Bochum/Chemnitz (csr-news) > Geht es nach den Vorstellungen der Bundesregierung, dann soll Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität werden. Bis 2020 sollen eine Million elektrisch betriebene Fahrzeuge auf den Straßen hierzulande unterwegs sein. Zwar kann die Automobilindustrie beim Absatz inzwischen zweistellige Zuwachsraten verbuchen, dies allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Elektrofahrzeuge machen weniger als ein halbes Prozent am Gesamtmarkt aus. Dabei können die Fahrzeuge im Alltag überzeugen. Dies zeigt eine Langzeitstudie der Ruhruniversität Bochum, deren Abschlussbericht nun veröffentlicht wurde.
Berufspendler sind die Verkehrsteilnehmer mit dem höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf. Und immerhin rund 50 Prozent der Berufstätigen gehören dieser Gruppe an, das heißt, sie fahren mindestens 40 Kilometer zu ihrem Arbeitsplatz und die gleiche Strecke wieder zurück. Demnach müssten Berufspendler eine wichtige Zielgruppe für Elektroautos sein, denn sie könnten erhebliche Mengen CO2 einsparen. Das Institut für Energiesystemtechnik und Leistungsmechatronik an der Ruhruniversität Bochum wollte das genau wissen und hat in einem dreijährigen Forschungsprojekt die Langstreckentauglichkeit untersucht. Über 500 Pendler aus verschiedenen Berufsgruppen haben sich als Testfahrer an dem Projekt beteiligt. Die drängendsten Fragen der Forscher waren: Sind Elektroautos für Pendler überhaupt geeignet? Genügt die Reichweite des Akkus? Machen sich Autos mit Range-Extender, d.h. zusätzlichem Verbrennungsmotor, der die Reichweite erhöht, vielleicht besser oder reicht sogar eine Schnellladefunktion? Die Testfahrer bekamen für eine Woche ein schnellladendes Elektrofahrzeug gestellt, das heißt, sie können an einer entsprechenden Ladesäule innerhalb von zwanzig Minuten aufgeladen werden. Mit einer Batterieladung können die Fahrzeuge eine Strecke von etwa 120 bis 150 Kilometer zurücklegen. Im Anschluss an die erste Testwoche wechselten die Teilnehmer auf ein Auto mit einem sogenannten Range Extender. Diese Fahrzeuge fahren zunächst auch mit Strom und nach etwa 40 bis 80 Kilometer wird automatisch auf einen benzinbetriebenen Motor umgestellt. Dadurch lässt sich die Reichweite auf bis zu 500 Kilometer erhöhen.
Durchschnittlich legten die Personen 130 Kilometer pro Tag zurück. Dafür haben sie ihr Fahrzeug in der Regel zweimal pro Tag aufgeladen, entweder an einer Schnellladestation oder über Nacht an einer normalen Steckdose. „Dann dauert eine Vollladung für die meisten Fahrzeuge fünf bis sieben Stunden, wenn der Akku leer ist“, erklärt Philip Dost vom Forscherteam, „ein schnellladefähiges Fahrzeug braucht dazu an einer entsprechenden Säule nur etwa 20 Minuten.“ Schwierigkeiten machten den Fahrern bei der Ladung noch die Inkompatibilität von Steckern sowie die umständliche Anmeldung bei verschiedenen Stromanbietern. Defekte, belegte oder zugeparkte Ladesäulen stellten gelegentlich auch ein Problem dar. Die Forscher untersuchten außerdem verschiedene Einflüsse auf die Reichweite der getesteten Fahrzeuge. Dabei kam heraus, dass das Fahrprofil und die Fahrweise entscheidend den Energieverbrauch mitbestimmen. „Wer Strecken mit vielen Höhenänderungen fährt, oft stark beschleunigt und abbremst, verbraucht mehr Energie als jemand, der ebene Strecken auf der Autobahn mit gemäßigter, gleichmäßiger Geschwindigkeit fährt“, erläutert Philipp Spichartz, einer der beteiligten Forscher. Daneben spielt das Wetter eine große Rolle: Bei 15 bis 26 Grad fahren die Autos am günstigsten. Liegt die Temperatur darunter oder darüber, werden Heizung oder Klimaanlage eingeschaltet und fressen Strom. Diese Faktoren spielen bei Fahrzeugen mit Range Extender eine größere Rolle als bei reinen Elektrofahrzeugen. „Wir erklären uns das so, dass die Fahrer reiner Elektrofahrzeuge beim Komfort von vornherein bereit sind, Abstriche zu machen, um die Reichweite nicht einzuschränken“, so Dost. Fahrer von Autos mit Range Extender bekommen die leere Batterie nicht direkt zu spüren, weil sie benzingetrieben weiterfahren können, wenn der Akku leer ist. Für künftige Elektrofahrzeuge raten die Forscher dazu, mehr individuelle Auswahlmöglichkeiten in Bezug auf den Akku zu bieten. Er ist es, der die E-Autos in der Anschaffung verhältnismäßig teuer macht. „Die Mehrkosten des Akkus gegenüber konventionellen Fahrzeugen amortisieren sich maßgeblich über die komplette Ausnutzung. Ein Vielfahrer kann die Mehrkosten innerhalb kurzer Zeit durch die günstigeren Betriebs- und Energiekosten einsparen“, so Professor Constantinos Sourkounis, Projekt- und Institutsleiter. Zum einen kostet der gefahrene Kilometer nur etwa ein Drittel, zum anderen entfällt ein großer Teil von Reparatur- und Wartungskosten, die bei Elektromotoren in wesentlich geringerem Maße anfallen als bei Verbrennungsmotoren.
Am Ende der Testwochen konnte sich jeder dritte Teilnehmer vorstellen, ein Elektroauto zu kaufen, rund fünf Prozent haben diesen Vorsatz bereits in die Tat umgesetzt und weitere 25 Prozent erwägen eine Anschaffung, wenn die Fahrzeuge preiswerter werden. Denn auch wenn die Fahrzeuge schon günstiger zu kaufen sind, ist der Unterschied zu Autos mit Verbrennungsmotor noch erheblich. Ein normaler Kleinwagen der rund 12.000 Euro kostet würden in der E-Version bis zu 30.000 Euro kosten. Bei den Fahrzeugen mit Range Extender sind die Unterschiede nicht ganz so groß. Sie sind überwiegend in der Mittelklasse zu finden mit Preisen ab 40.000 Euro. Ein weiteres Problem sind die Schnellladesäulen. Es gibt sie noch zu selten. „Immerhin gibt es aber jetzt einen einheitlichen Standard für Deutschland“, so Sourkounis, „und ich rechne damit, dass die Säulen mehr werden, wenn es mehr Elektrofahrzeuge gibt.“
Zu ganz ähnlichen Ergebenissen ist man am Lehrstuhl für Allgemeine und Arbeitspsychologie der Technischen Universität Chemnitz gekommen. In der Zeit zwischen Mai 2013 und Dezember 2014 haben dort 75 Berufspendler für jeweils drei Monate ein Elektroauto BMW ActiveE im täglichen Einsatz getestet. Dabei legten sie rund 450.000 Kilometer zurück. Gemeinsam mit BMW und den Stadtwerken Leipzig untersuchten die Psychologen, wie ein Elektrofahrzeug mit einer heute üblichen Reichweite von rund 150 Kilometern auch im Grenzbereich der Reichweite komfortabel eingesetzt werden kann. Im Ergebnis empfanden mehr als 80 Prozent der Fahrer die verfügbare Reichweite als ausreichend für den Alltag. Sie fuhren durchschnittlich 90 Kilometer pro Tag, 38 Prozent sogar mehr als 100 Kilometer. „Für uns war die Frage besonders spannend, wie die Nutzer den tagtäglichen Umgang mit ihrem Elektrofahrzeug und der verfügbaren Ladeinfrastruktur im Grenzbereich der Reichweite erleben“, erklärt Prof. Josef Krems, Inhaber der Professur Allgemeine und Arbeitspsychologie. „Insgesamt zeigt sich, dass Elektromobilität auch für Nutzer funktioniert, die oftmals längere Strecken zurücklegen“. Bestätigt hat sich die Annahme der Wissenschaftler, dass mit zunehmender Nutzungsdauer und Erfahrung die aufgrund der Reichweite erlebten Stresssituationen abnehmen. Dabei ist aber eine funktionierende und präzise Reichweitenanzeige nötig.
Wie beide Ergebnisse zeigen, sind vor allem auch die Automobilhersteller gefragt, Autos zu entwickeln und zu bauen, die den Anforderungen entsprechen und die zudem erschwinglich sind. Doch die deutschen Autobauer haben ihre Führungsposition bei Elektro- und Hybridfahrzeugen verloren. Dies zeigt der aktuelle „Index Elektromobilität“ der Unternehmensberatung Roland Berger. Als Grund nennen die Berater das schlechtere Preis-Leistungs-Verhältnis der Fahrzeuge. Zwar verbuchen die Hersteller in diesem Segment inzwischen zweistellige Wachstumsraten, an den im Bereich Elektromobilität führenden Nationen wie Frankreich, Japan und USA kommen sie jedoch nicht vorbei. Der Index vergleicht die relative Wettbewerbsposition der sieben führenden Automobilnationen (Deutschland, Frankreich, Italien, USA, Japan, China und Südkorea) im Bereich der Elektromobilität.
Ab 2020 müssen 95 Prozent der neu zugelassenen Autos in Europa die festgelegten CO2-Grenzwerte einhalten; diese werden ab 2021 weiter verschärft. Dann dürfen neue Pkws im Durchschnitt nur 95 Gramm CO2 pro gefahrenen Kilometer ausstoßen – aktuell sind es 130 Gramm. Die Verschärfung der europäischen Richtlinien setzt Automobilhersteller immer stärker unter Druck: In den kommenden Jahren werden sie in allen Modellreihen mindestens ein Hybrid- oder ein vollständiges Elektromodell anbieten müssen, um die CO2-Grenzwerte einzuhalten, so die Berater. Die Voraussetzungen für den Bau kostengünstiger und technisch ausgereifter Elektroautos seien vorhanden, Schwierigkeiten macht den Herstellern vor allem das Gewicht der Batterien.