In vielen Ländern und vor allem in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften äußern Menschen wachsenden Unmut über die Globalisierung. Sie haben oft den Eindruck, dass vor allem ein kleiner, ohnehin besser gestellter Teil der Bevölkerung von den Vorteilen profitiert. Die soziale Nachhaltigkeit scheint gefährdet.
Von Thomas Osburg
- Digitale Transformation verstärkt Effekte
- Globalisierung als ‚Mittel zum Zweck‘
- Negative Auswirkungen verhindern
- Potenzial von Innovationen weiterentwickeln
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Die andauernde Globalisierung hat neben den ökonomischen und ökologischen Aspekten einen starken Einfluss auf die soziale Nachhaltigkeit. Im Brundtland-Report (Our Common Future, 1987) wird diese Form der Nachhaltigkeit definiert: „Ein Staat oder eine Gesellschaft sollte so organisiert sein, dass sich die sozialen Spannungen in Grenzen halten und Konflikte nicht eskalieren, sondern auf friedlichem und zivilem Wege ausgetragen werden können.“ Oder etwas vereinfacht ausgedrückt: Welche Gesellschaft wollen wir, und wie gesund ist diese Gesellschaft?
Viele Bürgerinnen und Bürger sind aber immer unzufriedener darüber, wie die internationale ökonomische Integration bisher vorangetrieben wurde. Sie verweisen auf einen Mangel an Transparenz und (zu) viele Interessenkonflikte zwischen Politik und Wirtschaft. Aufsehenerregende Korruptions-, Steuerhinterziehungs- und Steuerumgehungsskandale weckten verstärkt den Eindruck, dass für die sog. Eliten andere Regeln gelten als für den Rest der Bevölkerung.
Digitale Transformation verstärkt Effekte
Einige der negativen Effekte, die die Unzufriedenheit wachsen lassen, hängen in Wirklichkeit stärker mit der digitalen Transformation und dem technologischen Wandel in vielen Branchen zusammen als mit der Globalisierung an sich. Allerdings sind diese beiden Entwicklungen sehr eng miteinander verknüpft.
Wahrgenommene negative lokale Entwicklungen, wie z.B. der Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland und Verlagerung dieser Jobs nach Indien, werden gemeinhin der Globalisierung angelastet, sind aber in Wahrheit oft im Fachkräftemangel hierzulande begründet. Unternehmen verlagern Arbeitsplätze an Orte, in denen gut ausgebildete Fachkräfte zur Verfügung stehen.
Oft zeigen die Maßnahmen, die negative Effekte der wirtschaftlichen Öffnung für bestimmte Gruppen, Branchen und Regionen abmildern sollen, nicht die gewünschte Wirkung, und die weltweite Legislative zum Schutz vieler Bevölkerungsgruppen konnte und kann bei Weitem nicht mit der technologischen Entwicklung Schritt halten.
Dies begründet sich teilweise in einem weitverbreiteten antiquierten Verständnis von Globalisierung, bei dem die Auslagerung von Fabriken nach China oft als Beispiel herhalten muss. Diese Zeiten sind aber weitgehend vorbei. Peter Vanham (World Economic Forum) illustriert die Entwicklung recht anschaulich:
Globalisierung als ‚Mittel zum Zweck‘
Der Präsident des Ifo-Instituts, Prof. Clemens Fuest, sagte kürzlich im Handelsblatt (14.07.2020): „International agierende Unternehmen werden die Effizienzvorteile grenzüberschreitender Lieferbeziehungen nicht opfern, aber sie werden künftig mehr Vorkehrungen gegen krisenbedingte Produktionsstörungen treffen. Riskant sind weniger die internationalen Wertschöpfungsketten per se, sondern Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten, Kunden oder Standorten“.
Die Globalisierung irgendwie rückgängig zu machen, ist angesichts ihrer vielen Vorteile keine Lösung, um der gegenwärtigen Unzufriedenheit zu begegnen – auch und erst recht nicht in den sog. ‚Zeiten nach Corona‘. Zu groß sind die wirtschaftlichen Vorteile:
Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass die Vorteile der globalen Zusammenarbeit wirklich allen zugutekommen. Die Globalisierung ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck – nämlich zur Steigerung des Wohlergehens aller. Das heißt auch, dass wir zu einem inklusiveren Wachstumsmodell gelangen müssen. Wachstum muss Chancen für alle Teile der Bevölkerung schaffen und dafür sorgen, dass die Dividenden wachsenden Wohlstands in monetärer und nichtmonetärer Sicht gerecht in der Gesellschaft verteilt werden. Es muss ein umweltverträgliches Wachstum sein, bei dem die natürlichen Ressourcen für künftige Generationen erhalten bleiben.
Dazu müssen Menschen und Unternehmen in die Lage versetzt werden, sich erfolgreich an eine im Wandel begriffene Welt anzupassen, muss das gesamte Spektrum verfügbarer Instrumente der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit genutzt werden und müssen Governance-Systeme auf nationaler und internationaler Ebene geöffnet werden, damit eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit möglich ist und das Wohlergehen der Menschen weiter im Mittelpunkt steht.
Wir müssen also Wege finden, um sicherzustellen, dass wesentlich mehr Menschen von der Globalisierung und damit der ökonomischen Integration profitieren können. Wir müssen Wege finden, die notwendige Globalisierung gerechter und inklusiver zu gestalten, um eine soziale Spaltung der Gesellschaft zu verhindern.
Negative Auswirkungen verhindern
Globale Kooperationen – Auf globaler Ebene ist die stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ländern von zentraler Bedeutung. In der heutigen Welt, in der alles vernetzt ist, ist internationale Kooperation unabdingbar. Sie kann die Wirksamkeit und Effizienz der Politik erhöhen und zudem helfen, Politikversagen teilweise zu verhindern. Im Alleingang sind Länder kaum in der Lage, globalen Problemen wie Klimawandel, Pandemien, Flüchtlingsströmen und internationaler Steuerhinterziehung zu begegnen.
Stakeholder Management und politischer Rahmen – Daneben müssen Wege gefunden werden, die Öffentlichkeit besser in globale Prozesse einzubinden, z.B. durch den aktiven Dialog mit den verschiedenen relevanten Akteuren bei der Aushandlung internationaler Handels- und Investitionsabkommen. So könnte den Anliegen verschiedenster Stakeholder besser Rechnung getragen wird.
Zentrale Rolle für Europa – Europa baut auf Grundwerten wie Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte und ist damit gefordert, die Systeme der sozialen Sicherung an neue Beschäftigungsformen und -orte anzupassen, die unternehmerischen Steuer- und Transfersysteme progressiver und vor allem gerechter zu gestalten und die (Re-)Aktivierungsmaßnahmen für Arbeitssuchende zu stärken, die sich aus der Globalisierung ergeben könnten.
Weiterbildung, Qualifizierung und Chancen – Weitere zentrale Punkte eröffnen sich in dem gemeinsamen Vorgehen von staatlichen Institutionen und Unternehmen. Hier sind vor allem Möglichkeiten zur notwendigen Weiterqualifizierung im Rahmen globaler Märkte zu nennen, die Verdienstlücke zwischen Männern und Frauen durch aktive Fördermaßnahmen zu verkleinern und zu schließen, sowie KMU’s dabei zu unterstützen, die Chancen der globalen digitalen Wirtschaft in ihrem Sinne zu nutzen. Während die Verlagerung von Fabriken (und Arbeitsplätzen) nach Asien eher eine Einbahnstraße war, eröffnen sich im Zuge der Globalisierung 4.0 mit neuen digitalen Geschäftsmodellen und Angeboten ‚…as a Service…‘ wieder neue Möglichkeiten für Marktteilnehmer auf der ganzen Welt.
Verteilungsproblematik adressieren – Ein Blick in zahlreiche Statistiken in vielen Ländern dieser Welt offenbart, dass neben den Ärmsten der Welt besonders auch die Reichsten von der Globalisierung profitieren. Weniger eindeutig als am oberen und unteren Ende der Einkommensskala sind die Ergebnisse im großen mittleren Einkommenssegment, in dem sich daher auch die größte Skepsis gegenüber Auswirkungen der Globalisierung bemerkbar macht. Es muss zu denken geben, wenn nennenswerte Teile der Beschäftigten von der grundsätzlich positiven Entwicklung nicht profitieren.
Potenzial von Innovationen weiterentwickeln
Globalisierung in jeder bisherigen Form hat, allgemein betrachtet, zunehmenden Wohlstand in diese Welt gebracht. Hieran wird sich auch nicht viel ändern. Globalisierung hat aber vor allem der breiten Mittelschicht in vielen (entwickelten) Ländern finanziell oft nur wenig genutzt, Gewinner waren die Ärmsten und Reichsten dieser Welt. Globalisierung, ohne weitere Änderungen, könnte also auf lange Sicht nicht nur zu einer Polarisierung, sondern auch zu einer Spaltung der Gesellschaft beitragen.
Die digitale Transformation eröffnet aber für alle Bevölkerungsschichten potenziell signifikante Möglichkeiten vom globalen Wachstum zu profitieren. Vor allem neue Geschäftsmodelle haben großes Potenzial. Aufgabe aller wirtschaftlichen Stakeholder muss es sein, dieses Potenzial von Innovationen durch Bildung und Kooperation vor allem in den mittleren Einkommensschichten weiterzuentwickeln und damit die Vorteile der Globalisierung wirklich für alle sichtbar und greifbar zu machen.
Prof. Dr. Thomas Osburg lehrt Sustainability, Innovation und Digitale Transformation an der Fresenius Hochschule, München (thomas@thomasosburg.com).