Frankfurt (csr-news) > In Deutschlands Betrieben herrscht Bewegungsmangel. Lange Meetings, stundenlanges Sitzen am Schreibtisch oder monotone Abläufe und Handgriffe in den Produktionshallen. Doch wie lässt sich mehr Bewegung in die Arbeitsabläufe bringen? Ein Trendreport des Zukunftsinstituts prognostiziert ein Zusammenwachsen von Sport und Arbeit.
Bis zu sieben Stunden verbringen Erwachsene täglich im Sitzen. Rund jeder dritte Berufstätige sogar neun Stunden. Das hat die Techniker Krankenkasse im vergangenen Jahr in einer umfangreichen Bewegungsstudie ermittelt. Dabei wollen die meisten Menschen sich mehr bewegen, auch in ihrer beruflichen Umgebung. In der Studie wünschten sich 90 Prozent mehr Bewegungsangebote in ihrem Betrieb – fast jeder Dritte findet allerdings überhaupt keine vor. Außerdem treibt nicht mal mehr jeder zweite Deutsche Sport. Es besteht also Änderungsbedarf. “Um die Menschen tatsächlich zu erreichen, müssen wir direkt dort ansetzen, wo sie ihren Alltag verbringen: in den Betrieben, in den Schulen, Kindergärten und Kommunen – sonst erreichen wir gerade diejenigen nicht, die Unterstützung am nötigsten haben”, sagte der TK-Vorsitzende Jens Baas bei der Vorstellung der Studie. Und genau das prognostiziert Thomas Huber, Geschäftsführer des Münchner Zukunftsinstituts und Autor der Studie „Sportivity – Die Zukunft des Sports“. Es wird zukünftig nicht mehr nur um sportliche Leistung gehen, sondern Sport integriert sich in den privaten und beruflichen Alltag. Rund 10.000 Schritte sollte jeder Deutsche durchschnittlich pro Tag gehen. Tatsächlich kommen nach Expertenschätzungen viele auf nicht mehr als 5.000 Schritte, die meisten liegen selbst darunter. So soll ein Call-Center-Agent auf rund 1.200 Schritte pro Arbeitstag kommen, Pausen schon mit eingerechnet. „Die Lösung dieses Dilemmas wird darin liegen, Bewegung auf eine neue Art und Weise in der Arbeitswelt zu integrieren“, schreibt Huber. In den nächsten Jahren werden nach seiner Einschätzung Beschäftigte mehr Druck auf die Arbeitgeber machen und mehr Bewegungsmöglichkeiten einfordern. Allerdings sind es gar nicht nur die Unternehmen, die Nachholbedarf haben, auch die Beschäftigten müssen sich im doppelten Sinne des Wortes mehr bewegen. Denn die bestehenden Betriebssportangebote der Unternehmen werden nur von wenigen angenommen.
Für die Mehrheit der Deutschen gilt: Auto und Bahn statt Fahrrad und Fußweg.
Es geht aber nicht nur um den Sport nach Feierabend, sondern um die Integration von Bewegungsangeboten in den Arbeitsalltag. Schon jetzt werden in manchen Betrieben Yoga- und Fitness-Kurse in der Mittagspause angeboten, oder ein eigenes Sportstudio steht für das kurze Work-out zwischendurch zur Verfügung. Mittelständler nutzen hierfür immer öfter auch Kooperationen mit Sportstudios im Umfeld des Betriebes. Es geht aber gar nicht nur um die Sportangebote sondern auch um die Schaffung von Bewegungsmöglichkeiten. Dazu müssen sich auch Vorstellungen ändern. „Sportlichkeit und Beweglichkeit werden aber häufig noch mit einem sehr klassischen Verständnis der Begriffe verbunden. Es geht um physische Leistung, um Anstrengung, um Verzicht, und irgendwie darf es auch nicht wirklich Spaß machen“, schreibt Huber. Das führt dazu, das Sport häufig gar nicht als solcher erkannt wird. Schon die Fahrt zur Arbeit mit einem Fahrrad ist eine Form des Sports. 30 bis 50 Minuten Bewegung sollten es pro Tag sein und die sollten nach Ansicht des amerikanischen Mediziners James O’Keefe den Bewegungen unserer Vorfahren ähneln. Er denkt dabei beispielsweise an Klettern, Laufen, Bücken, Heben, Tragen oder Schwimmen. O’Keefe geht davon aus, dass mit diesem „Steinzeit-Lebensstil“ modernen Erkrankungen entgegen gewirkt werden kann. Und genau an diesem Punkt setzen Forschungen an, die Bewegung direkt an den Schreibtisch bringen wollen. Schon jetzt sind höhenverstellbare Schreibtische und Stehpulte in manchen Büros zu finden. Sie unterstützen und fördern die Bewegung. Alleine der Unterschied zwischen acht Stunden Sitzen oder Stehen beträgt etwa 300 Kalorien. Immerhin sitzt ein normaler Büroangestellter im Laufe seines Berufslebens bis zu 80.000 Stunden. Abwechslung kann da nicht schaden. Zwar muten manche Angebote etwas seltsam an, wie etwa den Drucker in die hinterste Ecke zu stellen, letztlich tragen sie dennoch zu mehr Bewegung bei. Und hier kommen auch die Hersteller von Büromöbeln ins Spiel, für die ein völlig neuer Markt entsteht. Schon heute wünschen sich 44 Prozent der Beschäftigten hierzulande einen ergonomischen Arbeitsplatz, aber nur 13 Prozent der Unternehmen bieten solche Plätze an.
So könnten Arbeitsplätze bald aussehen. Amerikanische Unternehmen fertigen schon in Serie, in Deutschland sind es meist noch Prototypen.
Einige Hersteller sind nun mit Unterstützung von Forschungsinstituten dabei, Schreibtisch und Fitnessgerät miteinander zu verschmelzen. Da kann sich dann unter dem Schreibtisch ein Laufband befinden. Entscheidend ist die Intensität, mit der die Bewegung ausgeführt wird. Sie soll Bewegungseffekte bringen, gleichzeitig aber nicht von der Arbeit ablenken. Welchen Effekt solche, sogenannten dynamischen Arbeitsplätze haben können, hat das Institut für Arbeitsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung in einer Vergleichsstudie untersucht. Es wurden je ein Sitz- und ein Steharbeitsplatz mit einem dynamischen Pendant von 12 Versuchspersonen verglichen. Die mussten fünf standardisierte Bürotätigkeiten ausführen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Muskelaktivität an den dynamischen Arbeitsplätzen nur in einigen Fällen etwas höher ausfallen. Signifikante Unterschiede gab es dagegen bei der Herzfrequenz und dem Energieumsatz. Auswirkungen auf die Arbeitsleistung hatte die ungewohnte Bewegung nur bei Tätigkeiten mit einer Computermaus, wenn gleichzeitig die Bewegungsintensität erhöht wurde. Dennoch standen die Probanden den Geräten eher skeptisch gegenüber und auch die Forscher räumen ein, dass diese Geräte nur erste Überlegungen sind und man sich noch am Anfang befindet. Junge Start-ups setzen da eher auf Spaß und stellen Kicker in ihren Räumlichkeiten auf. Als neuer Trend zeichnen sich Entspannungssportarten wie Yoga oder Tai Chi nicht nur in Managerkreisen ab. Stillsein ist das neue Laufen. Studien haben längst gezeigt, wie wichtig und effektiv Ruhe und Meditation für Führungskräfte sind. „Corporate Meditation wird zum neuen Schlagwort und ist im Silicon Valley längst Alltag“, schreibt Huber.
Die Studie „Sportivity – Die Zukunft des Sports“ ist beim Zukunftsinstitut erhältlich.
Die Bewegungsstudie der Techniker Krankenkasse zum Download.
IFA-Report – Untersuchung von dynamischen Büroarbeitsplätzen zum Download