Berlin (csr-news) > Umweltschutz und Armutsbekämpfung sind kein Widerspruch, sondern können auch zum Motor von Wohlstandszuwächsen bei den unteren Einkommensgruppen der Welt werden. Allerdings können diese Maßnahmen nicht von den Armen selbst finanziert werden. Zu diesen Schlüssen kommt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem aktuellen Politikpapier.
Die nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) sollen im kommenden Jahr die Millenniumentwicklungsziele der Vereinten Nationen ablösen und prägen somit weltweit die Debatten zur Entwicklungspolitik. Die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Armutsbekämpfung sieht der WBGU im Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Diese sind durch bisherige, regelmäßig nicht nachhaltige Entwicklungsmuster massiv gefährdet. Aus diesem Grund empfiehlt der WBGU, ein umfassendes Umweltziel „Sicherung der Erdsystemleistungen“ in den Katalog der neuen nachhaltigen Entwicklungsziele aufzunehmen. Durch die Einführung dieses Ziels sollen Entwicklungspfade in Einklang mit ökologischen Grenzen gebracht werden, damit der zivilisatorische Fortschritt gesichert werden kann. Die dazu notwendigen Impulse zur Transformation und die erforderliche Finanzierung können nur von den globalen Mittel- und Oberschichten kommen. Als Operationalisierung dieses Ziels empfiehlt der WBGU in seinem Politikpapier „Zivilisatorischer Fortschritt innerhalb planetarischer Leitplanken – Ein Beitrag zur SDG-Debatte“, sechs Handlungsgebiete zum Schutz des Klimas, der Böden und der biologischen Vielfalt zu verankern, beispielsweise die Begrenzung der Erderwärmung und der Ozeanversauerung oder der Erhalt der bilogischen Vielfalt.
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller begrüßten das Politikpapier des Beirats als wichtigen Beitrag zur nationalen und internationalen Debatte über nachhaltige Entwicklung. “Globale Nachhaltigkeitsziele müssen die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde respektieren. Die Missachtung der Belastungsgrenzen würde die Entwicklungsmöglichkeiten künftiger Generationen zunichtemachen. Wir müssen die Chance nutzen, Armutsbekämpfung und eine ökologisch verträgliche Wirtschaftsweise weltweit miteinander zu verknüpfen”, sagte Hendricks. Müller wies auf die globale Verantwortung in Klimafragen hin: “Es ist eine Welt, für die wir unsere Verantwortung tragen. Wie wir mit unserem Klima und unserer Umwelt umgehen, ist für jeden Erdbewohner einer zentrale Überlebensfrage des 21. Jahrhunderts. Deshalb muss die Weltgemeinschaft auf diese zentralen Fragen gemeinsame Antworten finden. Von Energiepartnerschaften über Wissenstransfer in Umwelttechnik bis hin zu ressourcenschonenden Anbaumethoden – es gibt noch unzählige Vernetzungschancen, die wir nutzen müssen.” Im September beginnen die zwischenstaatlichen Verhandlungen zu den nachhaltigen Entwicklungszielen, die im Herbst 2015 von der UN-Generalversammlung verabschiedet werden sollen. Die „Post 2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung“ soll sich an alle Staaten richten, also für Schwellen-, Entwicklungs- und Industrieländer gleichermaßen gelten. Auf Basis der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) und der Ergebnisse der UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung (Rio+20) erarbeitet eine internationale Arbeitsgruppe bei den Vereinten Nationen in New York derzeit unter aktiver Beteiligung Deutschlands Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs).
Im Einzelnen begründet der WBGU seine Empfehlungen wie folgt:
1. Die Berücksichtigung ökologischer Grenzen in Form planetarischer Leitplanken ist Voraussetzung für Armutsbekämpfung und Entwicklung. Planetarische Leitplanken sind quantitativ definierbare Schadensgrenzen, deren Überschreitung heute oder in Zukunft intolerable Folgen mit sich brächte, so dass auch großer Nutzen in anderen Bereichen diese Schäden nicht ausgleichen könnte. Wenn Leitplanken überschritten werden, zum Beispiel durch den Verlust fruchtbarer Böden, können bisherige Erfolge der Armutsbekämpfung zunichte gemacht werden. Auch die weltweit aufstrebenden Mittel- und Oberschichten, also die wohlhabendsten 3 Mrd. Menschen, würden in ihrer Entwicklung gebremst werden, etwa durch Extremwetterereignisse.
2. Die Berücksichtigung planetarischer Leitplanken bedeutet keine Begrenzung für die zukünftige Entwicklung der ärmsten 2 Milliarden Menschen, die mit weniger als 2 US-$ täglich auskommen müssen. Vielmehr wird Entwicklung auf Dauer nur innerhalb der planetarischen Grenzen möglich sein, weil etwa Ernährungssicherheit ohne Erhalt der Böden nicht möglich ist. Darüber hinaus können die Grundbedürfnisse menschlicher Entwicklung, wie etwa Zugang zu Nahrung und Energie, ohne eine Verletzung von Leitplanken erreicht werden.
3. Konsumentscheidungen und Lebensstile der Mittel- und Oberschichten tragen am stärksten zur Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen bei, etwa durch deren hohen Ressourcenverbrauch oder CO2-Ausstoß pro Kopf-. Gleichzeitig haben diese Gruppen aber den besten Zugang zu nachhaltigen Technologien. Damit obliegt ihnen die Verantwortung, Vorreiter für den Schutz des Erdsystems zu werden und Raum für eine nachhaltige Entwicklung der armen Bevölkerungsgruppen zu schaffen. Bereits der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Michael Spence wies darauf hin, dass das bestehende Wachstumsmuster nicht global übertragbar ist. Hier ist die Politik gefordert, passende Voraussetzungen für nachhaltige Produktions- und Konsummuster zu schaffen. Ordnungsrecht sollte in Form von Ge- und Verboten den Rahmen zur Einhaltung von Leitplanken setzen und marktwirtschaftliche Instrumente die dazu förderlichen Anreize. Konsumenten und Produzenten benötigen zudem ausreichend Informationen zur Beurteilung des eigenen Handelns. Gleichzeitig sollten tägliche Konsumentscheidungen, etwa durch Aufklärungskampagnen und Bildungsprogramme, stärker problematisiert werden, damit individuelles Handeln die politische Gestaltung unterstützt.
4. Planetarische Leitplanken verdeutlichen die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit. Globale Gemeinschaftsgüter wie die Atmosphäre lassen sich nicht durch unilaterale Maßnahmen schützen. Eine Kooperation der internationalen Staatengemeinschaft zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen zu forcieren, ist somit eine der großen Menschheitsherausforderungen des 21. Jahrhunderts. Das vom WBGU empfohlene Umweltziel kann bei der Entwicklung von Institutionen zum Schutz des Erdsystems einen wichtigen Beitrag leisten.
Foto: v.l.: Peter Lemke (WBGU-Mitglied), Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, Dirk Messner (WBGU-Vorsitzender), Sabine Schlacke (WBGU-Mitglied)