Berlin (csr-news) – Bei der Integration Geflüchteter können sich Unternehmen durch den Austausch ihrer Erfahrungen gegenseitig unterstützen. Ein wichtiger Akteur ist hier das „Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge“, eine Initiative des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). CSR NEWS sprach mit Bill Liederwald, Projektreferent in dem Netzwerk. Das Gespräch führte Achim Halfmann.
Bill Liederwald im Interview
CSR MAGAZIN: Herr Liederwald, wofür steht Ihr Netzwerk – und wer gehört dazu?
Bill Liederwald: Das „Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ ist der größte Zusammenschluss von Unternehmen, die sich für die Integration von Geflüchteten engagieren. 2016 starteten wir mit 300 Mitgliedern, im September konnten wir das 2.500ste Mitglied begrüßen. Das Netzwerk ist eine Initiative des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) und wird durch das Bundeswirtschaftsministerium gefördert.
Unsere Perspektive ist die der Unternehmen, die wir bei der Integration von Geflüchteten unterstützen wollen. Fast 80% unserer Mitglieder sind kleine und mittlere Unternehmen, darunter Betriebe aus der Gastronomie und dem produzierenden Gewerbe wie Bäckereien. Unter unseren Mitgliedern sind alle Unternehmensgrößen vertreten – vom kleinen Handwerksbetrieb bis zum großen Dax-Konzern. Wir hören in die Unternehmen hinein und übernehmen dann sehr vielseitige Aufgaben.
Was konkret bieten Sie den Unternehmen an Unterstützung?
Für viele geht es darum, rechtliche Hürden bei der Einstellung und Integration von Geflüchteten abzubauen. Wir übersetzen Rechtssprache in leicht verdauliche Texte und erstellen Informationen. Auch mit Blick auf die Geflüchteten unterstützen wir ganz praktisch die Überwindung von Sprachhürden: In Kooperation mit dem deutschen Bäckereiverband haben wir gerade die 300 wichtigsten Fachvokalen des Berufsfeldes in Farsi übersetzt. Solche Flyer haben wir auch für weitere Branchen erstellt. In vielen Veranstaltungen mit den Handels- und Handwerkskammern vor Ort geht es etwa um die Verwendung einfacher Sprache im Betrieb oder um die Vermeidung interkultureller Missverständnisse. Ein typisches Beispiel ist, dass ein Mitarbeiter aus Subsahara-Afrika bei der Erklärung einer Maschine freundlich nickt – aus Freundlichkeit und nicht, weil er die Erklärung verstanden hat. Aus Respekt fragt er aber nicht nach, weil das die Kompetenz des Erklärenden in Frage stellen würde.
In den Betrieben haben die meisten Geflüchteten sprachlich weniger Probleme als in den Berufsschulen; dort sind die Fachsprache und das Verständnis komplexer Aufgabenstellungen große Herausforderungen. 2016 haben viele Geflüchtete eine Ausbildungsstelle gefunden und kommen jetzt in die Abschlussprüfungen; hier ist das notwendige Deutschniveau entsprechend hoch. Prüfungstexte sind nicht immer leicht verständlich formuliert, sie enthalten teilweise Schachtelsätze, doppelte Verneinung und kulturelle Ausdrücke – beispielsweise „Renner-Penner-Liste“ im Verkauf. Dem begegnen wir mit Workshops und Webinaren zum Thema Prüfungsvorbereitung.
Ich selber beschäftige mich mit den Fördermöglichkeiten für Geflüchtete in Ausbildung und Beschäftigung. Es gibt eine Reihe potentieller Angebote von staatlicher Seite, die auch für Geflüchtete genutzt werden können. Jedoch ist der Zugang von den verschiedenen Aufenthaltstiteln abhängig und es ist für Unternehmen nicht einfach, den Überblick zu behalten. Dazu bieten wir Info-Material und bauen gerade ein digitales Beratungssystem auf, in dem Ratsuchende durch Fragen zu den für sie passenden Förderangeboten geführt werden.
Wo sehen Sie die größten Hürden für eine berufliche Integration Geflüchteter?
Eine große Herausforderung ist – wie schon angesprochen – die Berufsschule. Unsere jährliche Mitgliederbefragung hat gezeigt: Viele Probleme entstehen in Berufsschulen, ohne dass die Betriebe etwas davon mitbekommen. Erst in den Prüfungen werden diese Probleme deutlich.
Generell hören wir von den Betrieben von drei großen Hürden für die Integration: Sprachbarrieren, die Wohnsituation und soziale Kontakte. Das Wohnen in Gemeinschaftsunterkünften ist schwierig, wenn ich jeden Tag zur Arbeit gehe. Häufig liegen diese Unterkünfte nicht nah an den Betrieben. Wenn ein Geflüchteter täglich drei bis vier Stunden Arbeitsweg zu bewältigen hat und nach der Arbeit noch Nachhilfe nimmt oder einen Sprachkurs besucht und dazu für die Prüfung lernen muss, – dann geht mancher in die Knie.
In den meisten Erfolgsgeschichten, die wir zur Integration erzählen können, spielen Mentoren eine wichtige Rolle: Personen aus dem Betrieb oder dem Umfeld des Geflüchteten, die sich um ihn kümmern.
Auf beiden Seiten können zudem Erwartungshaltungen zu Problemen führen: Geflüchtete haben in ihren Herkunftsländern bereits in einem Beruf gearbeitet, können aber keine entsprechenden Zertifikate und Zeugnisse vorlegen. Diese sind im deutschen Arbeitsleben aber wichtig, teilweise auch um einige Tätigkeiten überhaupt ausführen zu dürfen. Da ist es mitunter schwierig, den Geflüchteten zu erklären, warum sie zunächst nochmal eine Ausbildung absolvieren sollen. Auf der anderen Seite erwarten manche Unternehmen von den Geflüchteten, dass sie die deutsche Arbeitsmentalität kennen und Werte wie Pünktlichkeit verinnerlicht haben. Engagement drückt sich in manchen Herkunftsländern aber anders aus. Hier kommt es immer mal zu Gesprächsbedarfen.
Und schließlich kommen manchmal auch kulturelle Missverständnisse hinzu. Da meldet sich ein Geflüchteter nicht krank, schickt aber einen Cousin als Ersatz zur Arbeit. Betriebe müssen ihrem Mitarbeiter dann erklären, dass es nicht um die Erledigung von Arbeit durch irgendjemanden geht, sondern dass gezielt in seine Ausbildung investiert wird – und der Cousin eben nicht einspringen kann.
Stichwort Mentoren: Welche Rolle spielen Ehrenamtliche außerhalb des Unternehmens?
Bei den Mentoren gibt es zwei Modelle, die sehr gut funktionieren: Die Mentoren-Rolle kann von Mitarbeitern aus dem Betrieb übernommen werden – von sehr engagierten Personalleitern oder Ausbildern. Diese Mitarbeiter leisten das dann neben ihrem normalen Job, allerdings kann nicht unbegrenzt auf diese Ressourcen zugegriffen werden. In der Praxis zeigt es sich als einer der erfolgreichsten Wege, wenn Ausbilderinnen und Ausbilder auch als Mentoren für die Auszubildenden mit Fluchthintergrund fungieren.
Ein anderer Weg ist die Unterstützung durch ehrenamtliche Mentoren außerhalb des Betriebes. Da gibt es ein riesiges Netzwerk Ehrenamtlicher, die enorm hilfreich sind. Allerdings können sich diese Ehrenamtlichen nicht immer in die Perspektive des Betriebes hineinversetzen und könnten mitunter unrealistische Vorstellungen vom betrieblichen Ablauf haben.
Welche Erfolgsfaktoren für die Integration Geflüchteter sehen Sie in den Unternehmen?
Wichtig ist zum einen die Offenheit, auftauchende Probleme nicht als Fehler zu begreifen, sondern als Missverständnisse – und dann in die Kommunikation zu gehen. Probleme können bearbeitet und aus der Welt geschaffen werden, wenn es gute Kommunikationsroutinen gibt. Ein Beispiel ist, wenn ein Geflüchteter der weiblichen Führungskraft nicht die Hand reicht – was diese als Respektlosigkeit auslegen könnte, gilt in der Kultur des Geflüchteten möglicherweise als respektvolle Geste. Solche Missverständnisse lassen sich auflösen, wenn sie angesprochen werden bevor auf beiden Seiten Frustration entstanden ist.
Wie sieht es jetzt in der Corona-Krise mit den Ausbildungen Geflüchteter aus?
Wir sprechen viel mit unseren Mitgliedsunternehmen über das Thema und sind beeindruckt, wie Betriebe mit der Corona-Situation umgehen und sich schützend vor ihre Auszubildenden stellen. Unsere Furcht vor Kündigungen dieser Azubis hat sich bisher nicht bestätigt. Unternehmerinnen und Unternehmer reagieren ganz im Gegenteil ziemlich kreativ – etwa indem sie ihren Auszubildenden Sprachnachrichten mit Ausbildungsinhalten zukommen lassen oder fehlende Ausbildungsmöglichkeiten in Kundenaufträgen durch Reparaturen in der eigenen Werkstatt kompensieren.
Vielen Dank für das Gespräch!