München (csr-news) > Aktuell läuft die erste Berichtssaison nach dem Launch der neuen GRI-Richtlinien. Inzwischen wurden die ersten, nach G4 erstellten Nachhaltigkeitsberichte veröffentlicht. Mit welchen Herausforderungen haben die Unternehmen zu kämpfen. CSR-NEWS hat Dr. Kristin Vorbohle gefragt, Expertin für Nachhaltigkeitsreporting bei der Kommunikations- und Beratungsagentur akzente.
Was sind ihre Eindrücke von den ersten Gehversuchen mit G4?
Kristin Vorbohle: Wir haben festgestellt, dass die neuen G4-Richtlinien bei unseren Kunden eher Verunsicherung ausgelöst haben. Es gab mehr Fragen als Antworten. In der Folge werden die meisten Unternehmen ihren Bericht für das Jahr 2013 noch nach G3 erstellen, auch wenn sie sich bereits mit den neuen Richtlinien beschäftigen. Genau dieses Vorgehen empfehlen wir auch unseren Kunden.
Was sorgt in den Unternehmen für Verunsicherung?
Kristin Vorbohle: Es geht dabei vor allem um den Prozess zur Feststellung der wesentlichen Berichtsthemen. Das ist ein Prozess, den viele Unternehmen noch nicht durchlaufen haben. Lässt man die DAX-30 Konzerne mal beiseite, dann ist das für viele Unternehmen etwas Neues. G4 lässt hier einerseits formal viel Interpretationsspielraum, andererseits ist das vorgeschlagene Vorgehen wieder sehr präzise. Dadurch werden Fragen aufgeworfen, weil nicht immer alles eins zu eins auf jedes Unternehmen übertragbar ist. Dieser, durchaus gewollte Interpretationsspielraum, wird in den nächsten eineinhalb Jahren genutzt werden und es werden sich bestimmte Vorgehensweisen und Methoden herausbilden, die für die Unternehmen praktikabel und sinnvoll sind. Aus unserer Sicht müssen Unternehmen solange nicht zwingend nach G4 berichten. Es kann aber sinnvoll sein, wenn Unternehmen in der Berichterstattung eine Vorreiterrolle einnehmen wollen.
Wollen sie?
Kristin Vorbohle: Wir stellen fest, dass es auch Unternehmen gibt, die planen, sich an den G4-Leitlinien zu orientieren, diesen Standard aber nicht formal erfüllen wollen. Das heißt, es werden nur die Teile genutzt, die für das eigene Unternehmen sinnvoll sind. Alle Anforderungen, die nicht passen, werden weggelassen. Das ist aus meiner Sicht ein sehr praxisorientierter Umgang mit Standards für Unternehmen, die nicht börsennotiert sind oder zu einem Konzernverbund gehören. Das bedeutet keinesfalls eine schlechtere Nachhaltigkeitsperformance. Im Gegenteil, diese Unternehmen gehen einfach einen anderen Weg, vielleicht sogar einen besseren. G4 nicht zu erfüllen heißt ja nicht weniger zu machen sondern nur, die Dinge anderes zu machen. Außerdem sind diese Berichte häufig auch von einem Wirtschaftsprüfer testiert – sie erhalten nur kein GRI-Zertifikat. Die Sprachregelung ist dann in „Anlehnung an G4“.
Für international tätige, börsennotierte Konzerne sind Wesentlichkeitsanalysen nicht Neues. Lassen sich die einfach übernehmen?
Kristin Vorbohle: Das Prinzip der Wesentlichkeit hatte bereits in den Vorgängerversionen Gültigkeit, nun ist es jedoch noch mehr in den Fokus gerückt. Neu ist, dass auf dieser Basis auch Dinge nicht berichtet werden müssen, die man zuvor berichten musste. In vielen großen Unternehmen werden deshalb die bestehenden Wesentlichkeitsanalysen mit Blick auf G4 noch einmal überarbeitet. Darüber hinaus rücken die Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit auf Umwelt und Gesellschaft – die ebenfalls aus G3 bekannt sind – deutlicher in den Mittelpunkt. Genau mit diesen Auswirkungen beschäftigt man sich jetzt in den Unternehmen und versucht diese zu erfassen und zu messen. Dass große Unternehmen zukünftig auf der Basis ihrer Wesentlichkeitsanalysen weniger berichten als vorher, weil sie bestimmte Themen als nicht relevant identifiziert haben, ist allerdings nicht zu erwarten. Sie haben bislang sehr umfangreich Daten erfasst und berichtet und werden dies auch in Zukunft tun.
Weil es von den Stakeholdern gefordert wird?
Kristin Vorbohle: Das Wesentlichkeitsprinzip stellt eine Verbindung zwischen Strategie und Reporting her, die komplexer ist, als es zunächst erscheint. Denn die strategische Umsetzung von Wesentlichkeit ist häufig etwas anderes als deren Umsetzung in einem Nachhaltigkeitsbericht. Das wirkt sich auch auf den Stakholderdialog aus: Dem Informationsbedürfnis einer Stakeholdergruppe gerecht zu werden kann etwas anderes sein, als bestimmte Themen in der Nachhaltigkeitsstrategie zu berücksichtigen.
Was würden sie Unternehmen empfehlen, die sich erstmals dazu entscheiden einen Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen.
Kristin Vorbohle: Diese Unternehmen sollten unbedingt nach G4 berichten. Es geht darum anzufangen – es geht nicht darum, von Anfang an alle Anforderungen zu erfüllen. G4 bietet die Möglichkeit, die Gründe für fehlende Angaben zu erläutern. Gerade für Erstberichter ist dieses Mittel sehr wichtig und die GRI empfiehlt selbst, davon auch Gebrauch zu machen. Außerdem können sich diese Unternehmen erstmal auf die Kernberichterstattung konzentrieren.