Amsterdam (csr-news) > Existenzsichernde Löhne zu zahlen gehört zu den wichtigsten Forderungen an die Hersteller in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Es scheint leicht, die Näherinnen in den Fabriken besser zu bezahlen, schließlich wird in der Branche gutes Geld verdient. Doch neben anderen Hindernissen befürchten die Hersteller kartellrechtliche Probleme. Denn um eine bessere Bezahlung tatsächlich durchzusetzen, müssten unterschiedliche Marken die in den selben Fabriken produzieren lassen zusammenarbeiten. Die Fair Wear Foundation (FWF) hat diesen Aspekt von Rechtsexperten prüfen lassen und gibt Entwarnung.
Bekleidungsmarken können sich unter Berücksichtigung des Wettbewerbsrechts ohne Risiko gemeinsam für die Anhebung der Löhne in Fabriken einsetzen, so die Schlussfolgerung eines Gutachtens der Wirtschaftskanzlei Arnold & Porter. Die Anwälte zeigen auf, dass ein gemeinsames Engagement mehrerer Unternehmen für die Anhebung der Löhne keine ernsthafte Gefahr in Bezug auf das Wettbewerbsrecht darstellt. Voraussetzung sind allerdings einige wichtige Spielregeln, die beachtet werden müssen. Aufrufe zur Zusammenarbeit zwischen Marken, um die Preise bei den Zulieferern zu erhöhen, ließen, so teilte die Fair Wear Foundation mit, in den Rechtsabteilungen der Bekleidungsfirmen häufig sämtliche Alarmglocken läuten. Tatsächlich könnten Gespräche über Produktionskosten, zu denen auch die Löhne gehören, als illegale Preisabsprachen wahrgenommen werden. Diese Bedenken sind einer der Gründe, die eine signifikante Erhöhung der Löhne für die Näherinnen bislang behindern. FWF Direktorin Erica van Doorn: „Wenn ein Projekt zu existenzsichernden Löhnen Diskussionen zu finanziellen Details enthält – und sei es nur die Gesamtsumme, die jede Marke an die Produktionsstätte zahlt – dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich Marken an dem Projekt beteiligen. Wettbewerbsrecht wird hier oft als Haupthindernis genannt.”
Geringe Auswirkungen auf die Produktionskosten
Die Anwälte haben bei ihren Überlegungen vor allem zwei Aspekte im Blick, nämlich die Frage ob es durch gemeinsame Initiativen der beteiligten Unternehmen zu Angleichungen der Produktionskosten kommt und welche Auswirkungen auf die Einzelhandelspreise bestehen. Nach ausführlicher rechtlicher Bewertung kommen die Anwälte jedoch zu dem Schluss, dass gemeinsame unternehmerische Initiativen zur Realisierung existenzsichernder Löhne nur zu geringen Auswirkungen auf die Produktionskosten führen würden. Der große Teil der variablen Kosten bliebe von derartigen Gesprächen unberührt und würde insofern auch nicht zu einer, im Sinne des Wettbewerbs, unangemessenen Transparenz führen. Darüber hinaus würden diese Initiativen auch nicht zu Erleichterungen zwischen den Marktteilnehmern führen und sind insofern kaum als wettbewerbswidrig anzusehen. Die Fair Wear Foundation stellt ihren Mitgliedern zwei Dokumente zur Verfügung, in denen die rechtlichen Gesichtspunkte dargelegt und bestimmte Verhaltensregeln beim gemeinsamen Engagement für die Anhebung der Löhne in Fabriken erläutert werden. „Diese rechtliche Orientierungshilfe stellt einen Riesenschritt in die richtige Richtung für uns alle dar, die sich für existenzsichernde Löhne für Arbeiterinnen in der Bekleidungsindustrie einsetzen“, so Anne Lally, FWF-Beraterin für existenzsichernde Löhne. „Dieser Leitfaden enthält alle zu beachtenden Spielregeln und zeigt, dass es jede Menge Handlungsspielraum gibt.“
Keine Gespräche über Zahlungsbedingungen
Wettbewerbsrechtliche Bedenken stellen eines der neun Hindernisse dar, die einem echten Fortschritt in Richtung existenzsichernder Löhne im Wege stehen, wie sie im FWF Living Wage Portal definiert sind. FWF will mithilfe dieser Plattform die zahlreichen Hindernisse aufdecken und überwinden, die verhindern, dass Arbeiterinnen in der Bekleidungsindustrie existenzsichernde Löhne erhalten. „Wettbewerbsrechtliche Risiken werden dabei als Haupthindernis angegeben. Wir hoffen, dies ändern zu können, indem wir deutlich aufzeigen, was bei der Besprechung der Produktionskosten zur Sprache kommen darf und was nicht“, so Erica van Doorn. Zu den Dont’s gehören beispielsweise ein Informationsaustausch über die spezifischen Produktionszeiten für einzelne Kleidungsstücke, ebenso wie Preise oder Liefer- und Zahlungsbedingungen, die für Vereinbarungen von existenzsichernden Löhnen nicht notwendig sind. Erlaubt sind dagegen Gespräche beispielsweise über die Kalkulation der Produktionszeiten oder die Berechnung existenzsichernder Löhne. FWF will aus der rechtlichen Bewertung der Anwaltskanzlei einen Leitfaden für seine Mitglieder entwickeln, der ihnen hilft ohne rechtliche Risiken zum Thema existenzsichernde Löhne zu kooperieren.
Link zum FWF Living Wage Portal