Berlin (csr-news) > Am 12. Juni ist es soweit, dann wird in der Arena de Sao Paulo das Eröffnungsspiel der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft in Brasilien angepfiffen. Die FIFA lässt keine Gelegenheit aus, um von einem großen Fußballfest zu sprechen, Brasiliens Bevölkerung scheint sich da nicht so sicher. In den nächsten Wochen werden wir einige Beiträge zur WM veröffentlichen und dabei die unterschiedlichsten Verantwortungsbereiche beleuchten. Zum Auftakt geht es um die Ureinwohner und Zwangsumsiedlungen.
Bisher wurden rund 170.000 Personen in ganz Brasilien zwangsumgesiedelt um für den Bau von Sportstätten Platz zu machen. Die Konsequenzen bekommen aber weit mehr Menschen zu spüren, weil sie sich die steigenden Miet- und Lebenserhaltungskosten nicht mehr leisten können. Davon berichtete ein Team der entwicklungspolitischen Organisation Südwind, die Anfang April nach Rio de Janeiro gereist waren, um die Auswirkungen der sportlichen Megaevents Fußball-WM und Olympische Spiele zu recherchieren. Die Vertreibungen dienen Stadterneuerungsprojekten, welche die Errichtung von teuren Immobilien für die Mittel- und Oberschicht in den ehemaligen Favelas beabsichtigen. Die Fußball-WM und die Olympischen Spiele dienen dabei als Vorwand. Sie schaffen eine Ausnahmesituation, die es der Regierung ermöglicht, schnell Gesetze ohne demokratische Entscheidungsfindung durchzubringen und die öffentliche Verschuldung für Infrastrukturmaßnamen über den üblichen Rahmen auszureizen. „Es ist empörend, wie mit sportlichen Großevents Geschäfte gemacht werden. Während einige wenige Großunternehmen Gewinne in Millionenhöhe einfahren, zahlt die arme Bevölkerung den Hauptteil dieser Kosten. Faire Spiele sehen anders aus!“, so Christine Esterbauer von Südwind, nach ihrer Rückkehr aus Brasilien. Tatsächlich führen die strengen Regularien der FIFA zu einseitiger Belastung der brasilianischen Bevölkerung. Während an vielen Orten massiv investiert werden muss, um dem Reglement zu entsprechen werden an anderer Stelle erhebliche Gewinne erzielt. Mit Einnahmen in Höhe von vier Milliarden Euro rechnet der Weltfußballverband, Einnahmen, die überwiegend nicht im Land bleiben.
Auch für die Ureinwohner Brasiliens wird von den Einnahmen nichts übrig bleiben. Linda Poppe, Koordinatorin von Survival Deutschland: “Die Fußball-WM wird Brasiliens indigenen Völkern nichts bringen. Regierung, FIFA und Sponsoren schreiben sie regelrecht aus Brasiliens Geschichte heraus oder wischen den Kampf um ihre Rechte beiseite. Wenn sich für indigene Völker etwas ändern soll, muss Brasiliens dunkle Seite dringend ans Licht der Öffentlichkeit. Dann wird sich Brasilien auch fragen müssen, ob es für seinen Ruf nicht besser wäre, mehr in die Rechte seiner eigenen Bevölkerung als in große Sportevents zu investieren.” Im Rahmen einer Kampagne will Survival diese dunkle Seite des Lands aufdecken und veröffentlicht dafür kaum bekannte Fakten. Dabei hat Survival nicht nur die jüngere Geschichte rund um die WM im Blick, sondern die seit Jahrhunderten andauernde rechtliche Beschneidung der ursprünglichen Einwohner. So ist alleine die Zahl der indigenen Bevölkerung von ehemals 10 Millionen (bei Ankunft der Europäer um 1500) auf nur noch rund 100.000 in den 1950er Jahren geschrumpft. Manche der Völker, die überlebt haben, zählen heute weniger Angehörige als die elf Personen in einer Fußballmannschaft. Ein anderes Beispiel ist die Vielfalt der Sprachen. Die FIFA nennt Deutsch und Italienisch als Beispiele für die vielfältigen Sprachen Brasiliens. Dass die Mehrheit der in Brasilien gesprochenen Sprachen (über 200) indigener Herkunft ist, findet keine Erwähnung. Und auch beim Thema Geld kommen die indigenen Völker eher schlecht weg. Alleine die Sicherheitsmaßnahmen zur Fußball-WM kosten fast 800 Millionen US-Dollar, was etwa dem zehnfachen des Jahresbudgets der brasilianischen Indianerschutzbehörde (FUNAI) entspricht. Und auch die Sponsoren werden nicht verschont. Wie Survival schreibt, wirbt der WM-Sponsor Coca-Cola mit Indianern, ist aber gleichzeitig in einen Landkonflikt mit den Guarani verwickelt: Das Unternehmen bezieht Zucker vom Lebensmittelkonzern Bunge, der Zuckerrohr auf Land anbaut, das den Guarani gestohlen wurde.
Mehr Fakten gibt es auf der Kampagnen-Website von Survival.