Autor des Beitrags: Dr. Nikolaus Marbach, Berater für Produktentwicklung und Nachhaltigkeit
Die Technikfolgenabschätzung (TA) ist ein problemorientierter Ansatz, um Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in einer strukturierten und wissenschaftlich fundierten Weise Information und Orientierungshilfen zur Verfügung zu stellen und beratend bei der Abschätzung von Technikfolgen zu unterstützen. Sie beschäftigt sich mit Technikfolgen, die noch nicht eingetreten sind, identifiziert potentiellen Folgen, generiert Wissen über die jeweilige Technik, ihre Folgen und die Auswirkungen dieser Folgen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft und erarbeitet Handlungsoptionen für Entscheider und durch die Folgen Betroffene. Die TA untersucht sowohl die positiven als auch die negative Folgen der Technik und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die nichtintendierten negativen Folgen, also Folgen die nicht als solche spezifiziert wurden und nicht erwünscht sind.
1. Hintergrund
Die TA entstand als eine Reaktion auf die Nachfrage des politischen Systems. Hintergrund waren die immer klarer hervortretenden negativen Folgen des technischen Fortschritts und die zunehmende Notwendigkeit in komplexen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeldern Entscheidungen unter hoher Unsicherheit zu treffen. Die TA wurde 1972 in den USA durch die Gründung des Office of Technology Assessment erstmals etabliert. In Deutschland wurde 1990 das ‘Büro für Technikfolgenabschätzung am Bundestag’ (TAB) eingerichtet. In der Folge entstanden auch Institute, die Technikfolgenabschätzung ohne direkte Zuordnung zum politischen Betrieb betreiben. Innerhalb der Wirtschaft findet TA in der Form der innerbetrieblichen Technikbewertung statt, die auch als Produktfolgenabschätzung bezeichnet wird.
2. Arten der Technikfolgenabschätzung
a) präventive Technikfolgenabschätzung
Die präventive TA untersucht neue Technologien in den verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung auf ihre Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Ökonomie. Die Technikgestaltung durch Früherkennung und Frühwarnung vor negativen Folgen und die Aufdeckung von Innovationshemmnissen, die die Erreichung der positiven Folgen behindern, stehen im Vordergrund. Das Ziel ist eine Optimierung der positiven Folgen einer Technik bei gleichzeitiger Minimierung oder Vermeidung der negativen Folgen sowie die frühzeitige Einbindung aller involvierten und potentiell betroffenen Parteien in die Technikgestaltung.
b) deeskalierende Technikfolgenabschätzung
Die deeskalierende TA wirkt wissengenerierend, informierend und moderierend auf bereits bestehende Technikkonflikte ein. Den Technikkonflikten liegen oft gesellschaftliche Konflikte über gegenwärtige und zukünftige Lebensstille und normative Dissonanzen sowie unterschiedliche Vorstellungen über die Verteilung von Risiken und ihre Bewertung zugrunde. Das Ziel ist das Aufzeigen der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Konflikte und Normendissonanzen und die Bereitstellung von Grundlagen für Konfliktlösungskonzepte.
3. Verfahren und ihre Zielsetzung
a) systemanalytische Verfahren: Gewinnung eines Systemverständnisses, insbesondere eines Verständnisses der komplexen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Phasen der Technikentwicklung und Nutzung, der Umwelt und den beteiligten und betroffenen Akteuren.
b) prospektive Verfahren: Gewinnung von Wissen über die Zukunft auf der Basis des vorhanden Wissens. Es werden begründete Aussagen über die zu erwartenden Folgen einer Technologie in der Zukunft erarbeitet und die Unsicherheiten der gewonnenen Ergebnisse analysiert und diskutiert.
c) diskursanalytische Verfahren: Erarbeitung einer ‘argumentative Landkarte’, die die im Technikkonflikt von den verschiedenen Parteien vorgebrachten Argumente und Positionen transparent darstellt.
d) partizipative TA: Einbindung und Mitwirkung aller involvierten Akteure und Offenlegung des Konflikts zwischen den durch negative Folgen Betroffenen einerseits und den Nutznießern und Entscheidern andererseits.
e) kommunikative Verfahren: Sensibilisierung der allgemeinen Öffentlichkeit für die Frage der Technikfolgenproblematik.
4. Herausforderungen
Es sind zwei kritische Anforderungen an die TA zu stellen:
a) Offenheit gegenüber der zu untersuchenden Technik, d.h. es werden unvoreingenommen sowohl die positiven als auch die negativen Folgen der Technik untersucht und dargestellt
b) Neutralität bei der Zusammenstellung von Informationen, da dies per se kein wertneutraler Prozess ist.
Bei der präventiven TA muss mit hohen Unsicherheiten umgegangen werden, da das Wissen zu den zu untersuchenden Techniken rudimentär und die zu untersuchenden Folgen der Technik noch nicht eingetreten sind. Die TA ist auf die Erarbeitung und Nutzung von Zukunftswissen angewiesen mit allen daraus resultierenden Unsicherheiten und Problemen.
5. Methoden
- Lebenszyklusanalyse und Stoffstromanalyse
- Szenarioanalyse (explorative und normative)
- Delphi-Verfahren
- Constructive Technology Assessment (CTA)
- Leitbild Assessment
- Planungszelle und Fokusgruppen
6. Literatur
- Bröchler, Stephan/Simonis, Georg/Sundermann, Karsten (Hg.): Handbuch Technikfolgenabschätzung, Berlin, Edition Sigma.
- Grunwald, Armin 2010: Technikfolgenabschätzung – eine Einführung, Berlin, Edition Sigma.
- Minx, Eckhard/Meyer, Harald 1999: Produktfolgenabschätzung, in Bröchler, Stephan/Simonis, Georg/Sundermann, Karsten (Hg.): Handbuch Technikfolgenabschätzung, Bd.2, Berlin, Edition Sigma: 601-615
7. Links
- Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)
- Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis
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