Berlin (csr-news) > Produkte der Informations- und Kommunikationstechnologie sind elementarer Bestandteil der öffentlichen Infrastruktur. Würde man bei der Beschaffung dieser Produkte auch die soziale Nachhaltigkeit überprüfen, hätten sie eine Chance diese Prüfung zu bestehen? Ein neuer Bericht mehrerer Nichtregierungsorganisationen, darunter weed, und Electronic Watch, versucht diese Frage zu beantworten.
Rund 2,4 Milliarden Euro gibt die öffentliche Hand jedes Jahr für die Beschaffung von Informationstechnologie aus. Produkte, die oftmals unter unzumutbaren und gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen produziert werden. Der aktuell veröffentlichte Bericht „Winds of Change“ hat sich vor allem mit den Arbeitsbedingungen unter dem Gesichtspunkt Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz beschäftigt, mit konkreten Fallbeispielen aus Südkorea und China. Die festgestellten gravierenden Missstände sind nach Auffassung der Aktivisten als strukturelle Probleme einzustufen. Die Verletzung von Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen sei in der Branche weit verbreitet. „Kein Markenhersteller kann behaupten, diesbezüglich eine weiße Weste zu haben“, heißt es im Bericht. Das macht es für öffentliche Auftraggeber schwer, sicherzustellen, dass die von ihnen erworbenen ITK-Produkte unter Einhaltung internationaler Sozialstandards hergestellt wurden.
In der IT-Produktion kommen mehr als 500 gefährliche Chemikalien zum Einsatz, viele davon führen nachweislich zu einem erhöhten Krebsrisiko. In den letzten Jahren wurde bei Hunderten von Arbeitern in dieser Branche in Südkorea Leukämie und Multiple Sklerose diagnostiziert und viele starben bereits an Krebs. Während die verantwortlichen IT-Marktführer diese Verbindung bestreiten, sollen die Recherchen der Aktivisten den Zusammenhang belegen. Die Fallbeispiele aus Südkorea zeigen beispielsweise, dass Arbeiter in der Halbleiterindustrie, die an seltenen Krebsarten und Leukämie erkranken, keine Möglichkeit haben, einen Zusammenhang zwischen ihren Beschwerden und ihrem Arbeitsumfeld zu beweisen. Ohne Diagnose der Erkrankung als Berufskrankheit können sie somit auch keine Entschädigung erhalten. Durch den sehr geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad können sich die Betroffenen kaum wehren. So sollen beispielsweise Markenhersteller in Südkorea aktiv gegen die Bildung unabhängiger Gewerkschaften vorgehen. Nur zwölf der 127.000 Beschäftigten von Samsung Electronics sind Mitglieder einer unabhängigen Gewerkschaft. Samsung widerspricht den Erkenntnissen. In einer Reaktion auf die Rechercheergebnisse schreiben sie: „In Einklang mit der üblichen Praxis in Korea, unterstützen wir Arbeitnehmer, die während ihrer Beschäftigung bei Samsung erkranken. Diese Unterstützung kann in Form einer finanziellen Entschädigung, einer Übernahme von Behandlungskosten und einer Bereitstellung von Versicherungsschutz geleistet werden“. Mehr als 15 Millionen Euro hat das Unternehmen 2013 für zusätzliche medizinische Leistungen im Bereich der Halbleiterproduktion bezahlt.
Trotz aller Probleme entwickeln sich Initiativen auf europäischer oder landespolitischer Ebene die eine nachhaltige Beschaffung der öffentlichen Hand vorantreiben wollen. Als besonders progressive Vorreiter nennt der Bericht die Regelungen des Vergabegesetzes in NRW. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern hat Nordrhein-Westfalen den Anwendungsbereich nicht auf bestimmte Produktgruppen eingeschränkt, sodass das Gesetz auch für bekanntermaßen „schwierige” Produktgruppen wie die Informations- und Kommunikationstechnologie anwendbar ist. „Das Gesetz bietet für das Land die Chance, sich als Vorbild im Bereich öko-sozialer IT-Beschaffung zu profilieren“, so die Autoren.