Shitstorms sind ein Ausdruck der Re-Politisierung unserer Gesellschaft. So sieht es Thorsten Greiten, Chef der digitalen Unternehmensberatung Net-Federation. Mit ihm sprach Jan Thomas Otte für das CSR MAGAZIN
CSR MAGAZIN: Taugt „Corporate Cause Promotion“ als Bindeglied von privatwirtschaftlichen Unternehmen und der Gesellschaft?
Thorsten Greiten: Die Zeiten haben sich durch Digitalisierung grundlegend und fundamental geändert, die Entwicklung ist rasant. Unternehmen müssen nun, mehr oder weniger optimal, mit ihrem Digitalmarketing reagieren. ESG-Standards werden überlebenswichtig, sogar wenn es um frisches Kapital oder einen Investor geht. Große Vermögensverwalter denken radikal um und geben den Konzernen vor, das Thema Nachhaltigkeit schleunigst zu verinnerlichen. In den Unternehmen geht es längst nicht mehr nur um das finanzielle Reporting oder den nächsten Quartalsbericht durch Investor Relations. Investoren fordern nun ein vertiefendes “Bewusstsein”, einhergehend mit der Vermittlung von Kultur und Werten sowie deren Einbindung in die Organisationsstruktur.
Digitalisierung überfordert schnell. Worauf kommt es beim „Story Telling“ an?
Ein Trugschluss, der sich auch in größeren Firmen hartnäckig hält, ist, dass sich der User aktiv um Informationen zu bekommen auf die Webseiten von Unternehmen begibt. Zu allem Überfluss scheinen diese einbetoniert als PDF auf der firmeneigenen Webseite. Eine Digitalstrategie muss den umgekehrten Weg gehen. Informationen müssen zum User kommen, nicht umgekehrt! Nutzer konzentrieren sich vermehrt auf Plattformen, die mit „User Generated Content“ befüllt werden, statt aktiv auf Konzern-Webseiten nach Downloads zu surfen. Attraktiv sind solche Inhalte, welche möglichst live und ohne große Filter über soziale Netzwerke mobil funktionieren.
Somit verlagert sich die Macht der Kommunikation bestimmter Inhalte vom Anbieter auf die nachfragenden Akteure.
Kommunikation von Firmen, welche darauf abzielt, eine höhere Relevanz und Akzeptanz in der Gesellschaft zu bekommen, muss mit lawinenartigen Effekten wie etwa einem medialen „Shitstorm“ umgehen können. Wir erleben eine Re-Politisierung der Gesellschaft durch die Möglichkeiten des Digitalen. Empörung schlägt schnell um in Hysterie, mit der Firmen umgehen lernen müssen.
Das ist ein schmaler Korridor.
So ist Greta Thunberg mit ihrem deutschen Sprachrohr Luisa Neubauer als mobile Influencerin beispielsweise in der Lage, milliardenschwere DAX-Unternehmen mit großer Kommunikationsabteilungen vor sich herzutreiben. Wenn der Siemens-Chef der Schülerin anbietet, einen Platz im Aufsichtsrat einzunehmen, sorgt das nicht nur bei den Aktionären für Unruhe. Unternehmen, die in der digitalen Welt mitspielen wollen, sollten zuerst ihre Hausaufgaben im „Social Listening“ machen. Es ist wichtig, möglichst bewusst und akzentuiert die Dynamiken zu erfahren, mit der alle Netzbeteiligten kommunizieren.
Warum ist diese Vernetzungsdichte gerade jetzt so intensiv?
Die sozialen und ökologischen Themen sind so virulent wie die technischen Möglichkeiten, was unmittelbar zusammenhängt. Bei Vorträgen und Veranstaltungen, die ich physisch und gleichzeitig virtuell vernetzt besuche, treffe ich mittlerweile auf mehr Smartphones und Tablets als auf natürliche Personen. Die Schnittstellen sind mannigfaltig und einfach zu bedienen. Während einem Vortrag kann ich, anders als One-Way-Kommunikation, bereits weitestgehend unabhängig davon Hashtags generieren, Beiträge „liken“ oder Dislikes verteilen. Spontane Aktionen sind so viel leichter möglich und einem breiteren Personenkreis zugänglich.
Ist es mit einem gemanagten Twitter-Account getan für eine Digitalstrategie?
Das Wort „Presse“ hält sich in der Konzernorganisation hartnäckig, auch wenn kaum jemand von uns eine Druckerpresse gesehen hat, haben wir eine bestimmte Vorstellung davon. Das Beispiel zeigt den „mindset“, der immer noch vorherrscht: eine (!) Presse-Mitteilung, in DIN-A-4-Format und für Fax Geräte optimiert. Und dieses hierarchische Denken genügt, top down gerichtet Zielgruppen zu erreichen. Analog zum obersten König, welcher im vor-digitalen Zeitalter gelenkte Wahrheiten an Untergebene herausposaunt…
Bitteschön, was ist das für eine Haltung!
Klar. User werde ich so im Netz kaum erreichen können, keine NGO und auch keinen Suchmaschinen-Crawler. So überzeuge ich keine Menschen und noch viel weniger die Maschinen, welche längst mit Algorithmen und künstlicher Intelligenz bestimmen, was wir wann und wo lesen. Unsere Meinungsbildung ist bereits in Teilen automatisiert. Damit bilden Maschinen die größte Zielgruppe unserer Kunden im Digital-Marketing – gerne und häufig unterschätzt.
Die Auffindbarkeit durch Suchmaschinen-Roboter ist ein entscheidender Hebel, um Gesellschaftsrelevanz zu erzielen.
…dementsprechend muss ich meine Daten besser auffindbar, zugänglich und in einfacher Sprache strukturieren. Konsequent meine Search-Engine-Optimization (SEO), Content-Syndication und Chat-Robotics überdenken und stetig entwickeln. Der Content von heute muss teilbar und mobil sein und gleichzeitig zum Weiterleiten animieren. Die inhaltliche Relevanz ist größer als das reine Produkt, das die Firma verkauft. Verlinkte Stories, publiziert in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken, erhöhen die Anzahl von Backlinks, sind aber nur ein Teil vom Workflow und Rating einer Suchmaschine.
Vielen Dank für das Gespräch!