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UNDP-Bericht – 2,2 Milliarden Menschen sind arm oder von Armut bedroht

Berlin/Tokio (csr-news) > Anhaltende Verletzbarkeit bedroht die menschliche Entwicklung. Wenn ihr nicht mit Handlungskonzepten und sozialen Normen systematisch entgegengewirkt wird, wird der Fortschritt weder ausgewogen noch nachhaltig sein. Dies ist die Kernaussage des Berichts „Den menschlichen Fortschritt dauerhaft sichern: Anfälligkeit verringern, Widerstandskraft stärken“ über die menschliche Entwicklung 2014, der heute vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) vorgestellt wurde. Einkommensbasierten Messungen von Armut zufolge müssen 1,2 Milliarden Menschen ihren Lebensunterhalt mit 1,25 US-Dollar oder weniger pro Tag bestreiten. Die jüngsten Schätzungen des Indexes der mehrdimensionalen Armut von UNDP besagen jedoch, dass fast 1,5 Milliarden Menschen in 91 Entwicklungsländern von überlappenden Formen von Mangelerscheinungen in Bezug auf Gesundheit, Bildung und Lebensstandard betroffen sind. Wenngleich die Armut überall zurückgeht, laufen fast 800 Millionen Menschen Gefahr, bei Rückschlägen in die Armut zurückzufallen. „Durch die Verringerung von Anfälligkeiten können alle Menschen am Entwicklungsfortschritt teilhaben, und die menschliche Entwicklung wird zunehmend ausgewogener und nachhaltiger werden“, erklärte Helen Clark, die Administratorin des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen. Der Bericht über die menschliche Entwicklung 2014 erscheint in einer wichtigen Phase, in der sich die Aufmerksamkeit auf die Gestaltung einer neuen Entwicklungsagenda nach dem Ablauf der Frist für die Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele im Jahr 2015 richtet. Weil sich Krisen immer weiter und rascher ausbreiten, ist es dem Bericht zufolge von entscheidender Bedeutung, Vulnerabilität zu verstehen, um Zugewinne zu sichern und Fortschritte aufrechtzuerhalten. Er verweist auf langsamere Zuwächse bei der menschlichen Entwicklung in allen Regionen, gemessen anhand des Indexes der menschlichen Entwicklung (HDI). Er warnt, dass Bedrohungen wie Finanzkrisen, Schwankungen der Nahrungsmittelpreise, Naturkatastrophen und gewaltsame Konflikte den Fortschritt signifikant behindern. „Ein zentrales Ziel der Post-2015-Entwicklungsagenda muss sein, nicht nur die Armut an sich, sondern auch die Anfälligkeit der Menschen für das Abgleiten in Armut zu verringern“, heißt es in dem Bericht. „Beseitigung der extremen Armut bedeutet nicht nur, sie abzuschaffen; es muss auch sichergestellt werden, dass dies so bleibt.“

„Die Verringerung von Vulnerabilität ist ein wichtiger Bestandteil einer jeden Agenda zur Verbesserung menschlicher Entwicklung“, schreibt Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in einem Beitrag für den Bericht. „Wir müssen dafür einen breit angelegten systemischen Ansatz wählen.“ Der Bericht des Jahres 2014 verfolgt einen solchen Ansatz, indem er Vulnerabilität aus dem Blickwinkel der menschlichen Entwicklung als überlappendes und einander verstärkendes Bündel von Risiken neu auslotet. Er untersucht strukturelle Anfälligkeiten, das heißt solche, die infolge von Diskriminierung und institutioneller Defizite seit Langem bestehen, sich verschärft haben und Gruppen wie den Armen, Frauen, Migranten, Personen mit Behinderungen, Angehörigen indigener Gruppen und älteren Menschen schaden. Beispielsweise haben 80 Prozent der älteren Menschen auf der Welt keine soziale Sicherung, wobei sehr viele Ältere zusätzlich arm und behindert sind. Der Bericht führt auch das Konzept der Verwundbarkeiten im Laufe des Lebens ein – also die besonders neuralgischen Phasen im Leben, in denen Schocks größere negative Auswirkungen haben können. Dazu zählen die ersten 1.000 Lebenstage und die Übergänge von der Schule in den Beruf sowie vom Beruf in den Ruhestand. „Die Befähigungen, die der Mensch im Verlauf seines Lebens erwirbt, müssen gehegt und gepflegt werden, sonst können sie stagnieren oder sogar abnehmen“, heißt es warnend. „Sie werden beeinflusst durch Investitionen, die in früheren Lebensphasen vorgenommen wurden. Auch die Belastung durch kurzfristige Schockereignisse kann langfristige Folgen nach sich ziehen. Beispielsweise wurde in einer in dem Bericht zitierten Studie gezeigt, dass arme Kinder in Ecuador bereits im Alter von sechs Jahren Nachteile hinsichtlich ihres Wortschatzes haben. Frühzeitige Maßnahmen – wie Investitionen in die frühkindliche Entwicklung – sind deshalb dem Bericht zufolge besonders wichtig.

Der Bericht plädiert für die universelle Bereitstellung einer sozialen Grundversorgung zur Stärkung der Widerstandskraft und widerspricht der Vorstellung, dass dies nur für reiche Länder erschwinglich ist. Er präsentiert eine vergleichende Analyse von Ländern mit unterschiedlichen Einkommensniveaus und Regierungssystemen, die mit der Umsetzung einer solchen Politik entweder begonnen oder sie bereits vollständig abgeschlossen haben. Zu diesen Ländern zählen nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ wie Dänemark, Norwegen und Schweden, sondern auch rasch wachsende Volkswirtschaften wie die Republik Korea und Entwicklungsländer wie Costa Rica. „All diese Länder begannen, Maßnahmen zur Sozialversicherung zu ergreifen, als ihr BIP pro Kopf niedriger war als derzeit in Indien und Pakistan“, so der Bericht. „Es könnte jedoch Fälle geben, in denen das Gebot der Chancengleichheit eine Ungleichbehandlung notwendig macht“, erläutert Khalid Malik, Direktor des Büros für den Bericht über die menschliche Entwicklung von UNDP. „Vielleicht müssen für die Armen, die Ausgeschlossenen und die Marginalisierten mehr Ressourcen und Dienste bereitgestellt werden, wenn die Verwirklichungschancen und Lebensentscheidungen aller Menschen verbessert werden sollen.“ Der Bericht fordert die Regierungen auf, sich wieder das Ziel der Vollbeschäftigung zu eigen zu machen, ein Kernelement der makroökonomischen Politik der 1950er und 1960er Jahre, das nach den Ölpreisschocks von konkurrierenden Politikzielen abgelöst wurde. Er argumentiert, dass Vollbeschäftigung mit sozialem Nutzen wie der Förderung von sozialer Stabilität und gesellschaftlichem Zusammenhalt einhergeht, der private Vorteile übertrifft. In Anerkennung der Schwierigkeiten, vor denen Entwicklungsländer bei der Verwirklichung von Vollbeschäftigung stehen, drängt er zur Fokussierung auf einen Strukturwandel, „durch den die meisten Beschäftigten allmählich in den formellen Sektor einbezogen werden“, einschließlich eines Übergangs von der Landwirtschaft zu Industrie und Dienstleistungen mit unterstützenden Investitionen in Infrastruktur und Bildung. Die Mehrheit der Weltbevölkerung hat keine soziale Sicherung wie Renten und Arbeitslosenversicherung. Dem Bericht zufolge können solche Maßnahmen von Ländern auf allen Entwicklungsstufen verwirklicht werden. „Die Bereitstellung von sozialer Grundsicherung für die Armen weltweit würde schätzungsweise weniger als zwei Prozent des globalen BIP kosten“, wird bekräftigt. Es werden Kostenschätzungen für die Bereitstellung einer sozialen Grundsicherung für 12 afrikanische und asiatische Länder mit niedrigem Einkommen angestellt – einschließlich allgemeiner Alters- und Invalidengrundrenten, Kindergeld, eines allgemeinen Zugangs zu unentbehrlicher Gesundheitsversorgung, Sozialhilfe und eines Arbeitsbeschaffungsprogramms für 100 Tage –, die von etwa 10 Prozent des BIP in Burkina Faso bis zu weniger als 4 Prozent des BIP in Indien reichen.

„Grundlegende soziale Sicherung ist bezahlbar, wenn Länder mit niedrigem Einkommen Mittel umwidmen und bei gleichzeitiger Unterstützung durch die internationale Gebergemeinschaft eigene Finanzmittel aufbringen“, wird erläutert. Es bedarf kollektiver Anstrengung und koordinierten Handelns auf der globalen Ebene In dem Bericht werden zudem nachdrücklicheres kollektives Handeln sowie eine bessere globale Koordinierung und mehr Engagement zur Stärkung der Widerstandskraft als Reaktion auf Anfälligkeiten gefordert, die zunehmend globaler Natur sind, was ihren Ursprung und ihre negativen Auswirkungen betrifft. Die Bedrohungen reichen von Finanzkrisen bis zu Klimaänderungen und von Konflikten bis zu Flüchtlingsströmen. Sie sind ihrem Wesen nach oftmals transnational, wirken sich aber auf der lokalen und nationalen Ebene aus und überlappen einander häufig. Ein Beispiel ist der Niger, der nach aufeinanderfolgenden Dürren von schwerwiegenden Nahrungsmittel- und Ernährungskrisen betroffen war. Mitten in einer Nahrungsmittelkrise, die auch andere Länder in der Region in Mitleidenschaft zog, musste das Land die zusätzliche Herausforderung der Aufnahme von Tausenden von Menschen bewältigen, die vor dem Konflikt im benachbarten Mali geflohen waren. Transnationale Bedrohungen können nicht von unabhängig handelnden einzelnen Nationen gelöst werden. Laut dem Bericht erfordern sie eine neue Form des Engagements der internationalen Gemeinschaft, das über kurzfristige Reaktionen wie humanitäre Hilfe hinausgeht.

Der „Bericht über die menschliche Entwicklung 2014“ zum Download.


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