Die Praxis zeigt: Vertrauen und Kontrolle müssen keine Gegensätze darstellen. Erforderlich sind vor allem eine offene Gesprächskultur und der Informationsaustausch.
Von Maximilian Metzner
Das Vertrauen der Bevölkerung in die deutsche Wirtschaft erodiert. Laut Edelman- Trust-Barometer vertrauen nur noch 34 Prozent der Deutschen darauf, dass die Unternehmen dringende Probleme wie beispielsweise die Finanzkrise in den Griff bekommen. Letztes Jahr waren es noch 52 Prozent. Der Druck von außen, aber auch der sich abzeichnende Fachkräftemangel veranlasst viele Unternehmen über ihre Vertrauenskultur neu nachzudenken. Dabei sehen sie sich einer Vielzahl von Anspruchsgruppen gegenübergestellt, deren unterschiedliche Positionen nicht immer auf einen Nenner zu bringen sind. So fordern staatliche Institutionen wie beispielsweise die Börsenaufsicht, die Einführung strenger Kontrollmechanismen in den Unternehmen. Schlägt sich dies dann auf die Mitarbeiter und deren Verhalten im Tagesgeschäft nieder, kann der Eindruck entstehen, dass die Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern kein Vertrauen entgegenbringen. Ein Dilemma, dass sich nur schwer auflösen lässt und für das es keine Patentrezepte gibt.
Vertrauen statt Kontrolle?
Der Begriff Vertrauen ist zunächst einmal neutral. „Damit Vertrauen positiv aufgefasst werden kann, muss es kombiniert werden mit anderen Grund- werten wie beispielsweise der Integrität“, erläutert Stefan Grüninger, wissenschaftlicher Direktor am Konstanz Institut für Corporate Governance.
In Unternehmen wird Vertrauen oft als Gegenentwurf zu Kontroll- und Machtstrukturen verstanden. Wo das Management vermehrt auf Kooperation statt auf Kontrolle setzt, greift die soziale Komponente von Vertrauen. „Ich halte Zielvorgaben und Anreizsysteme in einem Unternehmen mit ausgeprägter Verantwortungskultur für kontraproduktiv. Vielmehr muss man in einem Vertrauenssystem daran arbeiten, dass Menschen sich selbst Ziele setzen und eigeninitiativ Freiräume gestalten“, konstatiert Erich Harsch, Vorsitzender der dm-Geschäftsführung. Das Unternehmen beschäftigt in Deutschland mehr als 25.000 Menschen und ist bekannt dafür, dass eine ausgeprägte Werte- und Unternehmenskultur gelebt wird.
Vertrauen mobilisiert kreatives und innovatives Handeln. Es erhöht dabei zugleich die Chancen auf erfolgreiche Teamarbeit und Kooperation. Dennoch macht eine ausgeprägte Vertrauenskultur im Unternehmen gewisse Kontrollmechanismen, die etwa durch eine Complianceabteilung entwickelt und gesteuert werden, nicht obsolet. „Kontrolle und Vertrauen wird meist als Gegensatz konstruiert, dabei handelt es sich eher um ein Steigerungsverhältnis. Compliance in Unternehmen bedeutet nichts anderes, als mittels Kontrollen Vertrauen bei Stakeholdern zu schaffen“, erklärt Stefan Grüninger. „Man verlässt sich nicht allein auf die Versprechen von Unternehmen – etwa auf die Aussagen im Code of Conduct –, sondern zusätzlich auf die Umsetzungsmechanismen.“
Vertrauen – die riskante Vorleistung
Probleme bei der Implementierung von Vertrauen entstehen bei den Unternehmen zwangsläufig durch deren – unter Umständen flachen – Hierarchien. Denn eine Voraussetzung für Vertrauen ist der adäquate Informationsaustausch. Nur mit an- gemessener Information kann der Einzelne Entscheidungen treffen und seine Arbeit selbst steuern. Aus institutionenökonomischer Perspektive sind aber Informationen zwischen Vertrauendem und Vertrauensperson ungleich verteilt. Denn wenn der Vertrauende vollständig informiert wäre, würde sich Vertrauen erübrigen. Entscheidet sich der Manager oder Führungsverantwortliche für Vertrauen, geht er ein Risiko ein, indem er gegenüber dem Mitarbeiter auf eine exakte Zielvereinbarung verzichtet. Die Entscheidung für Vertrauen bedeutet aber keinen generellen Verzicht auf Kontrolle. Positiv ausfallende Überprüfungen halten das Vertrauen vielmehr auf- recht. Der Vorteil für die Unternehmensleitung: In dieser Vertrauenskultur wollen die Mitarbeiter das in sie gesetzte Vertrauen nicht enttäuschen. Sie ziehen die Selbst- der Fremdbestimmung vor und sind in der Lage, kreative Ideen und Innovationen zu entwickeln. Gestützt wird dieses Verhalten durch einen gemeinsamen Werte- und Normenrahmen, der Anreize zu moralischem Handeln bietet.
Dass die graue Theorie in der Praxis funktioniert, davon ist Erich Harsch überzeugt: „Unsere Erfahrung zeigt, dass das Zutrauen, das wir den Menschen entgegenbringen, gerechtfertigt ist. Daraus entsteht Vertrauen und der Nutzen für das Unter- nehmen ist erheblich größer als die negativen Auswirkungen, die durch den Missbrauch von Zutrauen entstehen.“
„Speak-up-Culture“ schützt Unternehmen Entscheidend für das Scheitern oder Gelingen von Vertrauensbeziehungen ist der konstruktive Umgang mit Konflikten. Das Unternehmen selbst kann durch gerechte Verfahren das Vertrauen der Mitarbeiter in die Vorgesetzten und die Glaubwürdigkeit des Unternehmens steigern. „Was Unternehmen vor Überraschung schützen kann, ist das, was die Amerikaner „Speak-up-Culture“ nennen: Missstände müssen angesprochen werden können, ohne Angst vor Nachteilen für die Überbringer der schlechten Nachrichten“, so Stefan Grüninger. Dabei sollten die Verfahren vor allem konsistent, unparteilich und korrigierbar sein. Ein von Mitarbeitern geführter Diskurs kann dazu führen, dass neue Steuerungsansätze, klare Verantwortungsstrukturen und Transparenz in den Vordergrund treten und aus der Unternehmenskultur langsam eine Vertrauenskultur erwächst. Gemeinsam gewonnene und als bindend angesehene Wertevorstellungen bieten die Grundlage für das dauerhafte Entstehen von Vertrauen.
Der Beitrag ist zuerst erschienen im CSR MAGAZIN Nr. 5 (1/2012).