Mönchengladbach (csr-news) – Der Ruf nach transparenten Lieferketten erschallt von höchster politischer Stelle. Häufig steht dabei der Textilsektor im Fokus. „Wir müssen transparenter machen, woher Produkte kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 3. Juni in Berlin. Die Kanzlerin ergänzte mit Blick auf den Textilsektor: „Baumwollanbau ist oft noch Kinderarbeit. Von Mindestlöhnen, wie wir sie in Deutschland haben, können viele Menschen nur träumen.“ CSR NEWS bat einen wissenschaftlichen Experten um Stellungnahme: Rudolf Voller ist Dekan im Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik der Hochschule Niederrhein.
CSR NEWS: Ist die geforderte Transparenz der Lieferketten umsetzbar und die Lösung?
Prof. Dr. Rudolf Voller: Es gibt nicht „die Lösung“, es sind unternehmensabhängige Wege zu beschreiten:
1.) Kleinere Fertigungsunternehmen mit eigenen Produktionsstätten haben die Konfektion unter eigener Kontrolle und sind meist auch in der Lage, die Materialbeschaffung (Stoffe und Zubehör) zu kontrollieren (z.B. Van Laack, Gardeur).
2.) Kleinere Handelsunternehmen beziehen Ihre Ware über Zwischenhändler oder Agenten, Möglichkeiten zu eigenen Kontrollen haben sie in der Regel nicht. Sie müssen sich auf Zertifikate wie FWF oder Label wie GOTS, Ökotex oder Fairtrade verlassen oder sich „Codes of Conducts“ von den Produzenten unterschreiben lassen. Den Zertifizierern kommt hier die Aufgabe zu, Kontrollen in der Lieferkette durchzuführen und Fälschungen zu verhindern.
3.) Große Handelsunternehmen müssen Lieferantendateien unterhalten und über eigene oder beauftragte Kontrollen (BSCI, FWF, FLA, SAI …) die Transparenz sicherstellen. „Wohlverhalten“ sollte durch längerfristige Lieferantenverträge belohnt werden, einem „Fehlverhalten“ sollte man durch Mitarbeiterschulungen und Unterstützung lokaler Arbeitnehmerinitiativen vor Ort gegensteuern, bei mehrfachem Fehlverhalten die Lieferantenbeziehung beenden.
4.) Mindestlöhne, living wages – hier müssen sich die lokalen Arbeitergeber verpflichten und erklären, die Regierung des jeweiligen Produktionslandes muss ihre gesetzlichen Standards durchsetzen, Korruptionsbekämpfung und Unterstützung lokaler Arbeitnehmerinitiativen vor Ort sind hier zu leisten – nicht nur von den Unternehmen, sondern vor allem von der Politik.
5.) Für große Handels-und Produktionsbetriebe, auch die sogenannten Vertikalen, gilt das unter 3.) Gesagte, aber diese müssen auch ihre eigene Produktion „sauber halten“ – von der Rohstoffgewinnung über die textilen Vorstufen bis zur Konfektion und dem abschließenden Handel.
CSR NEWS: Sind gesetzliche Verpflichtungen von Unternehmen zur Wahrung der Menschenrechte in ihrer Lieferkette machbar?
Voller: Nur bedingt, die Verletzung der Menschenrechte passiert ja durch die lokalen Unternehmen und Regierungen. Nicht Kik oder H&M schließen die Fluchttüren während der Arbeitszeit ab oder verweigern den Beschäftigten Pausen oder den Toilettengang. Aber der Preisdruck auf die Lieferanten muss abgemildert werden, Fast Fashion muss etwas „slower“ werden. Gesetzliche Verpflichtungen müssten internationale Bestimmungen (mindestens EU-weit) sein, sonst wird man nicht zum Ziel kommen. Vielleicht sollte man Unternehmen – ähnlich wie bei der Tabakindustrie – gesetzlich zu mehr Verbraucheraufklärung zwingen und auch Transparenz der Lieferkette (z.B. Tracking) verlangen.