Heilbronn (csr-news) – Acht Unternehmen und die German Graduate School of Management and Law (GGS) stellten am 15. September in Heilbronn die „Heilbronner Erklärung zur gesellschaftlichen Verantwortung des Mittelstands“ in der Öffentlichkeit vor. Anlass war die Tagung „Markt.Mensch.Mittelstand“ des Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik (DNWE). Die Unterzeichner verpflichten sich, in der Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung über gesetzliche Vorgaben und Mindeststandards deutlich hinauszugehen. „Wir hinterfragen unsere vorhandenen CSR-Projekte kritisch, erweitern sie und fassen sie zu einer CSR-Strategie zusammen und oder integrieren sie in unserer Unternehmensstrategie“, heißt es in der Erklärung.
Wie Christopher Stehr, Professor an der GGS, sagte, ist dem Entwurf ein intensiver Beratungsprozess vorausgegangen. Die Erklärung solle eine „nachhaltige Begleitung“ durch Masterarbeiten und Promotionen erhalten und die gesellschaftliche Verantwortungsübernahme der unterzeichnenden mittelständischen Unternehmen durch einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch von deren CSR-Beauftragten vorangebracht werden. In Bezug auf die Veröffentlichung der Erklärung sagte Stehr: „War das Greenwashing? War das Socialwashing? Nein, sondern ein ökonomischer und ökologischer Mehrwert, den wir generieren.“ Gemeinsam mit der GGS haben folgende Unternehmen die Erklärung unterzeichnet: Bera (Schwäbisch Hall), Berner-Group (Künzelsau), Heilbronner Stimme (Heilbronn), Hirschmann Laborgeräte (Eberstadt), Intersport (Heilbronn), Marbach (Heilbronn), Martin Priebe Beratung & Training (Stuttgart), Sedus (Waldshut).
Finanziell unterstützt wurde die Erstellung der Heilbronner Unternehmen von der mit den Unternehmen Lidl und Kaufland verbundenen Dieter-Schwarz-Stiftung. Hier dokumentieren wir den am 15. September vorgelegten Wortlaut der Erklärung:
Heilbronner Erklärung
zur gesellschaftlichen Verantwortung des Mittelstands in der Wirtschaft
(Stand 03.08.2012)
anlässlich der 12. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik Heilbronn, 13.-15. September 2012
Präambel
Wir, Unternehmen, Institutionen und Individuen aus ganz Deutschland mit Fokus auf Baden-Württemberg, Bayern und der Wirtschaftsregion Heilbronn-Franken sind der Überzeugung, dass Vertrauen zwischen Marktteilnehmern eine Kernvoraussetzung für das erfolgreiche Betteiben unternehmerischer Wertschöpfung ist. Aktuell hat das gesellschaftliche Vertrauen in die Marktwirtschaft als solches unter dem Eindruck der vergangenen Krisen gelitten. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wollen wir mit dieser Erklärung ein Zeichen setzen: Eigeninitiativ und freiwillig verpflichten wir uns gegenseitig dazu, die gesellschaftliche Verantwortung, die wir als Institutionen und erfolgreiche Unternehmen tragen auf lokaler wie auf globaler Ebene wahrzunehmen.
Dabei wollen wir über das Maß des „Selbstverständlichen“, d.h. die gesetzlichen Vorgaben und Mindeststandards deutlich hinausgehen. Unser Ziel ist es, nicht nur in den Bereichen Management, Technologie und Dienstleistung weltweit führend zu sein. Wir wollen auch im Hinblick auf unternehmerisches Verantwortungsbewusstsein und ökologisches und soziales Engagement neue Maßstäbe zu setzen.
Im Zuge der Globalisierung ist ein Wirtschaftsklima entstanden, in dem ökonomische Funktionalität als Entscheidungsfaktor nicht nur an erster Stelle steht, sondern gleichzeitig andere Kriterien als irrelevant und unökonomisch außer Kraft setzt – im Rahmen der unternehmerischen Internationalisierung auch ethische Überlegungen. Dies ist in der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2007 bis 2009 sehr deutlich zutage getreten. Zum Teil war hier durch Informationsmissbrauch und Risikoverschleierung Markttransparenz nicht mehr gewährleistet. Durch die Umgehung gesetzlicher Vorgaben konnten Marktteilnehmer Wettbewerbsvorteile erlangen. Dies widerspricht unserer Auffassung von verantwortungsvollem Wirtschaften unter ökonomischen, ethischen, sozialen, Ökologischen und langfristigen Aspekten.
In vielen Institutionen und Unternehmen ist eine Erwartungshaltung an Führungskräfte und Mitarbeiter entstanden, die nur noch das unreflektierte Ausführen einer kurzfristigen gewinnmaximierenden Strategie beinhaltet. Auf diese Weise wird verantwortliches Handeln einseitig beschränkt. „Verantwortliches Handeln“ im umfassenden Sinn bedeutet für den Bereich der Wirtschaft, sowohl privatökonomische als auch national- und globalökonomische Dimensionen sowie ökologische und soziale Kriterien in Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen, um Lösungen zu finden, die möglichst allen Interessengruppen in gleicher Weise gerecht werden – auch denen, die noch nicht geboren sind.
Erklärungstext
Wir haben in den letzten Jahren bereits unter Beweis gestellt, dass wir nicht nur daran interessiert sind, international und global konkurrenzfähig zu bleiben, sondern dass wir darüber hinaus auch den Bedürfnissen unserer Stakeholder gerecht werden. Stakeholder sind alle diejenigen, die am Handeln eines Unternehmens oder einer Institution in irgendeiner Weise beteiligt oder interessiert sind. Damit stehen wir in vorderster Reihe, wenn es darum geht, einen Ausweg aus der vielbeschworenen „Vertrauenskrise der Wirtschaft“ zu finden, denn wir haben erkannt: Ohne Vertrauen – sei es zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden, Zulieferern oder Kooperationspartnern, sei es zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft – ist kein nachhaltig erfolgreiches Wirtschaften möglich. So hängt z.B. in Unternehmensnetzwerken und sogenannten Clustern der Aufbau langfristiger Geschäftsbeziehungen wesentlich von der Entwicklung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit ab. Der Aufbau einer Vertrauensstellung ist die Basis für eine gewinnbringende Partnerschaft, die den gegenseitigen Austausch fördert und das Erreichen gemeinsamer Ziele ermöglicht. Uns ist bewusst, dass diese Vertrauensgrundlage nur dann erhalten bleiben kann, wenn wir sie uns jeden Tag neu erarbeiten, und jeder einzelne unserer Mitarbeiter sich glaubwürdig dafür einsetzt.
Uns ist außerdem bewusst, dass wir als Institutionen und wir als international erfolgreiche Unternehmen eine besondere Vorbildfunktion innehaben. Als „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“ befindet sich der Mittelstand einerseits in einer herausragenden Position, gerade wenn es um erfolgreiches Management und Innovation geht. Andererseits stehen mittelständische Unternehmen nicht zuletzt dank ihrer meist flachen Unternehmensstrukturen, ihrer Nähe zur Gesellschaft und der tiefen Verwurzelung in ihrer Region für reflektiertes, nachhaltiges und werteorientiertes Handeln. So haben wir als Unternehmen und Institutionen trotz des wachsenden globalen Drucks daran festgehalten, die CSR-Gedanken von Fairness, Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit in unseren jeweiligen branchenspezifischen Wertschöpfungsprozessen zu gewährleisten.
Aus diesem Selbstverständnis heraus gehört insbesondere auch der Mittelstand zu den maßgeblichen Vorreitern und Unterstützern von gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen, d.h. Corporate Social Responsibility“ (CSR). Nach der Definition der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2011 beinhaltet dies „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft.“ Im modernen Verständnis wird CSR zunehmend als ein ganzheitliches, alle Nachhaltigkeitsdimensionen integrierendes Unternehmenskonzept aufgefasst, das alle sozialen, ökologischen und ökonomischen Beiträge eines Unternehmens zur freiwilligen Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung umfasst, die über die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen (Compliance) hinausgehen.
Um tatsächlich einen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung von Unternehmen und Institutionen zu bewirken, und um die Vorreiterrolle, in der wir uns sehen, glaubhaft einzunehmen, ist es in unseren Augen notwendig, mehr zu tun als von der Politik oder der Gesellschaft verlangt wird. Angestrebte Standardisierungen wie etwa im Dokument der Global Reporting Initiative oder „ISO 26000″ der International Organization for Standardization halten wir zwar für einen Schritt in die richtige Richtung, sind uns aber gleichzeitig darüber bewusst, dass solche Standards lediglich ein erstes Mindestmaß an gesellschaftlicher und nachhaltiger Verantwortung definieren. In unserer Tradition als Institutionen und Mittelstands- bzw. Familienunternehmen versuchen wir CSR gemäß der oben genannten ganzheitlichen Definition über das ISO-Berichtswesen hinaus bereits authentisch zu leben und konkret umzusetzen.
Da wir auch andere zur ethischen Reflexion ihres Handelns und zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung anregen wollen, gehen wir diese gegenseitige Verpflichtung ein, und fordern gleichzeitig jede und jeden dazu auf, unserem Beispiel zu folgen.
„Damit die Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung in vollem Umfang gerecht werden, sollten sie auf ein Verfahren zurückgreifen können, mit dem soziale, ökologische, ethische Menschenrechts- und Verbraucherbelange in enger Zusammenarbeit mit den Stakeholdern in die Betriebsführung und in ihre Kernstrategie integriert werden.“ Diese Idee der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2011 setzen wir im Nachfolgenden um.
Freiwillige Selbstverpflichtung
Mit unserer Unterschrift verfolgen wir eine Vision:
- Achtsam und verantwortungsvoll mit unserer natürlichen Umwelt umzugehen;
- Keine Ausbeutung von Mensch und Umwelt bei unseren unternehmerischen und institutionellen Aktivitäten und in unserem unternehmerischen und institutionellen Umfeld zuzulassen;
- Menschen im In- und Ausland gesunde Arbeitsbedingungen durch faire Bezahlung und Behandlung zuzusichern;
- Auch andere Marktteilnehmer in unserem unternehmerischen und institutionellen Netzwerk zum nachhaltigen Wirtschaften zu bewegen;
- In der globalen Wirtschaft ein menschenfreundlicheres Entscheidungsklima im Sinne einer nachhaltigen Unternehmens- und Organisationskultur zu erzeugen;
- Die Gestaltung CSR-freundlicher Strukturen in Unternehmen und Institutionen voranzutreiben und die Prinzipien ethisch reflektierter Unternehmensführung weiterzuverbreiten;
- Unser Tun an der Idee der Generationengerechtigkeit auszurichten, damit uns, unseren Kindern und unseren Enkelkindern in aller Welt eine lebenswerte Zukunft bewahrt bleibt.
Daraus leiten sich unsere Mission und folgende konkrete Handlungsansätze ab:
- Wir recherchieren und analysieren bei institutionellen und unternehmerischen Entscheidungen initiativ über mögliche Konsequenzen und Risiken. Dabei berücksichtigen wir die Interessen von betroffene/n Gruppen (z.B. mittels Stakeholderdialogen) und orientieren uns an sozialen, ökologischen und ökonomischen Kriterien.
- Wir sensibilisieren und informieren unsere Mitarbeiter, Partner und Kunden über den hier beschriebenen, werteorientierten und ganzheitlichen CSR-Ansatz.
- Wir nehmen unsere gesellschaftliche Verantwortung ab sofort, freiwillig und bei uns selbst beginnend wahr.
- Wir verfolgen das Ziel, CSR als Wertschöpfungsfaktor langfristig in unsere Unternehmenskultur, -Strategie sowie in unsere unternehmerischen und institutionellen Prozesse zu integrieren.
- Wir verstehen unsere „CSR-Strategien“ nicht nur als Marketinginstrument (missbräuchlich: Green/ Social Washing), sondern als gelebte CSR, die die Würde der Menschen anerkennt und sich unserer Gesellschaft verpflichtet.
- Wir hinterfragen unsere vorhandenen CSR-Projekte kritisch, erweitern sie und fassen sie zu einer CSR-Strategie zusammen und oder integrieren sie in unserer Unternehmensstrategie. Wir unterstützen die Entwicklung von definierten und messbaren CSR-Kategorien und CSR-Indikatoren zum Benchmarking innerhalb unserer Branchen und darüber hinaus (siehe z.B. ISO 26000).
- Wir treiben den Diskurs über Nachhaltigkeit und CSR weiter voran und verknüpfen theoretische Ansätze mit praktischen Erfahrungen aus unserem aktiven Netzwerk.
- Wir kommen unserem Streben nach gesellschaftlicher Verantwortung mit bestem Wissen und Gewissen nach und fördern dauerhafte Prozess zur Implementierung in unseren Unternehmen und Institutionen.
- Wir treffen uns zunächst innerhalb des nächsten Jahres mehrfach zur gemeinsamen oben formulierten Zielerreichung von Maßnahmen, Indices/Kategorien oder Benchmark, z.B. im Rahmen
von Qualitätsmanagement. Die Heilbronner Erklärung ist zeitlos. Ziel ist es langfristig diese Initiative und Idee weiterzuführen und weiterzuentwickeln. - Wir teilen unsere Erfahrungen und Errungenschaften und wie wir zur Erreichung der oben genannten Ziele beigetragen haben der Öffentlichkeit im September 2013 in einer gemeinsamen Veranstaltung mit.
Foto: Prof. Christopher Stehr
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