Würzburg (csr-news) – In 31 Empfehlungen zeigt der von der Bundesregierung eingesetzte SustainableFinance-Beirat auf, wie seiner Meinung nach die Transformation der deutschen Wirtschaft durch ein nachhaltiges Finanzsystem finanzierbar werden soll. Die Empfehlungen des Beirats sind zwar „konkret und praxistauglich“, aber völlig unzureichend, um im europäischen Umfeld wirklich Großes zu bewegen!
Es kommentiert der Würzburger Wirtschaftsethiker Harald Bolsinger,
der auf eine wesentlich mutigere Politik nach der kommenden Bundestagswahl hofft
Für den SustainableFinance-Beirat sind neben der nachhaltigen Ausrichtung von Geldanlagen und Kreditaufnahmen der öffentlichen Hand vor allem die Unternehmensberichterstattung und eine damit einhergehende Informationsinfrastruktur einer der größten Hebel in Richtung Sustainable Finance. Damit verwechselt der Beirat einmal mehr Ursache und Wirkung: Die Ursache für die Finanzierbarkeit von zerstörerischem Wirtschaftsgebaren liegt nicht in erster Linie in mangelnder Transparenz über die Auswirkungen, sondern in der Akzeptanz der Wirkungen selbst.
Eine höhere Transparenz über die kriminellen Geschäfte der Mafia sorgt noch lange nicht dafür, dass das hochrentable Geschäft mit Drogen und Menschenhandel eingestellt wird. Die Lenkungswirkung hoher Rentabilität wird auch weiterhin dafür sorgen, dass Banken und andere Finanzmarktakteure Geschäfte mit nicht nachhaltigen Organisationen machen, wenn man sie nur lässt. Nur wenn man den Geldfluss in zerstörerisches und menschenverachtendes Wirtschaften vollständig abstellt, werden Organisationen wie die Mafia und Unternehmen, die mit der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ihr Geschäft machen, ernsthafte Probleme bekommen.
Die Zielsetzung bei der Einrichtung des SustainableFinance-Beirates war von Beginn an die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu einem führenden Standort für Sustainable Finance, weil der Finanzwirtschaft eine Schlüsselrolle bei der großen Transformation zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem zukommt. Doch die jetzt präsentierten Ergebnisse dieses Beirates zeigen, dass man von diesem Ziel noch Lichtjahre entfernt ist.
Die Bundesregierung selbst setzt sich „dafür ein, dass Finanzmarktakteure Nachhaltigkeitsaspekte bei ihren Entscheidungen berücksichtigen“. Die Wortwahl zeigt die vorherrschende Mutlosigkeit gegenüber dem notwendigen Umbau eines Finanzmarktsystems, das immer noch keine umfangreichen Nachhaltigkeitsanforderungen als Mainstream in Finanzmarktentscheidungen akzeptiert oder gar integriert hat. Einzelne Aspekte zu berücksichtigen ist nicht genug! Auch vereinzelte Transparenzerhöhung zu Nachhaltigkeitsaspekten kann die Märkte nicht ausreichend verändern. Vielmehr ist die gesamte Geschäftspolitik sämtlicher Finanzmarktakteure vollständig nachhaltigkeitskonform auszurichten, um den riesigen Hebel nachhaltigen Geldes wirklich zu bewegen.
Es braucht einen auf internationale Finanzmärkte ausgerichteten verlässlichen Politikrahmen der Nachhaltigkeit. Das ist zu Recht eines der Kernhandlungsfelder, die der SustainableFinance-Beirat aufzeigt. Empfehlungen zur konkreten normativen Ausgestaltung dieses Rahmens sind im Abschlussbericht aber kaum vertreten. Es findet sich kein Ansatz, der sicherstellt, dass keinerlei Finanzströme mehr in die Finanzierung von Zerstörung und Unterdrückung fließen können – und das, obwohl der Beirat sich gleich zu Beginn auf das Pariser Klimaabkommen, die UN Sustainable Development Goals und die UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte als „Leitplanken“ beruft.
Es reicht einfach nicht, „Finanzströme [teilweise] in zukunftsfähige Investitionen umzuleiten: von der nachhaltigen Erneuerung bestehender Infrastrukturen über den Auf- und Ausbau dringend benötigter Zukunftstechnologien bis hin zum Umbau ökologisch oder menschenrechtlich problematischer Wertschöpfungsketten“.
Auch wenn der Bericht behauptet, eine Sustainability Mainstreaming Strategie zu verfolgen, so beschränkt er sich doch leider nur auf Einzelaspekte wie beispielsweise die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand. Es stellt sich die Frage, warum die Verträglichkeit aller Finanzengagements der öffentlichen Hand mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte laut Beiratsempfehlung sicherzustellen ist, genau das aber für alle anderen Finanzmarktakteure nicht gefordert wird.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um die Ausgestaltung eines Sorgfaltspflichtgesetzes, das Lieferketten genau in den Blick nimmt, wird ignoriert, dass auch Finanzmarktakteure eine Lieferkette zu betrachten haben. Woher kommt das Geld und wohin geht es? Die Vorwärts- und Rückwärtsverkettungen aller Finanzierungs- und Investmenttätigkeiten hätte der SustainableFinance-Beirat in seinen Empfehlungen ganzheitlich und schonungslos in den Blick nehmen müssen! Dass der Beirat das im Grundsatz erkannt hat, zeigt die Forderung für den Sparkassensektor nach „institutsspezifische[n] Zeitpläne[n] zur sukzessiven Transformation von Bestands- und Neugeschäft und zum Abbau von Finanzierungen und Anlagen, die ESG-Kriterien widersprechen“.
Doch Finanzmärkte bestehen nicht nur aus Sparkassen. Veränderung muss systemisch verankert in einem für alle gleich geltenden Rahmen an oberster Stelle umgesetzt werden: in Zentralbanken und damit in Deutschland bei der Bundesbank. Dafür hat sich die Forschungsgruppe Finanzen und Wirtschaft des Weltethos-Institutes schon vor Jahren im Hub for Sustainable Finance eingesetzt.
Der Green and Sustainable Finance Cluster Germany e. V. hat das Thema nicht mehr weitergetragen. Eine Bitte vom September 2020 der Forschungsgruppe Finanzen und Wirtschaft des Weltethos-Institutes zur Sichtbarmachung der Entstehung des Themas an die Geschäftsführung des Vereins wurde auch nach mehrfacher Nachfrage nicht beantwortet und auch die Äußerung zu den Konsultationen des Vereins hat kein Echo gebracht. Die neue Sponsorenstruktur des Vereins beinhaltet u.a. Großbanken, die immer wieder in stark fragwürdige Geschäftspraktiken verwickelt sind, die von Korruptionsvorwürfen über Umweltzerstörungskontroversen bis hin zu Fragen der Menschenrechte reichen. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung selbst sah in Bezug auf den SustainableFinance Beirat „aktuell auch keine weitere Möglichkeit das Thema mit der nötigen Prominenz zu platzieren.“
Der Abschlussbericht des Beirats versteht Finanzindustrie und Finanzmärkte weitestgehend als Dienstleister zur Kapitalmobilisierung und zur verstärkten Investition in nachhaltigkeitsbezogene Herausforderungen. Dabei wird die hohe systemische Steuerungswirkung mit Abstrahleffekten auf die Realwirtschaft viel zu stark vernachlässigt. Es macht einen großen Unterscheid, ob man nicht-nachhaltiges Geschäftsgebaren in einem Stufenplan vollständig abstellt und dadurch mehr Nachhaltigkeit entstehen soll, oder ob man nur mehr Nachhaltigkeit in einer bestimmten Branche fordert, während man dort gleichzeitig nicht-nachhaltiges Geschäftsgebaren weiterhin akzeptiert.
Der SustainableFinance-Beirat hat sich trotz seiner teilweise durchaus sinnvollen Vorschläge wie beispielsweise zur Transparenzverbesserung leider vorwiegend auf letzteres beschränkt. Damit hat er die Chance verpasst, mit weitreichenden Vorschlägen Deutschland zu einem führenden Standort für Sustainable Finance zu machen. Ohne Eingreifen der Politik wird Deutschland ein Sustainable Finance Standort der weichen freiwilligen Selbstverpflichtungen bleiben, der weiter darauf wartet, was die weitaus mutigere EU insgesamt auf den Weg bringen wird …