Berlin (csr-news) > In ganz Deutschland gelten Gesetze und Verordnungen, um Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz zu reduzieren. Diese Maßnahmen waren erfolgreich: In den letzten 50 Jahren ist die Zahl der Arbeitsunfälle um 75% zurückgegangen und befindet sich heute auf einem historisch tiefen Stand. Im Gegensatz dazu wurde der Schutz vor psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz lange vernachlässigt. Nun legt eine aktuelle Studie der medizinischen Fachgesellschaft DGPPN und der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Freiburg einen großen Nachholbedarf bei der Gefährdungsbeurteilung psychosozialer Risiken am Arbeitsplatz in deutschen Betrieben offen. In vielen europäischen Staaten müssen Arbeitgeber mit deutlich empfindlicheren Sanktionen rechnen, wenn sie der Pflicht der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz nicht nachgehen.
Mit 40 Millionen Arbeitsunfähigkeitstagen stehen Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen heute auf Platz zwei der Krankschreibungen, quer durch alle Branchen. Zudem gehen jedes Jahr rund 75.000 Menschen früher in Rente, weil sie den Belastungen am Arbeitsplatz nicht mehr standhalten. Ende 2013 reagierte die Politik darauf und nahm die Gefährdungsbeurteilung auch bezüglich psychischer Belastungen im Arbeitsschutzgesetz auf, allerdings mit wenig verbindlichen Vorgaben für die Arbeitgeber. Wie die DGPPN-Studie zeigt, sind die Möglichkeiten der Sanktionierung in Deutschland im Vergleich zu europäischen Nachbarländern minimal. Wer als Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung bei psychosozialen Risikofaktoren vernachlässigt oder gar nicht vornimmt, hat zunächst mit keinen Konsequenzen zu rechnen. Die zuständigen Landesbehörden für Arbeitssicherheit haben in Zukunft auch die Einhaltung der Gesetzesvorgaben für psychische Gesundheitsgefährdungen zu überwachen und den Arbeitgeber auf die Verletzung seiner Pflichten hinzuweisen. Erst wenn nach diesem Hinweis innerhalb einer Frist keine Nachbesserung erfolgt, kann die Pflichtverletzung als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden. Andere europäische Länder gehen deutlich konsequenter vor. Beispielsweise Belgien, hier muss jedes Jahr eine Gefährdungsbeurteilung durch Experten vorgenommen werden. Die Ergebnisse sind sowohl dem Arbeitnehmerausschuss als auch den Gewerkschaftsvertretern mitzuteilen. Eine Missachtung kann ein Bußgeld oder strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Auch in Frankreich muss die Beurteilung jährlich erfolgen, ansonsten wird sie mit einem Bußgeld geahndet. Kommt es gar zu einem Arbeitsunfall, muss mit deutlich höheren Geld- und Freiheitsstrafen gerechnet werden. Andere Länder wie Italien oder Luxemburg mussten erst vom Europäischen Gerichtshof verurteilt werden, bevor es zu einer Berücksichtigung psychosozialer Erkrankungen kam. Inzwischen wird eine Missachtung der Gefährdungsbeurteilung allerdings hart bestraft. In Schweden ist ein Sicherheitsombudsmann verpflichtend, sofern der Betrieb mindestens fünf Mitarbeiter beschäftigt. Sind es mehr als 50 Angestellte, muss ein Sicherheitskomitee benannt werden. Die DGPPN fordert nun, psychosoziale Risikofaktoren in der Arbeitswelt stärker zu berücksichtigen und in die gemeinsame Verantwortung von Politik, Arbeitgebern und Beschäftigen zu rücken. Die bisherigen Defizite in der Umsetzung des erweiterten Arbeitsschutzgesetzes sind dringend zu beheben. Es braucht verbindliche Reglungen unter Beteiligung von Sicherheitsfachkräften und Arbeitsmedizinern mit entsprechender Qualifikation, teilt die Organisation mit.