Frankfurt (csr-news) > Wie kann bei der Produktentwicklung schnell, unaufwendig und kostengünstig bewertet werden, ob das Produkt umweltverträglich ist? Und zwar von der Produktion über die Anwendung bis hin zur Entsorgung? Damit hat sich das Forschungsprojekt „Kurzbilanzierung von Fertigung und Abfallbehandlung beim EcoDesign (EcoScreen)“ befasst. Die Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), die Hochschule Darmstadt (h_da) und das auf Nachhaltigkeit spezialisierte Beratungsunternehmen e-hoch-3 aus Darmstadt haben das Projekt gemeinsam durchgeführt. Bislang vorhandene Kurzbilanzierungsmethoden, die bei der Entwicklung umweltgerechter Produkte, dem sogenannten EcoDesign, genutzt werden, berücksichtigen häufig nur einzelne Umweltaspekte von Fertigungs- und Abfallbehandlungsprozessen. EcoScreen stellt dagegen Kurzbilanzierungswerte zur Verfügung, die erstmals alle relevanten Umweltbeeinträchtigungen dieser Prozesse berücksichtigen. Das Projekt wurde im Rahmen des Förderprogramms „Forschung für die Praxis“ 2015 – Förderlinie 2 gefördert.
Ein Produkt hat nicht nur während seiner Nutzung, sondern auch in den vor- und nachgelagerten Lebensphasen ökologische Auswirkungen. Grundlage für das Verständnis der Entstehung von Umweltbeeinträchtigungen ist daher eine, das ganze Produktleben umfassende, Lebenslauf- oder Life-Cycle-Betrachtung. Der Produktlebenslauf besteht dabei aus den vier Lebensphasen Werkstoffherstellung, Produktion, Nutzung und Recycling/Entsorgung. Bei der Entwicklung umweltgerechter Produkte müssen immer alle vier Lebensphasen berücksichtigt werden. Innerhalb jeder Lebensphase durchlaufen das Produkt und seine Komponenten/Bauteile eine Fülle von Prozessen. Jeder dieser Prozesse benötigt Inputs wie Energie und Materialien und liefert neben den gewünschten Outputs wie Rohstoffen, Halbzeugen, Bauteilen, Komponenten und Produkten auch unerwünschte Outputs wie Emissionen und Abfälle. Umweltbeeinträchtigungen, insbesondere der Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen sowie die Emissionen in Luft, Wasser und Boden, entstehen demnach nicht durch das Produkt an sich, sondern werden immer durch die in den einzelnen Phasen des Produktlebenslaufs auftretenden Prozesse hervorgerufen.
„Die Produktentwicklung hat einen erheblichen Einfluss auf die Umweltwirkungen eines Produktes. Dem Produktentwicklungsbereich in Unternehmen fällt daher eine besondere Verantwortung für die Umwelt zu, da es vor allem industriell erzeugte Produkte sind, die die Umwelt teilweise massiv beeinträchtigen. Produktentwickler/-innen bestimmen durch die Festlegung von Produkten mit ihren Werkstoffen, Fertigungsprozessen, ihrem Energiebedarf, ihren Emissionen und ihren Recycling- und Entsorgungsprozessen maßgeblich die entstehenden Umweltbeeinträchtigungen. Bei der Entwicklung umweltgerechter Produkte müssen Produktentwickler/-innen daher die möglichen Prozesse und ihre Wirkungen in allen Lebensphasen vorab in Betracht ziehen und unter Gesichtspunkten der Umweltgerechtigkeit auswählen, gestalten und optimieren. Unternehmen müssen umweltrechtliche Vorgaben einhalten und können sich zudem an meist freiwilligen Umweltkennzeichnungen bzw. Umweltlabels orientieren. Richten sie sich aber darüber hinaus proaktiv auf die Entwicklung umweltgerechter Produkte aus, spricht man von EcoDesign“, so Ekkehard Schiefer, Professor für Produktentwicklung, Konstruktionslehre und EcoDesign am Fachbereich Informatik und Ingenieurwissenschaften der Frankfurt UAS.
Um ökologische Schwachstellen frühzeitig identifizieren, geeignete Maßnahmen rechtzeitig ergreifen und so die Umweltbeeinträchtigungen über den gesamten Produktlebensweg minimieren zu können, ist es wichtig, bereits in diesem frühen Stadium wirksame und effiziente Methoden zur Abschätzung der zu erwartenden Umweltbeeinträchtigungen einzusetzen. Oft ist es zu diesem Zeitpunkt nicht immer möglich oder aus Zeit- und Kostengründen zu aufwendig, umfassende Ökobilanzen durchzuführen. „Die Erstellung einer Ökobilanz wird zwar durch Computerprogramme unterstützt, ist jedoch trotzdem sehr aufwendig. So umfasst allein die Ökobilanz eines einfachen Haushaltsstaubsaugers über 300 Prozesse“, erklärt Iris Steinberg, Professorin für Umwelttechnik und Kreislaufwirtschaft am Fachbereich Bauingenieurwesen der h_da. „Zudem erweist sich das Erheben der benötigten Daten in der Praxis oft als schwierig. Häufig sind diese Informationen nicht oder nur in Verbindung mit enormen Recherchen verfügbar. Schließlich erfordert die Auswertung der Ergebnisse Hintergrundwissen, um die komplexen Zusammenhänge richtig zu analysieren und zu beurteilen. Daher kommt Kurzbilanzierungsmethoden hier eine besondere Bedeutung zu, mit denen die zu erwartenden Umweltbeeinträchtigungen – grob aber richtungssicher – abgeschätzt werden können.“
Bislang vorhandene Kurzbilanzierungsmethoden berücksichtigen aber nur einzelne Umweltaspekte der Fertigungsprozesse und nur sehr eingeschränkt Prozesse zur Behandlung der Abfälle bzw. Reststoffe. Sie werden deswegen beim EcoDesign unkritischer eingeschätzt als sie in Wirklichkeit sind. Hinzu kommt, dass die Auswahl der angebotenen Prozesse in Kurzbilanzierungsmethoden sehr klein ist, sodass nicht verfügbare Fertigungs- und Abfallbehandlungsprozesse durch nicht repräsentative Prozesse substituiert und daher nur eingeschränkt realitätsnah ökologisch bewertet werden. Beides führt zu zum Teil erheblichen Unsicherheiten in der Anwendung von Kurzbilanzierungsmethoden und lässt Optimierungspotenziale unerkannt. Das Forschungsprojekt trägt dazu bei, diese Unsicherheiten zu verringern, indem in ausreichender Zahl Kurzbilanzierungswerte für ausgewählte Fertigungs- und Abfallbehandlungsprozesse zur Verfügung gestellt werden, die alle relevanten Umweltbeeinträchtigungen berücksichtigen. Bestehende Bilanzierungsansätze wurden dazu auf Referenzprozesse übertragen, deren Umweltwirkungen bilanziert und zu den einfach zu handhabenden Kurzbilanzierungswerten Eco-indicator und Carbon-Footprint aggregiert.
Erstmals liegen mit EcoScreen vollständige Sachbilanzdatensätze zur Ökobilanzierung von ausgewählten Fertigungs- und Abfallbehandlungsprozessen vor, die die entstehenden Umweltbeeinträchtigungen hinreichend abbilden, weil alle relevanten In- und Outputs zu sämtlichen Teilprozessen bilanziert werden, die den Verfahren zuzurechnen sind. „Die Unsicherheit in der Entscheidungsfindung im Rahmen des EcoDesigns wird so insgesamt reduziert, was die Akzeptanz und Verbreitung des EcoDesigns im industriellen Einsatz erhöht“, betonen Steinberg und Schiefer.
Das Forschungsvorhaben diente gezielt auch der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Forschungsergebnisse flossen unmittelbar in die Lehre ein: In den Modulen EcoDesign (Master-Studiengang Allgemeiner Maschinenbau, Frankfurt UAS), Nachhaltige Produktentwicklung (Bachelor-Studiengang Produktentwicklung und Technisches Design, Frankfurt UAS) und Ökobilanzen (Studiengang Umweltingenieurwesen, h_da) wurden von den Studierenden die entwickelten Kurzbilanzierungswerte in Übungen angewendet, um reale Produkte ökologisch zu bewerten und zu optimieren. An beiden Hochschulen wurden Studierende zudem durch die Vergabe von Bachelor- und Masterarbeiten in die inhaltliche Forschungsarbeit eingebunden. Forschungsergebnisse sollen den wissenschaftlichen Mitarbeitenden in den Folgejahren als Grundlage für darauf aufbauende Promotionsvorhaben dienen.