Computergesteuerte Roboter in der Industrie, Smart Home-Lösungen, Autonomes Fahren oder Smart Cities –die Digitalisierung erscheint vielen als ein Segen. Im Hinblick auf den Verbrauch an Energie und Elektroartikeln aber wird sie zum Fluch: immer mehr Geräte werden gebraucht und produziert – und das häufig für eine immer kürzere Lebensdauer. Umweltschonend und nachhaltig ist das nicht.
Von Natalie Weirich
Ein Beispiel: Wie viel Energie verbrauchen Sie, wenn Sie ein zehnminütiges Video in HD auf Ihrem Smartphone streamen? Genauso viel Energie wie ein Herd mit zwei Kilowatt Leistung, der fünf Minuten lang auf höchster Stufe läuft. Das hat ein Forschungsteam des französischen Think Tank „The Shift Project“ herausgefunden: Zusammengenommen sollen Digitaltechnologien mittlerweile für 3,7 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sein. Im Vergleich: Auf den zivilen Luftverkehr entfielen in 2018 lediglich zwei Prozent der Emissionen. Je nach Szenario prognostiziert die Studie einen Anstieg des Digital-Anteils bis 2025 auf mehr als acht Prozent – der damit höher läge als der aktuelle Anteil von Autos und Motorrädern. Natürlich ist es nicht einfach, solche Zahlen zu erheben, das betont auch die Studie. Trotzdem stimmen solche Kennzahlen bedenklich und sollten sowohl Wirtschaft, Wissenschaft, Politik als auch Verbraucher zum Nachdenken bewegen.
Es ist etwas in Bewegung gekommen, das zeigt zum Beispiel die Veranstaltung „Electronics Goes Green“, die alle vier Jahre in Berlin stattfindet. Hier treffen sich Politiker, Umweltexperten, Wissenschaftler und Techniker aus der ganzen Welt, um sich über Themen wie „nachhaltige Technologien“, „Energieeffizienz“, „Materialeffizienz,“ aber auch Geschäftsmodelle wie „Circular Thinking“ auszutauschen.
Circular Economy
Gerade der Ansatz der „Circular Economy“ – zu Deutsch: Kreislaufwirtschaft – wird weiter an Bedeutung zunehmen, da er nachhaltig und ganzheitlich ist. Es handelt sich um ein regeneratives System, das Elektro-Müll als Ressource sieht. Durch langlebigere Konstruktionen von Geräten, Instandhaltungen, Reparaturen, Wiederverwendungen, Aufbereitungen (Remanufacturing), Modernisierungen (Refurbish) oder Recycling sollen der Ressourceneinsatz besser gesteuert, die Abfallproduktion minimiert, Emissionen reduziert und Energieverschwendungen eingedämmt werden.
Modulare Smartphones
Um dieses Konzept zu verwirklichen, gibt es unterschiedliche Ansätze: Einige Firmen haben sich beispielsweise auf langlebigere Konstruktionen und Recycling spezialisiert, so die SHIFT Phone. (mit Firmierung oder ohne die) Sie produziert ein Smartphone, das mittels einer modularen Bauweise eine wesentlich längere Nutzungsdauer erreichen soll. Neben Tablets sind Smartphones essenziell sowohl für die Steuerung der digitalen Industrie als auch in Privathaushalten. Laut GfK wurden 2018 allein in Deutschland 23 Millionen neue Geräte verkauft. Was viele vergessen: „Die größte Umweltlast verursachen diese Geräte in der Herstellung, mit der Verwendung kritischer Rohstoffe, wertvoller Edelmetalle und der energieaufwendigen Produktion elektronischer Komponenten. Gleichzeitig werden Smartphones immer noch nur sehr kurz genutzt (ca. zwei Jahre) und sind technisch beim Ersatz häufig noch funktionsfähig.“, erklärt Marina Proske vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration. Um dem entgegenzuwirken können beim Shift Phone jetzt schon Teile ohne große Verluste getauscht und weiterverarbeitet werden. Doch das ist nicht genug.
Seit Juli 2019 gibt es ein Forschungsprojekt des Fraunhofer IZM, der Technischen Universität Berlin, des Centre for Sustainability Management (CSM) der Leuphana Universität Lüneburg, Shift Phone und AfB, das der Frage nachgeht, wie Smartphones nachhaltiger und kreislauffähiger designt und genutzt werden können. Es geht darum, den vorhandenen Ansatz der Modularität weiterzuentwickeln und zu prüfen, ob dieser nachhaltig im Sinne von Reparierbarkeit, Upgradefähigkeit und Recyclingfähigkeit ist. „Das Besondere am dreijährigen Forschungsprojekt ist, dass neben technischen Aspekten auch die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen für das Modulkonzept untersucht werden. Ziel ist es, die zirkulären Lösungsansätze modularer Informations- und Kommunikationstechniken auch in die Praxis zu übertragen“, beschreibt Christoph Teusch, Corporate Responsibility Manager bei AfB, das Projekt. Marina Proske fügt erklärend hinzu, dass „die Herausforderungen der kurzen Nutzung aus unterschiedlichen Dimensionen beleuchtet werden: neue technische Ansätze werden entwickelt, diese aus Umweltsicht mittels Ökobilanzen bewertet und gleichzeitig mittels Nutzeranalysen die Bedürfnisse der Anwender erforscht sowie passende Geschäftsmodelle entwickelt. Wir stellen so sicher, dass entwickelte Lösungen nicht nur nachhaltiger als aktuelle Geräte sind, sondern die Geräte auch tatsächlich so genutzt werden, dass ihre Nachhaltigkeit zum Tragen kommt.“ Das Projekt endet im Juni 2022. Dann wird man sehen, wie weit die Technologien modulargebauter Smartphones in Deutschland fortgeschritten sind, ob der Verbraucher sein Verhalten anpassen wird und wie Unternehmen sich wirtschaftlich und sozial umstellen müssen.
Die relevanteste Ressource
Die Modulbauweise von Smartphones ist aber nur ein nachhaltiger Ansatz bei elektronischen Geräten. Parallel gibt es noch viele andere, wie man Elektrogeräte „green“ machen kann. Zunächst eine Frage: Was genau bedeutet eigentlich „Green Electronics“? Eine Antwort darauf zu finden, ist nicht einfach. Für das Fraunhofer IZM beispielsweise erstreckt sich die Thematik von der Energieeffizienz über die Verwendung von kritischen Rohstoffen, die Recyclingfähigkeit, Flammhemmer in Kunststoffgehäusen, Produktlebensdauer, Reparierbarkeit bis zum Einsatz von Rezyklaten. „Während einzelne Themen wie das vollständige modulare und upgradefähige Smartphone noch etwas Zukunftsmusik sind, sind Themen wie Energieeffizienz und die Begrenzung von Flammhemmern schon lange in Industrie und Gesetzgebung angekommen“, schätzt Marina Proske den derzeitigen Stand in der Wirtschaft ein.
Doch gerade im Bereich „Energieeffizienz“ wird derzeit noch viel geforscht, beispielsweise an der Technischen Universität München: Dort gibt es einen Studiengang zu „Green Electronics“, bei dem die Nanotechnologie in Energiegeräten (vor allem die Speicherung, Energiegewinnung und -umwandlung) im Vordergrund steht. „Energie ist wahrscheinlich die relevanteste Ressource, die wir benötigen“, meint Prof. Alessio Gagliardi von der TU München. „Ein Beispiel: Dass Süßwasser sehr wertvoll ist, ist bekannt. Wie wäre es jetzt, wenn wir mit genügend Energie im Prinzip billiges Süßwasser direkt aus Meerwasser produzieren könnten? Es gibt nur einen Grund, warum dies derzeit nicht sehr sinnvoll ist: die Frage der Energie. Ähnliches gilt für viele andere Probleme, bei denen Lösungen manchmal verfügbar, aber aus energetischer Sicht zu teuer sind.” Und genau hier setzt sein Forschungsgebiet an – die Nanotechnologie. „Sie ist die Fähigkeit, Materialien im Nanobereich (1 Milliardstel Meter) zu manipulieren. Dort kann man beginnen, die Materialeigenschaften direkt einzustellen und neue Materialien mit genau den gewünschten Eigenschaften zu entwickeln. So werden neue Gerätearchitekturen und bessere Materialen entstehen, die effizienter sind.“ Effizienter – und damit auch ressourcen- bzw. umweltschonender. Dass dies die Zukunft sein wird, davon ist Prof. Gagliardi überzeugt: „Wir haben jetzt klare Beweise dafür, dass unsere aktuelle Entwicklung keine Zukunft hat. Es ist einfach nicht nachhaltig. Wir müssen uns auf eine bessere, grünere Technologieentwicklung zubewegen. Punkt. Die Elektronik stellt zum jetzigen Zeitpunkt einen großen Teil unserer Technologie dar, dann muss sie auch umweltfreundlicher werden.”
Eine „grünere Technologieentwicklung“ also. Als Definition von „Green Electronics“ vertritt der Studiengangsleiter demnach: „Green Electronics ist eine Elektronik/Technologie, die darauf abzielt, erneuerbare Ressourcen zu nutzen. Ein gutes Beispiel ist natürlich die Nutzung von Elektronik und Geräten zur Nutzung erneuerbarer Energien wie Sonnenlicht und Wärme, aber auch die Verwendung von reichlich vorhandenen und umweltfreundlichen Materialien zur Herstellung unserer Geräte. Eine vollständig kohlenstoffbasierte Elektronik beispielsweise (das heißt Kohlenstoff-Nanoröhrchen oder Graphen-Nanobänder zur Herstellung von Transistoren und organische Halbleiter zur Herstellung von Front-End-Elektronik wie Bildschirme und Monitore) würde wahrscheinlich eine geringere Auswirkung auf die Umwelt haben.”
Organic LEDs
Unterschiedliche Ansätze und dementsprechend unterschiedliche Forschungsbereiche machen es nicht einfach, den aktuellen Forschungsstand im großen Feld der „Green Electronics“ aufzuzeigen. Tatsächlich hängt es von der jeweiligen Technologie ab. Prof. Gagliardi wagt es dennoch, uns seine Einschätzung mitzuteilen: „Organische Halbleiter werden derzeit kommerzialisiert. Nehmen wir zum Beispiel OLED-Fernseher: Hier steht das ‘O‚ für Organic LEDs. Für andere Anwendungen erwarte ich einen längeren Zeitraum, bis sie kommerziell verfügbar sind: Molekulare Elektronik wird beispielsweise noch vielleicht 20 Jahre brauchen. Andere Technologien sind wirklich nah. Bei Kohlenstoff-Nanoröhrchen für die Elektronik erwarte ich nur noch weitere 5 Jahre, bevor sie auf den Markt kommen. Ein Prototyp eines vollkohlenstoffbasierten Transistor-Prozessors auf Basis von Nanoröhren wurde zum Beispiel schon vor einigen Jahren von Stanford hergestellt.“ (Anm. d. Red: Standford University in Kalifornien)
Bis die Technologie soweit ist, sollten Industrie, Politik und Verbraucher versuchen, stärker in Richtung Circular Economy zu denken – egal ob mit Modulbauweise, anderen Green Electronics oder einfach damit, gebrauchte Elektrogeräte an Sammelstellen zurückzubringen, damit sie verwertet oder entsorgt werden können. Nur wenn alle an die Umwelt denken und Ressourcen verantwortungsbewusst nutzen, können die Emissionen bei Digitaltechnologien zurückgehen. Und wer weiß, vielleicht gelingt es der Wissenschaft irgendwann, eine Technologie zu erschaffen, die sich selbst abbauen kann – und das ohne Verluste. „Viele der von uns verwendeten Materialien verwenden einen Prozess, der sich selbst zusammensetzt, zum Beispiel einige Beschichtungsverfahren für organische Moleküle. Beim Selbstzusammenbau setzen sich die Moleküle oder Grundeinheiten spontan zusammen, um die endgültige Zielstruktur zu bilden“, sagt Prof. Gagliardi. „Man kann sich vorstellen, dass wir in Zukunft in der Lage sein könnten, Geräte zu entwerfen, die vollständig selbst zusammengebaut sind und die durch ein korrektes Auslösesignal zur Demontage gezwungen werden können. Auf diese Weise wäre das gesamte Gerät für das Recycling bereit. Eine so fortschrittliche Technik ist jedoch immer noch nicht möglich.”
Natalie Weirich
ist freie Autorin und lebt mit ihrer Familie bei Würzburg.