Nachhaltige kleine und mittlere Unternehmen nutzen digitales Guerilla-Marketing noch wenig. Dabei bietet es durchaus Chancen für die Kommunikation mit Kunden und Öffentlichkeit.
Von Claudia Mende
- Begegnungen in der Lebenswelt
- Das Schweigen der Kleinen
- Kreativität statt Phrasen
- „Ich streich für dich“
- Direkte Kundenkontakte
- Überschaubare Risiken
Der Begriff Guerilla-Marketing klingt nach Kampf, aber es geht hier nicht um kriegerische Taktiken. Guerilla-Marketing meint unkonventionelle und überraschende Marketingaktionen, die mit kleinem Einsatz große Wirkung erzielen können. Unter dem Motto „brain beats budget“ erzielen sie Aufmerksamkeit durch kreative Ideen und stechen so aus der Masse der Werbung hervor.
Die ursprünglich aus den USA stammende Marketingidee will Konsumenten auf eine Art und Weise gewinnen, mit der sie nicht rechnen. Der Begriff geht zurück auf den amerikanischen Unternehmensberater Jay Conrad Levinson (1933-2013), der diese Form des Marketing in der 1980er Jahren speziell für kleine Betriebe entwickelt hat, die sich angesichts der Marktmacht von großen Unternehmen oder Unternehmensgruppen etwas einfallen lassen müssen. Levinson hatte den kleinen Buchhändler vor Augen, der sich zwischen großen Ketten behaupten will und einen flotten Spruch auf seinen Kassenbon druckt, um aufzufallen.
Heute bietet die Digitalisierung ganz neue Möglichkeiten für Guerilla-Marketing. Social-Media-Kanäle ermöglichen die grenzenlose Verbreitung von Text und Bild. Dabei liegt das Erfolgsgeheimnis dieses Marketings darin, den Kunden in ihrer jeweiligen Lebenswelt zu begegnen. Das kann je nach Branche in verschiedenen Spielarten von Guerilla-Marketing geschehen.
Ambush-Marketing nutzt Events wie Konzerte oder Sportveranstaltungen, um auf auffällige Weise für ein Produkt zu werben. Ambient-Marketing spielt sich an Orten ab, an denen die Kunden leicht zu finden sind. Der Hygieneartikelhersteller würde dann etwa Toiletten als bevorzugten Ort nutzen, das kann draußen sein oder in U-Bahnhöfen und Geschäften. Als eines der ersten kleinen, nachhaltigen Unternehmen nutzte das 2007 gegründete Kölner Textil-Label Armedangels dieses Instrument und erzielte viel Aufmerksamkeit mit einer Aktion im öffentlichen Raum. Man hatte das Logo des Unternehmens, eine Frau mit Engelsflügeln, die Pfeil und Bogen in den Händen hält, in Köln und anderen Städten mit einem Hochdruckreiniger auf das Straßenpflaster gebannt. Wer vorbeilief, sah das Signet des Start-ups. Die Aktion und ihre digitale Verbreitung trugen wesentlich dazu bei, die Marke in der Anfangsphase bekanntzumachen.
Aber Armedangels stellt eher eine Ausnahme dar. Denn obwohl Guerilla-Marketing eine Taktik der „Kleinen“ sein will, sind es tatsächlich eher große Unternehmen, die diese Form der interaktiven Kundenkommunikation nutzen.
„Viele kleine und mittlere Unternehmen kommunizieren ihr nachhaltiges Engagement noch zu selten, selbst wenn sie Herausragendes leisten,“ sagt Jens Boscheinen, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Nachhaltigkeit und digitale Kommunikation an der Hochschule Neu-Ulm. So wie das Unternehmen Taifun-Tofu GmbH, das 2020 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie kleine und mittlere Unternehmen erhalten hat. Der Freiburger Öko-Pionier konnte mit kurzen Transportwegen dank europäischem Soja-Anbau, mit einer CO2-armen Herstellung, der Verwendung von 100 Prozent Öko-Strom sowie dem Einsatz von Photovoltaik und Wärmegewinnung die Jury überzeugen.
Viel gäbe es für den Hersteller zu kommunizieren. Doch hier ist das preisgekrönte Unternehmen zurückhaltend. Neben klassischen Formaten wie Rezepten auf der Website gibt es nur eine Facebook-Seite mit wenigen Einträgen und einen Auftritt bei Xing. Ein paar klassische Firmenvideos auf Youtube sprechen keine große Zielgruppe an.
Für Boscheinen ist das nicht ungewöhnlich. „Mittelständische Unternehmen tun viel, von der energetischen Gebäudesanierung bis zum sozialen und regionalen Engagement,“ meint er, doch falle es ihnen immer noch schwer, darüber zu reden. Social-Media-Kanäle würden häufig wegen fehlender Personalkapazitäten nicht genutzt. Welche Chancen ein Instrument wie Guerilla-Marketing bietet, sei vielen nicht bewusst.
Wenn es Nachhaltigkeitskommunikation gibt, dann sei sie oftmals einfallslos, kritisiert Hassaan Hakim von der Werbeagentur Yool. Viele Unternehmen hätten keine bessere Idee, „als ihren Kunden zu versprechen, sie könnten durch den Kauf eines Produkts ‚die Welt ein bisschen besser machen‘ oder sogar ‚die Welt retten‘“. Mit solchen Phrasen ließen sich aufgeklärte Menschen heute definitiv nicht mehr ködern. Guerilla-Marketing dagegen biete einen anderen Blick auf Nachhaltigkeit.
„Nachhaltigkeitskommunikation muss ebenso wie jede andere Form der werblichen Ansprache kreativ sein und Menschen in ihrem Alltag inspirieren“, so Hakim. Richtig angewandt habe Guerilla-Marketing das Potential, öko-soziale Themen im öffentlichen Raum kreativ und authentisch zu inszenieren.
Wie eine Guerilla-Aktionen funktioniert und viral geht, hat Yool beispielhaft für die Kampagne „Öko + Fair ernährt mehr!“ vom Naturland-Verband für ökologischen Landbau und Weltladen-Dachverband gezeigt. Mitarbeiter der Agentur haben dabei als fiktives Agrarunternehmen getarnt, auf einem Wochenmarkt Billiglebensmittel angepriesen, die nur durch die konsequente Ausbeutung von Mensch und Natur so günstig seien. Die Kunden griffen bereitwillig zu, wurden dabei gefilmt und gaben der Agentur ihre Bildrechte. Durch Überzeichnung des Themas entstand ein witziges Video, das rund 500.000mal angeklickt wurde. Die Resonanz war groß, weil im Netz weitergeleitet wird, was auffällt und interessant, aber nicht unbedingt als Werbebotschaft zu erkennen ist. ((Link zum Video: www.facebook.com/watch/?v=1230786500281740))
Die Bio-Branche ist gerade dabei, solche Mitmach-Aktionen als Marketinginstrumente zu entdecken. Wie sie erfolgreich gelingen können, hat das kleine Familienunternehmen Nabio vorgemacht. Nabio produziert seit 2005 Bio-Convenience-Produkte wie Aufstriche und Suppen in ökologischer und regionaler Qualität. Mit der Agentur Yool zusammen hat Nabio Guerilla-Marketing genutzt, um sich 2019 vor der Bio-Fachmesse in Nürnberg neu als junge, innovative Marke zu positionieren. In der Kampagne „Ich streich für dich“ stellt Nabio in den Vordergrund, dass der Kunde sich mit dem Produkt selbst etwas Gutes tut. ((Link zum Video: https://vimeo.com/378313846))
„Wir haben einen ganzen Tag lang am Berliner U-Bahnhof Alexanderplatz mit Nabio-Aufstrichen leckere Brote geschmiert und diese an Hungrige verteilt,“ sagt Donata von Reiche, Pressechefin von Nabio. „Daraus entstand ein kurzer Film, den wir über Facebook, Instagram und unsere Website verbreitet haben oder auf Messen präsentieren.“ Angesichts des Erfolgs von „Ich streich für dich“ hat Nabio eine weitere Guerilla-Marketingaktion durchgeführt. Dabei hat ein „Eintopf-Express“ einen Tag lang in Berlin gratis Suppen ausgeteilt. Das Video von der Aktion wurde wieder über soziale Netzwerke verbreitet. ((Link zum Video: https://vimeo.com/389205670))
Von Reiche ist davon überzeugt, dass Guerilla-Marketing für nachhaltige kleine und mittlere Unternehmen besonders gut geeignet ist, „weil es einen direkten Kundenkontakt ermöglicht, anders als etwa Plakatkampagnen, die darüber hinaus großflächig ausgesteuert sehr kostspielig sind.“ Allerdings gibt sie zu bedenken, dass Guerilla-Marketingaktionen von Kreativität und Spontaneität leben und diese Werte auch zur Marke passen müssten. Für ein traditionsbewusstes Unternehmen wäre eine Aktion zum Mitmachen in der U-Bahn nicht das Richtige.
Das unterstreicht auch Sascha Langner vom Institut für Marketing and Management an der Leibniz-Universität Hannover. Guerilla-Marketing habe nur dann Erfolg, wenn Aktionen zum Unternehmen, zum Produkt und zu den Kunden passen, meint er. „Es ist wichtig, nichts tun, was dem Kerngedanken des Unternehmens widerspricht“. Dazu brauche es „eine Denkhaltung aus Kundensicht.“ Man müsse sich Fragen stellen wie: „Wo hält sich der Kunde auf, wo kauft er ein, wie kann ich direkt auf ihn zugehen?“
Wenn Guerilla-Marketingaktionen authentisch und in ein Marketing-Konzept eingebunden sind, dann können sie gerade für kleine und mittlere Unternehmen wirksame Instrumente darstellen. Sie können mehr Traffic und Reichweite für Websites, mehr Online-Umsätze sowie mehr Verlinkungen auf Unternehmen, Produkt und Angebot schaffen. Die Risiken dagegen sind für kleine und mittlere Unternehmen überschaubar, wenn juristische Fragen wie etwa das Recht am eigenen Bild vorher ausreichend geklärt wurden.
Mittelständische Betriebe können schneller umsteuern als große Konzerne, falls etwas aus dem Ruder läuft, denn sie sind näher an in ihre Kunden dran. „Der unschätzbare Vorteil von Guerilla-Marketing liegt gerade für kleine und mittlere Unternehmen darin, dass sie direkt die Kunden fragen können: ‚Was hat dich gestört? Was können wir besser machen?‘“, sagt Langner. Richtig genutzt, bietet Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen eine gute Chance, um ihr Engagement für Nachhaltigkeit glaubwürdig und effektiv zu kommunizieren. Manche haben das bereits entdeckt.