Wuppertal (csr-news) – Ab dem 1. Januar 2014 gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU auch für Arbeitsuchende aus Rumänien und Bulgarien. Bereits heute sind viele Arbeitnehmer aus diesen Ländern in Deutschland tätig: Als Selbständige, mit einer speziellen Arbeitserlaubnis – und einige als Opfer von Arbeitsausbeutung. Um die letztere Gruppe kümmert sich das „unsichtbar – Bündnis gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung“.
Seit 2005 kennt das deutsche Strafgesetzbuch (§§ 233, 233a) den Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung – und droht dafür bis zu 10 Jahren Haft an. Allerdings spielt dieses Verbrechen in der polizeilichen Arbeit kaum eine Rolle: Die Kriminalstatistik für das Jahr 2012 weist lediglich 76 erfasste Fälle aus. „Die Ermittlungen sind nach meinen Recherchen auf dem Level, der in den frühen 90er Jahren in Bezug auf die Prostitution vorgeherrscht hat“, sagt der Soziologe André Thielmann von den Migrationsdiensten der Diakonie Wuppertal. Dann kamen die Beratungsstellen, boten Betroffenen Hilfe an, erleichterten ihnen den Ausstieg und stärkten sie so für eine Aussage vor der Polizei.
André Thielmann
Derzeit entstehen vielfältige Initiativen gegen Arbeitsausbeutung. Das „Bündnis gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung“, zu dem auch die Wuppertaler Diakonie gehört, will sie zusammenführen und stärken. So arbeiten Thielmann und seine Kollegen an einer Übersicht zur Situation in Nordrhein-Westfalen – und an einer Einstellungsänderung in der Bevölkerung. „In vielen Fällen werden die als Täter identifiziert, die ausgebeutet werden“, sagt der Soziologe. Dem begegnet die Diakonie mit ihrem Schulungsangebot für Behördenmitarbeiter.
Eine erste Übersicht bietet die im Herbst erschienene Dokumentation „Arbeitsausbeutung und Menschenhandel in Nordrhein-Westfalen“. Darin ist zu lesen, dass es in den Städten Dortmund, Duisburg und Köln sogenannte „Arbeitsstriche“ gibt: Dort bieten zumeist Männer auf offener Straße ihre Arbeitsleistung an und werden von Auftraggebern für eine Tagesarbeit eingesammelt. Die bisher in NRW ermittelten Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung wurden ganz überwiegend in typischen Niedriglohnbranchen angetroffen: auf dem Bau, in der Gastronomie und der Landwirtschaft, in der Fleischindustrie, Speditionen und Gärtnereien.
Zugleich findet sich dort eine Stichwortliste dazu, woran sich Arbeitsausbeutung erkennen lässt. Hinweise auf darauf sind danach:
- Unfreiwillige Arbeitsaufnahme oder Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses durch Täuschung, Zwang, Gewalt
- Einschränkung der Bewegungsfreiheit im und außerhalb des Arbeitsverhältnisses
- Einbehaltung von Identitätspapieren
- Übermäßige Arbeitszeiten, die im krassen Missverhältnis zu vergleichbaren Arbeitsverhältnissen stehen
- Verweigerung von Lohnzahlungen oder unverhältnismäßige Verrechnung mit Schulden
- Lohnzahlungen unterhalb von 2/3 des Normallohnes vergleichbarer Arbeitsverhältnisse
Um der Arbeitsausbeutung zu begegnen, ist das Bündnis beispielsweise mit dem Berufsverband der Gastronomie, der DEHOGA, im Gespräch. Diese Branche sieht sich dabei besonderen Herausforderungen gegenüber: Allein in NRW sind 360.000 Arbeitnehmer in 45.000 gastgewerblichen Betrieben tätig. Die meisten Unternehmen sind dabei mit einem bis drei Mitarbeitern sehr klein. Das erschwert die Durchdringung der Branche mit nachhaltigen Arbeitsstandards.
In Nordrhein-Westfalen sollen demnächst die bisher knapp 50 ermittelten Fälle von Arbeitsausbeutung anhand der staatsanwaltschaftlichen Akten ausgewertet werden, um genauere Kenntnisse über die Struktur des Menschenhandels zur Arbeitsausbeutung zu gewinnen. Das „Bündnis gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung“ wird aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Bundesarbeitsministeriums gefördert. Zu den Bündnispartnern gehören neben der Diakonie Wuppertal der Berliner Verein „Arbeit und Leben“, das Integrationsministerium des Landes Rheinland-Pfalz, der DGB Berlin/Brandenburg, die internationale Arbeitsorganisation ILO und die internationale Migrantenorganisation IOM.
Die Studie “Arbeitsausbeutung und Menschenhandel in Nordrhein-Westfalen“ >> als PDF zum Download