Stuttgart (csr-magazin) – Haben Sie schon mal Fridays-for-Future-Demonstrantinnen in der U-Bahn einen CSR-Bericht schmökern sehen? Nein? Wir auch nicht. Kein Wunder, denn die CSR-Kommunikation findet noch immer hauptsächlich in genau diesen sperrigen Fachmedien und damit weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Doch der Druck auf Unternehmen, nachhaltige Lösungen zu finden, steigt und damit auch der Bedarf an einem Storytelling-for-Future.
Von Riccardo Wagner und Sebastian Pranz
Dabei scheitert es nicht an der Technik: 5G, Smartphones & Co sorgen dafür, dass uns in der digitalen Kommunikation völlig neue Wege zur Verfügung stehen, Menschen zu informieren, zu unterhalten und zu berühren. Unser Umgang mit Technologie wird in Zukunft noch stärker von Videoinhalten geprägt sein, die als immersive 360°-Ansichten dargeboten werden, ebenso wie von interaktiven Spielformen (Gamification). Auch virtuelle Welten (VR), in die man vollständig eintauchen kann, und virtuelle Inhalte, die unsere Realität erweitern (Augmented Reality, AR), werden im Web 3.0 eine zentrale Rolle spielen. Tim Cook, CEO des Apple-Konzerns, sendete vor wenigen Wochen ein klares Signal an die Technologiegemeinde: “Ich bin begeistert von AR. Meiner Meinung nach ist dies das nächste große Ding und es wird unser ganzes Leben durchdringen”, so Cook.
Das Next Big Thing der CSR-Kommunikation?
Aber gilt das auch für die CSR-Kommunikation? Diese Frage stellen wir im Rahmen des Ende 2019 gestarteten interdisziplinären Forschungsprojektes “Immersive Storyworlds in Sustainability Communications”. An dem Projekt wirken Wissenschaftler und Praktiker aus den Bereichen Journalismus, Unternehmenskommunikation, Marketing, Medien und Design sowie Psychologie und Management mit. Unsere zentrale Fragestellung: Welches Potenzial haben neue Storytelling-Formate in der CSR-Kommunikation und inwiefern werden diese bereits genutzt?
Neu ist die Idee der ergänzten (‘augmented’) oder virtuellen Realität freilich nicht, bereits seit knapp drei Jahrzehnten wird zunehmend intensiv über mögliche Anwendungen und Vorteile von AR und VR diskutiert. Inzwischen ist die Technologie über schnelle Prozessoren und leistungsstarke Kameras längst in der Smartphone-Realität angekommen – und damit in der Mitte unserer medialen Alltagswelt. Dies zeigt die Suchmaschine Google, die seit dem letzten Jahr ausgewählte Suchergebnisse auch in AR darstellt.
Was gibt es also zu gewinnen, wenn man in diese Technik investiert? Studien (1) zeigen, dass AR das Erlebnis der Nutzer steigern kann und prinzipiell auf den Unterhaltungswert von Inhalten einzahlt. Gleichzeitig lassen sich komplexe Themen unter Umständen besser darstellen. Dies zeigt ein Beitrag der New York Times, die kürzlich einen Bericht über Feinstaubbelastung mit AR-Inhalten anreicherte: Wer der App den Zugriff auf die Kamera des Smartphones erlaubt, kann sich die Feinstaubbelastung der schmutzigsten Städte der Welt als dreidimensionale Visualisierung ins Wohnzimmer holen.
Das Potenzial für die CSR-Kommunikation liegt auf der Hand: Wo es um Nachhaltigkeit geht, müssen komplexe Informationen so vermittelt werden, dass sie beim Nutzer wirken. Doch wie sieht es mit der Nutzung dieser Technologien in der CSR-Kommunikation aus? Dieser Frage sind wir im ersten Studienabschnitt mit Hilfe eines Mixed-Method-Ansatzes nachgegangen. In qualitativen Interviews, einer Gruppendiskussion sowie einer quantitativen Umfrage wurde ein erster Status quo zu dieser Frage erhoben – die gewonnenen Erkenntnisse wurden durch eine exemplarische Analyse von Unternehmenswebsites flankiert. Die Erhebung zeigte sehr deutlich, dass Praktiker aus dem Feld der CSR einen großen Bedarf an neuen kommunikativen Wegen sehen. Die Aussage “Die CSR-Kommunikation braucht neue Wege, um Kunden überhaupt zu erreichen” traf für 32,6% der Befragten voll und ganz zu (n=135), 34,2% der Befragten sahen großes Potenzial neuer Erzählformen wie AR und VR im Kampf um die Aufmerksamkeit der Kunden (n=117) (Siehe Abb.1).
Schaut man sich allerdings an, in welchem Umfang innovative Ansätze bereits genutzt werden, zeigt sich, wie weit der Weg noch ist: 73,3 % der Befragten gaben an, AR nie zu nutzen, bei VR waren es sogar 75,9% (siehe Abb. 2 und 3) Interessant ist jedoch, dass der Einsatz immersiver Erzählformate weiterhin mehrheitlich nicht geplant ist, und das obwohl den Technologien in Sachen Komplexitätsreduktion, Kundenakzeptanz, Aufmerksamkeits- oder Vertrauensbildung großes Potenzial und Chancen zugesprochen werden (siehe Abb. 1).
Die Gründe dafür könnten finanzieller Natur sein: die Mehrheit der Befragten gab an, dass der Einsatz immersiver Medientechnologien im CSR-Budget nicht darstellbar sei Daneben glaubte ebenfalls mehr als die Hälfte der Befragten, dass es für den Einsatz innovativer Storytelling-Formate den Unternehmen intern an Kompetenz fehle.
Doch wie kann nun der Schritt in Richtung Storytelling-for-Future gelingen? Denn Fakt ist: Lange wird der Bereich nicht “Neuland” bleiben und die Erwartungen der Nutzer werden entsprechend steigen. In der ergänzenden Gruppendiskussion und den Interviews zeigte sich, dass es nicht darum gehen kann, alten Wein in neue Schläuche zu packen, sondern dass CSR-Kommunikation und die damit verbundenen, mitunter sehr komplexen fachlichen Themen völlig neu gedacht werden müssen. Das gilt vor allem mit Blick auf die Knappheit von Zeit und Geld.
Grundsätzlich gilt es, ernsthaft und kritisch zu reflektieren, wo AR & Co. wirklich sinnvoll eingesetzt werden können. Welche kommunikativen Probleme lassen sich damit besser lösen? Was will der Nutzer? Und auf welchem Vorwissen kann man hier aufsetzen? Das wird ohne gezielte Forschung und abgesicherte Tests nicht herauszufinden sein. Wer in AR investieren möchte, sollte sich also zuerst analytisch mit der eigenen Kommunikation auseinandersetzen: Denken Sie nicht an Showcases, sondern investieren Sie in strategische Entwicklung. Durchforsten Sie Ihr Themenportfolio und überlegen Sie, wie sich diese neuen Formate im Sinne einer wirklich Integrierten Kommunikation eingliedern lassen. Die Umsetzungen müssen nicht nur kreativ sein, sondern sollten ein strategischer Teil des eigenen Corporate Storytellings werden.
Prof. Dr. Riccardo Wagner und Prof. Dr. Sebastian Pranz lehren und forschen an der Macromedia Hochschule
(1) Rauschnabel P.A. (2018) A Conceptual Uses & Gratification Framework on the Use of Augmented Reality Smart Glasses. In: Jung T., tom Dieck M. (eds) Augmented Reality and Virtual Reality. Progress in IS. Springer, Cham