsument:innen zu aktiven Prosument:innen werden. Dabei entsteht eine Gemeinschaft, die gemeinsam Verantwortung für die sozial verträgliche und ökologisch nachhaltige Produktion übernimmt. So sorgt die Verbraucher:innengemeinschaft für das Einkommen eines bzw. einer Produzent:in. Die Mitglieder der Solidargemeinschaft sorgen durch das solidarische Beitragssystem umeinander und gleichen finanzielle Unterschiede aus. Die Produzent:innen sorgen für die Umwelt und gute Arbeitsbedingungen. Damit sorgen alle zusammen für eine zukunftsfähige Wirtschaft, in der man gegenseitig kooperiert und sich stützt.
So bringt Unternehmer Andreas Dilger, Geschäftsführer eines gemeinschaftsgetragenen Weinguts, treffend auf den Punkt: „Der Mensch will ja auch Gutes tun. Deshalb braucht es Modelle, wo man Menschen mitnimmt und ihnen Möglichkeiten eröffnet, mitzugestalten.“ Insbesondere in anonymisierten Marktstrukturen scheint das auf viel Resonanz zu treffen.
Gemeinschaftsgetragene Unternehmen denken Wirtschaft radikal anders. Sie bieten ein existierendes Geschäftsmodell, das soziale und ökologische Ziele in den Vordergrund stellt. Paavo Günther, Geschäftsführer und Vorstand des gemeinschaftsgetragenen Unternehmens Havelmi, bekräftigt: „Gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften sehe ich als richtigen Schritt zum Einklang von menschlicher Bedürfnisbefriedigung und ökologischer Reproduktion.“ Sie sind damit vor allem als Impulsgeber zu verstehen – als Impulsgeber und transformative Kraft für die tiefgreifenden Veränderungen, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft braucht. Damit für unsere Kinder und Enkelkinder Zukunft wieder ein Versprechen wird.
Tanja Brumbauer
ist Ökonomin und Partnerin bei NELA. Next Economy Lab. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit gemeinschaftsgetragenen Unternehmen.
brumbauer@nexteconomylab.de
Anmerkungen:
(1) Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2011): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation.
(2) Entrepreneurs For Future (2021): Klimastudie.
(3) Rommel, M. (2017). CSX: Transformative Wirtschaftsgemeinschaften – Entwicklung eines Modells zur Übertragung der Logik von Community Supported Agriculture (CSA) auf andere ökonomische Versorgungsfelder. Masterarbeit; Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Masterstudiengang Sustainability Economics and Management.
(4) Eine Umfrage unter Solidarischen Landwirtschaften ergab, dass 94% eine alternative Form der Landwirtschaft unterstützen möchten, um damit „aktiv die Umwelt zu schützen“ (Forschungsgruppe Solidarische Landwirtschaft 2013: 98)
(5) Paech, N., Rommel, M. und Sperling, C. (2019). Transformatives Größenmanagement. Wie lassen sich transformative Wirtschaftsformen wirtschaftlich und sozial stabilisieren? S. 9 In: Transformative Unternehmen und die Wende in der Ernährungswirtschaft, Marburg (pp.129-158)
(6) Vaessen, F., Schmitz, S., Gunkel, L. & Boddenberg, M. (2015). Solidarische Landwirtschaft. Eine soziale Innovation im Spannungsfeld gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. In A. Arnold (Hrsg.), Innovation – Exnovation. Über Prozesse des Abschaffens und Erneuerns in der Nachhaltigkeitstransformation. Marburg: Metropolis, 185–198. Seite 188–189.
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