Brüssel (csr-news) – Die zunehmende Mobilität lässt den Bedarf an natürlichem Gummi in die Höhe schnellen: Das vorwiegend in Südostasien angebaute Naturprodukt macht 20 bis 40 % des Gewichtes eines Reifens aus. Eine unkontrollierte Ausweitung der Gummibaumplantagen würde den Ökosystemen schweren Schaden zufügen. Dem will sich eine Initiative von Industrie, Herstellern und Politik entgegenstellen. Doch ein Wissenschaftlerteam äußert Zweifel an deren Wirksamkeit.
Vergleichszahlen verdeutlichen die Herausforderung: Im Jahr 1950 gab es weltweit 50 Millionen Fahrzeuge, im Jahr 2000 waren es 800 Millionen – und 2030 sollen es 1,6 Milliarden Fahrzeuge sein. Etwa 70% des Naturgummis kommt in Reifen zum Einsatz- etwa auch in der Luftfahrt. Verwendet wird der Rohstoff zudem auf dem Bau sowie in medizinischen Geräten. Klar ist: Der Bedarf an Naturgummi wird deutlich steigen, über die Auswirkungen auf den Flächenverbrauch für Gummibaumplantagen herrscht Uneinigkeit.
Bis zu 8,5 Mio. ha neue Plantagen
Bis zum Jahr 2014 könnten bis zu 8,5 Millionen ha an neuen Gummibaumplantagen entstehen. Das schätzt die britische Biologin Eleanor Warren-Thomas, die dazu mit ihrem Team im März im Journal „Conservation Letters“ eine Studie veröffentlichte. Schwerpunkte des Gummibaum-Anbaus sind Malaysia, Indonesien, die Philippinen und Teile Südwestchinas. Manche Gummibaumplantagen mussten den ertragreicheren Ölpalmen weichen. Während für deren Erweiterung die Regeln des Roundtable for Sustainable Palm Oil (RSPO) gelten, die das Abholzen natürlicher Wälder verbieten, könnten die Gummibaum-Bauern genau dorthin ausweichen, befürchten die Forscher.
Bereits im Jahr 2012 bedeckten Gummibäume in Südostasien eine Fläche, die 71% der dortigen Palmölplantagen entsprach. Dem Neuanbau von Gummibäumen fielen jüngst 70% eines Vogelschutzgebietes in Kambodscha zum Opfer, des Snoul Wildlife Sanctuary.
Die Studie listet mögliche negative Auswirkungen von Gummibaumplantagen auf das Ökosystem auf: Den Verlust an Artenvielfalt, negative Veränderungen im Wasserhaushalt, Bodenerosionen. Während einige Kleinbauern mit dem Gummibaumanbau Einkommen erzielen, könnten andere verarmen. Dazu sowie zu den Chancen einer Minimierung negativer Auswirkungen durch einen nachhaltigen Anbau bestehe Forschungsbedarf, so Warren-Thomas. Negativen Auswirkungen von Monokulturen auf die Biodiversität ließen sich möglicherweise durch die Erhaltung intakter Waldblöcke oder die Mischung von Gummibäumen mit anderen Bäumen und Pflanzen minimieren.
Dass es angesichts des global wachsenden Bedarfs an natürlichem Gummi neue Plantagen geben wird, davon ist auch Pirelli überzeugt. Allerdings schätzt der Reifenhersteller den Zuwachs auf 2,5 Millionen Hektar in den nächsten zwei Jahren. Denn es gibt Alternativen:
Farmer schulen und Reifen recyceln
In vielen Regionen – etwa in Thailand – sind 85% der Gummibaumplantagen im Besitz von Kleinbauern. Deren Produktivität könnte mit verbesserten Anbaumethoden verdoppelt werden – was dann zugleich die Lebensbedingungen dieser Menschen anheben steigern würde. Pirelli engagiert sich mit einem seiner Hauptlieferanten für die Schulung von Farmern, die diesem zuliefern. Zudem halten auf wachsenden Märkten wie dem in China Recyclingtechnologien Einzug: Abgelaufene Lastwagenreifen werden nicht entsorgt, sondern aufgearbeitet. Das reduziert den Bedarf.
Bei seinen Lieferantenbewertungen wendet Pirelli die im Januar veröffentlichten Indikatoren der Sustainable Natural Rubber Initiative (SNR-I) an. Um auf die komplexe Lieferkette natürlichen Gummis nachhaltigen Einfluss zu nehmen, bedürfe es der Zusammenarbeit der großen Reifenhersteller, heißt es bei Pirelli. Genau das will die von der „Sustainable Natural Rubber Working Group“ (SNRWG) entwickelte Initiative erreichen, deren Mitglieder aus allen Wertschöpfungsebenen des natürlichen Gummis stammen.
Relevante Themen, unpräzise Details
Die SNR-I Kriterien sprechen viele für einen nachhaltigen Gummibaum-Anbau relevanten Themen an, etwa den Pestizideinsatz, Kinderarbeit oder Gewerkschaftsfreiheit. Dabei sind sie allerdings eher allgemein gehalten: „The Organisation should ensure that new natural rubber plantations are not established within protected areas”, heißt es etwa zum Schutz natürlicher Wälder. An vielen Stellen gehen die Kriterien nicht über das gesetzlich Gebotene hinaus.
Die Initiative ist noch jung, nach Einschätzung von Warren-Thomas wird die Art und Weise der Ausweitung von Gummibaumplantagen aktuell vom Bedarf der Weltmärkte, den Vorlieben der Farmer und politischen Entscheidungen bestimmt.
Ziel: Multistakeholder-Initiative
Doch soll an der Initiative und ihren Kriterien weiter gearbeitet werden – und zwar gemeinsam mit NGOs. Dazu findet im August in Singapur ein Dialog statt. „Unser vorrangiges Ziel in den Beratungen ist es, NGOs an Bord dieser Industrieinitiative zu holen und mit ihnen gemeinsam eine langfristige Roadmap zu entwickeln“, so die SNRWG-Vorsitzende und Geschäftsführerin des europäischen Verbandes der Reifenersteller ETRMA, Fazilet Cinaralp. Eine Multistakeholder-Initiative besäße größere Akzeptanz und Durchsetzungskraft. Allerdings: NGOs haben das Thema Gummi bisher kaum „auf dem Schirm“.
Titelbild: Gummibaumplantage in Thailand
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