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Inklusiv wirtschaften – Berührungsängste abbauen

Foto: Matthias Duschner / Dr. Ausbüttel

Beschäftigte gemeinnütziger Werkstätten in den Firmenalltag integrieren

Dortmund (csr-news) – Eine gute und bezahlbare Wundversorgung will das Dortmunder Familienunternehmen Dr. Ausbüttel ermöglichen. Dabei setzt die Firma aus der MedTech-Branche nicht nur auf die 130 eigenen Mitarbeiter, sondern zugleich auf die Beschäftigten in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen – darunter die wewole Stiftung in Herne und Castrop-Rauxel.

Von Achim Halfmann

Als Abteilungsleiterin Human Resources ist Janne Klar bei Dr. Ausbüttel zugleich für das soziale Engagement verantwortlich. „Die Anfänge unserer Kooperation mit den Werkstätten 1998 waren nicht einfach, da gab es einige Hürden. Aber unterm Strich war der Wille da, eine solche Kooperation aufzubauen“, berichtet sie. Die Produktverpackung hat das Unternehmen in die Werkstätten ausgelagert. Beim Aufbau einer solchen Partnerschaft gelte es, Zeit zu investieren und die Arbeitsweise von Werkstätten verstehen zu lernen. Janne Klar weiter: „Während bei uns die Leistung im Vordergrund steht, gelten in Werkstätten darüber hinaus noch andere Regeln: Diese sind auch für Gesundheit und Freizeit ihrer Mitarbeiter verantwortlich. Den Menschen ganzheitlich zu betrachten ist wichtig, davon haben wir auch einiges lernen können.“

„Ein Stoß ins kalte Wasser“

Wichtige Impulse erhielt die Kooperation mit den Werkstätten 2009 in einem Zirkusprojekt, das 50 Mitarbeiter aus Werkstätten und 50 Mitarbeiter von Dr. Ausbüttel zusammenbrachte. Für manche war das „ein Stoß ins kalte Wasser“, berichtet Janne Klar. „Viele Kollegen hatten Berührungsängste und wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Aber aus diesen Begegnungen ist eine unglaubliche Offenheit für Menschen mit Behinderungen entstanden.“ Aus den ersten Erfahrungen hat das Unternehmen gelernt: „Heute verlaufen solche Begegnungen geplanter und wir nehmen unsere Mitarbeiter dabei mehr an die Hand“, sagt die HR-Managerin.

Dass Janne Klar seit 2010 zugleich für die Themen Personal, Kultur und soziales Engagement zuständig ist, bietet ihr die Chance, beides zu verzahnen. Dass neue Kollegen die Kooperation mit den Werkstätten mittragen, darauf achtet das Unternehmen Dr. Ausbüttel bereits bei der Personalauswahl. „Und zum Onboarding neuer Mitarbeiter gehört ein Werkstattbesuch als Pflichtbestandteil“, so die Managerin. Das soll ein Verständnis für Menschen mit Behinderungen fördern. „Das Verhalten von Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen ist manchmal schwer vorhersehbar und verschreckt den einen, während andere es zum Anlass nehmen, die eigene Sichtweise zu hinterfragen.“

Austausch in zwei Richtungen

Zugleich lädt das Unternehmen Dr. Ausbüttel Mitarbeiter der Werkstätten zu sich ein und zeigt ihnen, was mit den von ihnen verpackten Produkten geschieht und welchen Kundengruppen sie nutzen. „Dadurch identifizieren sich die Mitarbeiter stark mit dem Sinn und Zweck der Produkte und passen gut auf das Material auf“, berichtet Janne Klar weiter. Zudem sind ehemalige Werkstatt-Mitarbeiter heute bei dem MedTech-Unternehmen beschäftigt – und begegnen dort den Anforderungen der freien Wirtschaft. „Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen: Wir fordern Leistung und Ergebnisse, fördern aber Mitarbeiter auch, damit sie ihre bestmögliche Leistung erbringen können“, sagt die Managerin.

Die Vorteile dieser Kooperation gehen in zwei Richtungen: „Werkstätten sind viel flexibler als Maschinen“, so Janne Klar. Aber es gibt auch Vorteile, die sich nicht in der betriebswirtschaftlichen Bilanz abbilden: „Die Kooperation bietet für unser Unternehmen einen unglaublichen kulturellen Mehrwert. Wir können voneinander viel lernen. Das geschieht nicht einseitig – unsere Begegnungen laufen auf Augenhöhe.“

Mehr als ein Dienstleistungsverhältnis

Oliver Oberste-Hetbleck ist für die wewole Stiftung in der Werkstattleitung tätig. Die Kooperation mit dem Unternehmen ist für seine Stiftung wichtig: „Dr. Ausbüttel ist unser größter Kunde, 100 bis 200 Menschen arbeiten täglich für das Unternehmen.“ Denn damit die über 1.000 Mitarbeiter in Schreinerei, Schlosserei, Kfz, Gärtnerei, Verpackung, Montage und Logistik sinnhaft arbeiten können, braucht wewole jeden Tag viele Aufträge. Und dafür ist Oberste-Hetbleck mitverantwortlich: „Als Werkstattleiter bin ich auch selbst im Vertrieb tätig. Und da erlebe ich einerseits Kunden, die Aufträge ausschließlich scharf verhandeln – und andererseits Partner, die mit sozialer Verantwortung ein Geschäft eingehen möchten, das langfristig angelegt ist.“

Langfristig angelegt ist die Kooperation mit dem Dortmunder MedTech-Unternehmen. „Dr. Ausbüttel ist ein Kunde, der soziale Verantwortung sehr deutlich lebt. Termine, Qualitätsansprüche und Bezahlung werden fair ausgehandelt. Und unsere Kooperation geht deutlich über die Arbeit an den Artikeln hinaus.“ Eine solche Unternehmenskooperation sei ihm um Vieles lieber als nur ein Dienstleistungsauftrag, so der Werkstattleiter weiter.

Arbeit als Trainingschance

Für Dr. Ausbüttel werden in den Werkstätten hauptsächlich drei oder mehr Pflaster nach der Qualitätskontrolle in Probemäppchen verpackt. „Das hat zugleich einen pädagogischen Nutzen: Manche unserer Mitarbeiter erarbeiten sich den Zahlenraum bis zehn und brauchen etwas, woran sie zählen können.“ Oberste-Hetbleck weiter: „Die wechselnden Anforderungen – andere Pflaster und Größen, andere Mäppchen – trainieren zugleich die Konzentration, denn unsere Mitarbeiter müssen chargenrein arbeiten.“

Die Produktion verlief nicht von Anfang an reibungslos, denn die Arbeit mit dieser Verpackungsart fiel den Werkstattmitarbeiter schwer. „Dann haben Verpackungsdesigner von Dr. Ausbüttel in unserer Werkstatt hospitiert und danach geringe Änderungen eingeführt, die aber unseren Beschäftigten enorm halfen.“ In den Werkstätten werden die schwerbehinderten Mitarbeiter von handwerklich hochprofessionellem Personal begleitet, das zugleich pädagogisch ausgebildet ist, so Oberste-Hetbleck.

Ziel der Werkstätten ist es, Menschen mit Schwerbehinderungen in klassische Arbeitsverhältnisse zu bringen. „Über Praktika bieten wir einen Weg in Außenarbeitsplätze. Jobcoaches begleiten diesen Prozess. Dabei arbeiten wir sehr personenzentriert und unterstützen etwa einen Menschen mit psychischer Behinderung dabei, sein Leben zu organisieren“, berichtet der Werkstattleiter.

Coronakrise trifft Werkstätten

Die Pandemie-bedingten Einschränkungen trafen die Werkstätten im zurückliegenden Jahr hart. Während der ersten Corona-Welle im Frühjahr waren sie komplett geschlossen, berichtet Janne Klar: „Für viele Menschen mit Behinderung war das eine sehr schwere Zeit, da sie auf der Arbeit viele soziale Beziehungen haben, die von hoher Bedeutung sind und diese von heute auf Morgen fehlten. Vielen Mitarbeitern hat das alles weggenommen.“ Das Unternehmen Dr. Ausbüttel musste den Ausfall seiner externen Werkbank kompensieren und alternative Möglichkeiten der Produktverpackung finden. „Gemeinsam mit den Werkstätten haben wir sehr schnell umorganisiert und alternative Übergangslösungen gefunden. Auch während der Corona-Zeit waren bei uns intern Menschen mit Behinderung im Einsatz.“

Positiv kann die HR-Managerin berichten, dass die Werkstätten im aktuellen Lockdown geöffnet bleiben. „Aus dem ersten Lockdown haben wir aber gelernt, wie wichtig es ist, schnell und flexibel auf Unvorhergesehenes reagieren zu können. Daher sind wir jederzeit darauf vorbereitet, sollte sich die Situation ändern“, sagt Janne Klar.


Zum Thema:
Wie steht es um die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung?

2019 waren im Jahresdurchschnitt 154.696 schwerbehinderte Menschen arbeitslos. Vergleichszahlen liegen für 2018 vor: Danach lag die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung mit durchschnittlich 11,2% deutlich über der allgemeinen Arbeitslosigkeit (6,5%).

Der Gesetzgeber verpflichtet Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitnehmern, auf wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Von 168.693 beschäftigungspflichtige Betriebe kamen 2018 insgesamt 66.164 Betriebe dieser Verpflichtung nach (39%).

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die Aufträge an Werkstätten für behinderte Menschen oder Blindenwerkstätten vergeben, können 50% der Kosten für Arbeitsleistungen von der zu zahlenden Ausgleichsabgabe abziehen. Und wer schwerbehinderte Menschen aus einer Werkstätte für behinderte Menschen als Maßnahme zur Förderung des Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in seinem Unternehmen beschäftigt, kann dies auf einen Pflichtarbeitsplatz anrechnen.


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