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Trusted Innovations und die Rolle der CEOs

Foto: Gerd Altmann auf Pixabay

Contra Vertrauensverluste in der Digitalen Transformation

Die Bedeutung von Vertrauen für Produkte, Marken und Unternehmen ist nicht neu. In Zeiten Digitaler Transformation erlangt institutionelles Vertrauen aber einen immer wichtigeren Stellenwert, denn die Komplexität neuer technologischer Lösungen wird von immer weniger Kunden und Bürgern verstanden. Wenn das Produkt oder der Service aber nicht verstanden wird und auch das Vertrauen der Konsumenten in neue Lösungen fehlt, werden Innovationen immer schwieriger zu Erfolgen im Markt. Welche Rolle kann individuelles Vertrauen im digitalen Zeitalter spielen? Warum reicht es nicht, ‚nur‘ transparent als Unternehmen zu agieren?

Von Thomas Osburg

Wer heute oder in Zukunft in einer Großstadt wohnt (pardon: Man sagt ja jetzt eher ‚Urban Living‘), dem kann vor lauter Intelligenz um einen herum fast schon schwindelig werden: Smart Mobility und Smart Home wohin man schaut, Smart Living und Smart Learning werden das Leben unserer Kinder prägen. Der berühmte Kühlschrank füllt sich natürlich von selbst auf – und falls nicht, muss man mit ihm im wahrsten Sinne des Wortes mal ein ernstes Wörtchen ‚reden‘.

All das hat unbestreitbar enorme Vorteile für die Kunden und wird meist unter ‚Convenience‘ subsummiert. Die alte Angst vor Datenmissbrauch wird aufgewogen durch neue Anwendungen, die das Leben der Menschen bereichern. Kaum ein Jugendlicher schaltet heute noch sein Smartphone aus, damit Apple, Google und Co. den aktuellen Standort nicht kennen.

Nehmen wir als Beispiel das Projekt ‚GoogleUrbanism‘: Entworfen wird hier eine plausible urbane Zukunft auf der Grundlage von Städten, die als wichtige Standorte für Datenextraktivismus fungieren – die Auswertung von Daten, die von Einzelpersonen gesammelt wurden, durch Technologien der künstlichen Intelligenz, die es Unternehmen wie Alphabet, der Muttergesellschaft von Google, ermöglichen, als Anbieter anspruchsvoller und umfassender Dienstleistungen aufzutreten. Die Städte selbst, so das Projekt, würden einen Teil der Einnahmen aus den Daten erhalten. Alphabet will im Wesentlichen die Standardplattform für andere kommunale Dienste sein. Die Städte, so heißt es, waren schon immer Plattformen; jetzt werden sie einfach digitalisiert.

Kritiker sehen die Rolle von Alphabet vor allem darin, gewinnbringende Allianzen mit anderen Stakeholdern in Städten aufzubauen, von Immobilienentwicklern bis hin zu institutionellen Investoren, wobei die Bürger die Lieferanten der Daten sind. Alleine aus technologischer Sicht erscheint es plausibel, dass Google/Alphabet für viele Städte bessere und aktuellere Daten zur Stadtentwicklung hat als die Städte selber. Wie aber sollen diese Daten genutzt werden? Städte stehen dem Modell eher skeptisch gegenüber, denn sie würden damit quasi die gesamte Stadtplanung einem amerikanischen Konzern überlassen.

Und anhand dieses Projektes stellt sich bereits die zentrale Frage: Bürger verstehen die Technik nicht wirklich, sie haben auch wenig Vertrauen in solch ein Projekt. Trotzdem werden durchaus mögliche individuelle Vorteil erkannt (z.B. verbesserte Verkehrswegeplanung für den eigenen Weg zur Arbeit). Wie können die Initiatoren dieses Projekts nachhaltig Vertrauen aufbauen?

Vertrauen als Reduktion von Komplexität

Neue digitale Lösungen werden uns inzwischen fast täglich vorgestellt, der Innovationsprozess ist unaufhaltsam. Jedoch ist mitnichten jede Neuerung eine echte Innovation. Wie wir seit Joseph Schumpeter wissen: ‚Innovation is not inventors inventing, but customers adopting“. Die aktive Adoption (Kauf, Nutzung) durch Kunden, Verbraucher, Bürger und Nutzer macht erst aus einer neuen technologischen Lösung eine echte Innovation.

Die Forschung zum Konsumentenverhalten betont seit Jahrzehnten das kognitive Wissen, das Kunden oft haben müssen, um Neuerungen anzunehmen. Es ist von zentraler Bedeutung, dass Kunden verstehen, wie neue Lösungen funktionieren. Das Wissen um die Funktionsweise, die Auswirkungen und die Benefits führen im Idealfall zum Kauf des Produktes.

Dies ist jedoch in vielen Bereichen der Digitalen Transformation nicht unbedingt gegeben. Zahlreiche neue Technologien überfordern nicht nur den Durchschnittskonsumenten, auch technikaffine Personen haben oft Mühe, neue Technologien einschätzen zu können und damit einen Kauf in Erwägung zu ziehen.

Dieses nicht vorhandene Verständnis neuer Lösungen ist kein Phänomen der Digitalen Transformation. Wenn jedoch eine Produktlösung nicht verstanden wird, so gibt es doch etwas, das die Verbraucher den Kauf tätigen lässt: Vertrauen. Und dieses Vertrauen manifestiert sich vor allem im Vertrauen gegenüber dem Anbieter oder der Marke. Der Soziologe Nikals Luhmann versteht unter Vertrauen vor allem die Reduktion von Komplexität. Im Wissen um das eigene Unwissen über detaillierte digitale Innovationen spielt das Vertrauen zum Anbieter eine zentrale Rolle.

Von institutionellem zu individuellem Vertrauen

Eine grundlegende Unterscheidung in der Tradition der Vertrauensforschung bezieht sich auf die Trennung von „Systemvertrauen“ und „persönlichem Vertrauen“. Während persönliches Vertrauen auf die individuellen Eigenschaften, Bedingungen, Einflussfaktoren und Wirkungen von zwischenmenschlichem Vertrauen in den unterschiedlichsten lebensbereichsspezifischen Kontexten abzielt, bezieht sich Systemvertrauen auf das Phänomen des Vertrauens eines Individuums in soziale Systeme oder Organisationen und Institutionen.

Über Jahrzehnte wurde eine zunehmende Relevanz von Systemvertrauen im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung diagnostiziert. Diese wird z.B. erforderlich durch räumlich-zeitliche Distanzzuwächse in unserem Alltag, den Einfluss komplexer Systeme, die Entkörperlichung und Neuordnung sozialer Beziehungen und eine stetige Zunahme von Expertise (Menschen vertrauen rein der Expertise eines anderen Menschen, ohne ihn zu kennen). Ein Wandel von persönlichen zu entpersonalisierten, generalisierten Vertrauensbeziehungen war lange in modernen Gesellschaften zu beobachten. An die Stelle persönlicher Vertrauensbeziehungen trat das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit und Verlässlichkeit eines Systems sowie in die Gültigkeit und Verlässlichkeit von Strukturen und Verfahren

In den letzten Jahren jedoch hat das Wachstum von Social-Media-Plattformen in Verbindung mit dialogorientierter Kommunikation das allgemeine Vertrauen der Menschen von einer hierarchischen Top-Down-Orientierung (Systemvertrauen) zu einer eher horizontalen Ausrichtung (persönliches Vertrauen) verschoben, wobei Freunde und Gleichaltrige als vertrauenswürdiger angesehen werden als Institutionen. Die Verlagerung des Vertrauens auf mehr lokale und persönliche Quellen hält immer noch an. Das Edelman Trust Barometer 2019 zeigt auch, dass sich das individuelle Vertrauen auf die Beziehungen innerhalb der Kontrolle der Menschen verlagert hat.

So ist seit einigen Jahren – sehr gut dokumentiert durch die jährlichen Surveys des Edelman Trust Barometers zu Bürgervertrauen – festzustellen, dass dieses so notwendige Systemvertrauen (Vertrauen in Unternehmen) zunehmend geringer wird. ‚Too many innovations‘ ist inzwischen kein Lob für Innovationstätigkeit mehr, sondern ein Ausdruck fehlenden Konsumentenvertrauens in die immer schneller auf dem Markt verfügbaren neuen Lösungen. Unternehmen bekommen zunehmend ein Glaubwürdigkeitsproblem, da kaum mehr vermittelt wird, welchen Sinn die Neuerungen wirklich für Kunden und Konsumenten haben.

Große Teile der Bevölkerung haben also das Vertrauen in Marken, Führungskräfte und Systeme verloren, aber Millionen von Menschen vermieten jeden Tag ihr Haus an Fremde, tauschen online kryptische Informationen aus oder steigen in das Auto eines unbekannten Fahrers ein. Rachel Botsman nennt dies ‚Distributed Trust‘; ein Paradigmenwechsel, der durch neue Technologien, die die Regeln verändern, vorangetrieben wird.

Taucht man tiefer in die Struktur des abnehmenden Vertrauens gegenüber Institutionen ein, so kann man ebenfalls eine massive Spaltung zwischen Gruppen von Bürgern hinsichtlich ihres Vertrauensniveaus beobachten, einen ‚Digital Divide‘. Das Vertrauen der ‚Informed Public‘ (meist höhere Einkommen und höhere Bildung) erreichte 65%, während die ‚General Population‘ den Institutionen mit nur 49% Vertrauenden weiterhin überwiegend misstraut. Diese tiefgreifende ideologische Kluft kann Nationalismus, Protektionismus und aufständischen Basisbewegungen breiten Raum geben.

Folglich führt diese Verlagerung von anonymem institutionellem zu individuellem Vertrauen zu einem Anstieg des Vertrauens gegenüber bekannten Personen, d.h. gegenüber Freunden und Familie, aber auch gegenüber Personen, die in der beschäftigenden Firma arbeiten, die sich zu einer großen Vertrauenseinheit entwickelt. Beziehungen zu nahestehenden Menschen geben ihnen ein besseres Gefühl. Die Menschen haben wenig Vertrauen, dass gesellschaftliche Institutionen ihnen helfen werden, sich in einer turbulenten Welt zurechtzufinden.

Handlungsoptionen für Unternehmen

Welche Möglichkeiten haben nun Unternehmen, auf diese Entwicklungen in ihrem Sinne zu reagieren? Eine erste, oft beobachtete Reaktion besteht in dem öffentlich vorgetragenen Versprechen, in Zukunft mehr Transparenz zu schaffen. Die Forderung nach Transparenz wird sehr oft als Grundlage für den Aufbau von Vertrauen genannt, insbesondere als Folge der zunehmenden Wirtschaftsskandale. Große Unternehmen nutzen ‚Transparenz‘, um so durch gesteigerte und angeblich offenere Kommunikation Vertrauen einzufordern.

Hier ist allerdings kritisch anzumerken, dass in vielen Fällen selbst eine sehr weit gehende Transparenz wenig hilfreich ist, denn nur wenige Kunden verstehen z.B. detaillierte komplexe Wirkungsketten (z.B. Lieferketten im Modesektor). Es ist daher fraglich, ob mehr Transparenz automatisch zu mehr Vertrauen führen kann. Aber woher kommt dann die Forderung nach Vertrauensbildung durch Transparenz? Der Aufbau von Vertrauen ist nur langfristig möglich, Unternehmen könnten versucht sein, schnellere Wege zu finden, um wieder ein positives Image in den Köpfen der Verbraucher zu erhalten. Echte oder vorgetäuschte Transparenz ist schneller und einfacher zu schaffen als der Prozess der Vertrauensbildung bei den Verbrauchern.

Um in einer von der Digitalisierung dominierten Welt Vertrauen auszubauen oder wiederherzustellen, gibt es zwei Hauptansätze, die ein erhebliches Potenzial bieten: Die Verantwortung der CEO’s sowie die Investitionen in Trusted Solutions (ähnlich Social Innovaton).

Verantwortung der CEO‘s

Da erwiesenermaßen das individuelle Vertrauen steigt und damit auch die Arbeitgeber der Menschen an Vertrauen gewinnen, wird die Rolle des CEO noch erfolgskritischer. Die Forderung nach einer Vorbildfunktion in der Führung durch die CEOs ist nicht neu. In Zeiten des Vertrauensvakuums, das die Institution als Ganzes hinterlässt, stehen sie jedoch unter Druck, mehr und schneller zu handeln, um bei den Mitarbeitern und der Öffentlichkeit ein Gefühl der Sicherheit, der Beruhigung und des Vertrauens zu schaffen. CEOs müssen auch die deutlich gestiegenen Erwartungen an sie als Fürsprecher für Veränderungen in einer noch immer verwirrten und unsicheren Welt betrachten. Wenn die Funktion des Vertrauens darin besteht, die Komplexität zu reduzieren, müssen die CEOs an der „Front“ die Vorteile (und potenziellen Herausforderungen) der Digitalisierung den Menschen erklären.

Zweitens ist es wichtig zu beachten, dass Mitarbeiter und potenzielle Mitarbeiter wollen, dass CEOs über jeden Vorwurf erhaben sind, wenn es darum geht, die Wahrheit zu sagen. Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz sind starke vertrauensbildende Elemente, zusammen mit hohen Erwartungen (74%), dass CEOs die Werte und die Mission der Organisation, die sie leiten, verkörpern.

Trusted Innovations

Der Begriff „Soziale Innovation“ kann als eine zielgerichtete Innovation verstanden werden. Er impliziert in der Regel einen normativen Ansatz, dass etwas Positives für die Gesellschaft geschaffen wird. Neben der sozialen Innovation umfasst das Konzept der „Trusted Innovations“ zusätzlichdie allgemeine Dimension der sozialen Nachhaltigkeit – das Vertrauen, das Gesellschaften zusammenhält. Trusted Innovations sind somit eine Weiterentwicklung der Social Innovations und konzentrieren sich darauf, potenziellen Konsumenten Erfahrungen und Beweise zu liefern. Da die Digitalisierung nicht immer gesehen oder angefasst werden kann, müssen die Unternehmen (durch Innovationen) den Kunden und der Gesellschaft den tatsächlichen Nutzen und Vorteil neuer Lösungen durch vertrauenswürdige Innovationen aufzeigen.

Trusted Innovation baut auf dem Konzept der gemeinsamen Wertschöpfung (Shared Value) auf – für die Gesellschaft und die Wirtschaft gleichermaßen. Kunden können diese Innovationen erleben, sehen oder anfassen können. Das sind nicht nur Worte, sondern echte Lösungen, die von Unternehmen umgesetzt werden und einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Dieser „Beweis“ des positiven Potenzials von Innovationen ist eine Schlüsselkomponente, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Auswege aus dem Vertrauensverlust

In Zeiten digitaler Transformation verstehen Kunden die Technologie immer weniger. Gleichzeitig sehen wir eine Erosion des institutionellen Vertrauens. Beides zusammen kann neue Geschäftsmodelle signifikant behindern. Die Rolle und Glaubwürdigkeit von CEOs sowie die Schaffung von Trusted Innovations können Auswege aus diesem Vertrauensverlust sein.

Zum Autor

Prof. Dr. Thomas Osburg lehrt Sustainable Marketing und Leadership an der Fresenius Hochschule, München (thomas@thomasosburg.com).


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