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UN Leitlinie Wirtschaft und Menschenrechte: Verbände und NGOs ringen um Lieferketten-Verantwortung

Die UN Leitlinien Wirtschaft und Menschenrechte wollen Lücken in der Verantwortung von Staaten und Unternehmen schließen. Im Frühjahr 2016 sollen sie in einem Nationalen Aktionsplan für Deutschland umgesetzt werden. Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ringen in einem bisher einmaligen Prozess um die Inhalte.

Die UN Leitlinien Wirtschaft und Menschenrechte wollen Lücken in der Verantwortung von Staaten und Unternehmen schließen. Im Frühjahr 2016 sollen sie in einem Nationalen Aktionsplan für Deutschland umgesetzt werden. Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ringen in einem bisher einmaligen Prozess um die Inhalte.

Von Claudia Mende

Der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch vor zwei Jahren hat die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Mangelhafte Sicherheitsstandards haben zu der Katastrophe geführt, bei der über tausend Menschen ums Leben kamen. Auch deutsche Unternehmen ließen in dem Gebäude Kleidungsstücke für den europäischen Markt zusammennähen. Rana Plaza ist ein besonders krasses Beispiel für unternehmerische Tätigkeiten, die direkte Menschenrechtsverletzungen zur Folge haben.

Aber der Fall zeigt ein grundsätzliches Dilemma im globalisierten Warenstrom auf. Häufig handelt es sich bei den Verantwortlichen für solche Missstände um Tochtergesellschaften, Zulieferer oder Vertriebspartner von weltweit operierenden Unternehmen, egal ob Mittelständler oder Großkonzern. In Europa und den USA müssen sich diese Firmen an geltende Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards halten. Doch solche verbindlichen Regeln existieren nicht in allen Teilen der Welt oder sie werden nicht in jedem Fall in die Praxis umgesetzt. Mit der Globalisierung von Handel und Wirtschaft sind Lücken in der Verantwortung und der Rechenschaftspflicht von Unternehmen, aber ebenso von Staaten entstanden.

Drei Säulen

Um diese Lücken, die sog. Accountability Gaps, zu schließen, hat der damalige UN-Sondergesandte John Ruggie die UN Leitlinien Wirtschaft und Menschenrechte initiiert. Verabschiedet wurden sie im Jahr 2011 durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Die Leitlinien beschreiben in 31 Prinzipien erstmals ein internationales Regelwerk für Unternehmen, Staaten und Menschenrechte.

Sie bestehen aus drei Säulen: Die erste Säule umfasst die völkerrechtliche Pflicht des Staates, seine Bürger vor Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen zu schützen. Praktische Auswirkungen haben diese Prinzipien z.B. auf die Außenwirtschaftsförderung von Bund und Ländern, aber auch auf die Frage, ob es in Deutschland Branchen gibt, die nur unzureichend vor Menschenrechtsverletzungen geschützt sind, wie etwa Saisonarbeiter in der Fleischindustrie oder Pflegekräfte aus Osteuropa.

Nach den Leitlinien stehen zudem Unternehmen in der Verantwortung, die Menschenrechte zu achten und mögliche schädliche Folgen ihrer Geschäftstätigkeit für Menschen zu beenden oder zu beheben. Um diese sog. menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen dreht es sich in der zweiten Säule. Sie gilt als die eigentliche Innovation des Referenzrahmens. Das bedeutet etwa, dass Unternehmen auch dann zur Einhaltung von Menschenrechten verpflichtet sind, wenn sie in Drittstaaten tätig sind, die diese nicht für ihre Bürger gewährleisten.

Die dritte Säule thematisiert den Zugang zu effektiven Rechtsmitteln, wenn es bereits zu Verstößen gekommen ist. Die Betroffenen brauchen realistische Möglichkeiten, um vor Gericht zu ziehen, damit Verstöße gegen Arbeits- und Sozialstandards untersucht und gegebenenfalls geahndet oder entschädigt werden können. Bisher ist es nach deutschem Recht schwierig, juristisch gegen die Verantwortlichen einer im Ausland operierenden Tochtergesellschaft eines Unternehmens vorzugehen.

Deutschland im Fokus

Bisher wurden die Leitlinien in Europa eher zögerlich umgesetzt. Großbritannien und die Niederlande haben als erste nationale Aktionspläne erlassen, die aber wenig Konkretes enthalten. Dänemark, Spanien und Finnland haben nachgezogen. Die Schweiz hat einen Aktionsplan bis Ende 2015 angekündigt. In Österreich ist zurzeit keine Umsetzung geplant, eine offizielle Stellungnahme der Regierung gibt es dazu nicht. Viel Aufmerksamkeit richtet sich darauf, wie das Exportland Deutschland mit den Leitlinien umgeht.

Hierzulande hat man sich Zeit gelassen. Erst nach der Bundestagswahl von 2013 hat sich die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag dazu bekannt, die UN Leitlinien in nationale Politik umsetzen zu wollen. Im November 2014 hat das Auswärtige Amt den Startschuss für einen Prozess zur Erstellung des Aktionsplans unter Beteiligung möglichst vieler Akteure aus den Bereichen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gegeben. Das hat man in dieser Form auf nationaler Ebene noch nicht gesehen. Im Frühjahr 2016 will das Ministerium den Aktionsplan formulieren und ihn mit den zuständigen Ressorts in der Bundesregierung abstimmen. Das Kabinett wird ihn dann verabschieden.

Erste Bestandsaufnahme

Schlussendlich wird der Aktionsplan also ein Papier der Bundesregierung sein. Er soll aber Positionen von Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen enthalten. Der Aktionsplan sei zwar nicht rechtsverbindlich, aber er solle einen „möglichst konkreten und zukunftsorientierten Fahrplan für die kommenden Jahre“ darstellen, der die „Positionen vieler Gruppen widerspiegelt“, sagt Christoph Schuller vom Deutschen Institut für Menschenrechte, das den Prozess zusammen mit Econsense, dem Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft, moderiert.

Im Mai hat das Institut für Menschenrechte eine Art Bestandsaufnahme für die weitere Diskussion vorgelegt. Das National Baseline Assessment genannte Dokument formuliert Punkte, zu denen einzelne Akteure Handlungsbedarf sehen. Bis zum Oktober haben die Stakeholder Zeit, um ihre Vorstellungen und Interessen bei den fachbezogenen Themenanhörungen einzubringen. Vor allem die von Venro, dem Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe, vertretenen Nichtregierungsorganisationen sehen eine Chance, ihre Anliegen voranzubringen. Sie wollen, dass Unternehmen die menschenrechtliche Verantwortung entlang von vollständigen Produktionsketten übernehmen und dies auch in ihren Berichten für die Öffentlichkeit transparent kommunizieren.

Verbände positionieren sich

Die beteiligten Wirtschaftsverbände nehmen den Prozess ebenfalls sehr ernst, wenn auch mit einem anderen Fokus. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Industrie- und Handelskammertag (DIHK) vertreten die deutsche Wirtschaft in dem Prozess. Während sich BDI und BDA zurückhalten und den laufenden Prozess nicht kommentieren wollen, hat der DIHK ein Positionspapier zum Thema veröffentlicht. Darin beschreibt der Verband seinen Standpunkt: Unternehmen seien bereits ausreichend aktiv im Bereich Menschenrechte, es gebe keinen weiteren Regelungsbedarf. Der DIHK wünscht sich mehr Informationen über Lieferländer und eine bessere Kooperation mit den jeweiligen Regierungen zur Einhaltung internationaler Standards. Zusätzliche Berichtspflichten oder eine Haftung für die Tätigkeiten Dritter entlang der Lieferkette lehnt der Wirtschaftsverband jedoch ab. Sie würden das Auslandsengagement mittelständischer Firmen behindern.

Vor allem bei der Frage der Verantwortung von Unternehmen entlang der oft sehr komplexen Lieferketten hält der DIHK die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften für unmöglich. Denn die Produktionsprozesse seien häufig so umfangreich, „dass die Unternehmen nicht jede Stufe umfassend und völlig lückenlos überwachen und beeinflussen können“, heißt es in dem Positionspapier. Doch Christoph Schwikowski vom DIHK signalisiert gleichzeitig Gesprächsbereitschaft. „Auch die Wirtschaft will Ergebnisse. Auf welche Kompromisse wir uns einigen werden, das ist ja gerade das Spannende dieses Prozesses“.

Mehr als Freiwilligkeit

Tatsächlich gehen die UN Leitlinien über bisherige freiwillige Verpflichtungen zur Unternehmensverantwortung hinaus. Die dritte Säule der Leitlinien beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Verstöße gegen Menschenrechte durch Unternehmen ahnden lassen. Dieser Aspekt wird im Rahmen von Corporate Social Responsibility gerne ausgeklammert, lässt sich aber jetzt nicht mehr wegdiskutieren. Von Seiten der Bundesregierung gibt es dazu unterschiedliche Signale. Das Arbeitsministerium hat angekündigt, sich nicht mit ausschließlich freiwilligen Maßnahmen zufrieden zu geben. Im UN-Menschenrechtsrat hat Deutschland die Debatten über ein völkerrechtlich verbindliches Regelwerk für Unternehmen und Menschenrechte aber boykottiert.

Vertreter von Venro hoffen, mit dem Nationalen Aktionsplan ihre Anliegen so prominent wie bisher noch nie in die öffentliche Diskussion einbringen zu können. Eine derart breite Diskussion über die gesamte Palette der Wirtschaftsthemen unter menschenrechtlichen Aspekten habe es bisher noch nicht gegeben, sagt Armin Paasch von Misereor, der für Venro in der Steuerungsgruppe vertreten ist. „Für uns ist der Prozess sehr vielversprechend“. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.

Claudia Mende
ist freie Journalistin mit Schwerpunkt Wirtschaft und internationale Zusammenarbeit
claudia.mende@csr-magazin.net


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