Hamburg (csr-news) > Der Report zeigt etwa, welche Inhaltsstoffe in Pflegeprodukten giftig für Meeresorganismen seien sollen – und welche von der Kosmetikindustrie trotz unbekannter Umweltfolgen eingesetzt werden. So wolle Nivea-Hersteller Beiersdorf zum Beispiel bisher von keiner Umweltgefahr durch Mikrokunststoffe wissen und vertraue auf Kläranlagen, teilte Umweltschutzorganisation mit. Doch mit dem neuen Report „Mikrokunststoffe“ würde man den Gegenbeweis für eine Auswahl gängiger Inhaltsstoffe wie Nylon, Polyquaternium und Silikone antreten. Dabei kommt Greenpeace zu dem Schluss, dass selbst moderne Kläranlagen nicht sämtliche Mikrokunststoffe aus Abwässern entfernen können. “Die Kosmetikhersteller drücken sich vor ihrer Verantwortung“, so Sandra Schöttner, Meeresbiologin von Greenpeace. „Wenn nicht sicher ist, dass diese Inhaltsstoffe umweltverträglich sind, haben sie weder auf unserer Haut noch im Meer etwas verloren.“
Synthetische Polymere
Hersteller setzen in Kosmetik- und Körperpflegeprodukten eine Vielzahl chemischer Substanzen ein: Die Liste der Internationalen Nomenklatur für kosmetische Inhaltsstoffe (INCI) umfasst zwischen 16.000 und 21.000 Stoffe, die EU-Datenbank für kosmetische Inhaltsstoffe CosIng verzeichnet insgesamt über 28.000 Stoffe. Darunter befinden sich viele synthetische Polymere – Kunststoffe, die man nicht selten aus anderen Bereichen des Alltags kennt, die aber auch speziell für kosmetische Zwecke hergestellt werden. Ihre genaue Anzahl ist nicht bekannt; zudem fehlt es an Informationen über weltweit eingesetzte Mengen.
Weltweit spülen unzählige Haushalte Kosmetik- und Körperpflegeprodukte in den Abfluss. So gelangen Tag für Tag große Mengen synthetischer Polymere in kommunale Abwässer. In Ländern wie Deutschland gibt es üblicherweise moderne Kläranlagen, die über dreistufige Systeme mit mechanischer, biologischer und chemischer Abwasserbehandlung verfügen. In einzelnen Fällen sind sie bereits vierstufig oder haben spezielle Endreinigungsverfahren – bisher ist das jedoch nicht die Norm.
Synthetische Polymere in Kosmetik- und Körperpflegeprodukten sind Teil des generellen Problems persistenter, toxischer und/oder bioakkumulierender Inhaltsstoffe in Konsumgütern des täglichen Bedarfs. Persistente Stoffe werden als langlebige und somit nicht oder nur schwer biologisch abbaubare organische Stoffe beschrieben – eine Bezeichnung, die synthetische Polymere einschließen kann. Es gibt Daten, die zeigen, dass in Deutschland etwa 43.653 Tonnen solcher Substanzen jährlich in Haushaltsprodukten wie Wasch- und Reinigungsmitteln verwendet werden, darunter befinden sich etliche synthetische Polymere. Entsprechende Informationen für Kosmetik- und Körperpflegeprodukte sind jedoch nicht verfügbar.
Der wichtigste Rechtsrahmen für Chemikalien in der EU ist die Chemikalienverordnung (REACH). Sie bezieht sich jedoch ausdrücklich nicht auf kosmetische Inhaltsstoffe oder Produkte, denn diese fallen unter die EU-Kosmetikverordnung. Allerdings reguliert die Kosmetikverordnung Inhaltsstoffe grundsätzlich nicht aufgrund von Umweltaspekten und schließt zudem nur wenige synthetische Polymere ein. Bei REACH sind synthetische Polymere, abgesehen von wenigen Ausnahmen, sogar explizit von der Registrierungs- und Bewertungspflicht ausgenommen. Aber nicht etwa, weil sie als unbedenklich gelten – diese Ausnahme ist vielmehr ein Ergebnis des massiven Lobbydrucks der chemischen bzw. Kunststoffindustrie.
In der politischen Debatte würde hauptsächlich um Plastikperlen in Peelings gehen, doch die Probleme seien weitaus umfangreicher. Konventionelle Kosmetik enthält fast immer Mikrokunststoffe in fester, flüssiger oder anderer Form, heißt es in der Studie. Umweltministerin Hendricks setzt bislang auf eine freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie. Diese würde jedoch massive Schlupflöcher enthalten und dem Vorsorgeprinzip widersprechen. “Auf diesem Auge stellt sich die Bundesumweltministerin blind – zum Vorteil der Kosmetikfirmen und zum Nachteil der Umwelt”, so Schöttner.
Biologisch schwer abbaubar und giftig
Von einigen gängigen Mikrokunststoffen in Lippenstift, Duschgel und Co. kennen Wissenschaftler bereits die negativen Eigenschaften. Polyethylen und Nylon sind beispielsweise als sehr langlebig bekannt. In Form von Plastikpartikeln haben Forscher sie schon vielfach in den Meeren gefunden, auch in Speisefischen und Meeresfrüchten. Polyquaternium, meist in flüssiger Form eingesetzt, gilt als schwer biologisch abbaubar. Sofern überhaupt Hersteller-Informationen vorliegen, wird es mehrfach als giftig für Wasserorganismen beschrieben und steht unter Verdacht, Gewässer langfristig zu schädigen. Auch die Silikone Cyclotetrasiloxan und Cyclopentasiloxan sind als sehr langlebig klassifiziert und vielerorts in Nahrungsnetzen von Gewässern zu finden, unter anderem in Fischen, Vögeln und Säugetieren. Bei Menschen können sie den Hormonhaushalt stören, die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen und Organe schädigen.
Typische Inhaltsstoffe in Kosmetik
Polyethylen (PE) ist der wichtigste Kunststoff weltweit. Derzeit liegt der globale jährliche Bedarf bei 84,7 Millionen Tonnen. Polymersorten in dieser Stoffgruppe können von hoher, mittlerer und niedriger Dichte sein, linear oder verzweigt. Die Verpackungsindustrie setzt sie in Tüten, Lebensmittelpackungen oder Kosmetik-Flaschen ein, aber auch in Haushaltswaren, Spielwaren und Agrarfolien.
Nylon, auch bekannt als Polyamid (PA), gilt als High-Performance-Kunststoff mit hoher Langlebigkeit, Belastbarkeit, Flexibilität sowie hoher Temperatur- und elektrischer Beständigkeit. Das Material wird häufig in Anwendungen für die Automobilindustrie und die Luftfahrt eingesetzt, für Teppiche und Textilien, elektrische und elektronische Anwendungen sowie für Verpackungen und in der Medizin. Laut Prognosen wird sich der Verbrauch von Nylon bald auf 10 Millionen Tonnen Nylon belaufen3 – dabei gelten biobasierte Polyamide und Spezialpolyamide als die Nylonvarianten, die immer stärker nachgefragt werden.
Die Gruppe der Polyalkylenglycole (PAGs) und -ether umfasst eine große Bandbreite an Stoffen, die in vielen Branchen verwendet werden – darunter ist auch die Kosmetik- und Körperpflegebranche. Am häufigsten unter den kosmetischen Inhaltsstoffen vertreten sind Polyethylenglykol (PEG), Polypropylenglykol (PPG) sowie ihre jeweiligen Ether, zum Beispiel Laurylalkohol (Laureth-X) oder Stearylalkohol (Steareth-X).
Polytetrafluorethylen (PTFE), gehört zur Gruppe der poly- und perfluorierten Verbindungen (PFCs). Es ist vor allem durch seine Verwendung als Antihaftbeschichtung bei Teflon-Kochgeschirr sowie als wasserdichte Membran in Gore-Tex-Outdoorbekleidung bekannt. Zudem wird es unter dem Namen Dyneon für industrielle Anwendungen wie hitze-, chemikalien- sowie flammenbeständige Beschichtungen und Geräte eingesetzt. Früher wurde es in der Schönheitschirurgie für Brustimplantate genutzt – aufgrund negativer Nebenwirkungen jedoch durch Silikon ersetzt. In Kosmetik- und Körperpflegeprodukten kommt PTFE vor allem im Bereich der dekorativen Kosmetik zum Einsatz, seltener auch in der Hautpflege.
Es gibt derzeit über 40 verschiedene Polyquaternium (PQ)-Verbindungen, die sich üblicherweise in Kosmetik- und Körperpflegeprodukten finden. PQ wird insbesondere aufgrund seiner filmbildenden und antistatischen Eigenschaften verwendet – und ersetzt nicht selten Silikone, weshalb es in immer wieder neuen Varianten auf den Markt kommt.
Silikone werden in unterschiedlichsten Kosmetik- und Körperpflegeprodukten eingesetzt, vor allem in den Bereichen Hautpflege, Sonnenschutz, Haarpflege, Hygiene sowie in sämtlichen Sparten der dekorativen Kosmetik. Allein bei den Hautpflegeprodukten enthalten mehr als 50 Prozent Silikon-Verbindungen. Sie verleihen ein Gefühl von Glätte und Geschmeidigkeit.
Viele synthetische Polymere in Kosmetik- und Körperpflegeprodukten bestehen aus einer Kombination zweier oder mehrerer Polymersorten, die auf unterschiedliche Weise zusammengesetzt oder quer-vernetzt sind. Solche Co- und Crosspolymere enthalten entweder mehrere verschiedene synthetische Monomere (zum Beispiel Styrene/Acrylate/Ammonium Methacrylate Copolymer, PEG/PPG-18/18 Dimethicone, Acrylate/ C10-30 Alkyl Acrylate Crosspolymer) oder aber eine Kombination synthetischer und modifizierter natürlicher Stoffe (zum Beispiel PEG-40 Hydrogenated Castor Oil, Hydrolyzed Wheat Protein Polysiloxane).
Die aktuelle Greenpeace-Meereskampagne fordert ein Verbot von Mikrokunststoffen in Produkten, die in die Umwelt gelangen können. Die unabhängige Umweltschutz-Organisation hatte im April gezeigt, dass die konventionelle deutsche Kosmetikindustrie breit Mikrokunststoffe einsetzt, sich aber Mikroplastik-frei nennt. Schöttner hält das für eine Verbrauchertäuschung: “Verbraucher haben ohne Vorwissen keine Chance, umweltschädliches Plastik in Kosmetik zu vermeiden.” Sie rät deshalb zu zertifizierter Naturkosmetik, diese sei immer frei von Mikrokunststoffen.