Nachhaltige Entwicklung ist zwar nicht messbar wie Qualität, Sicherheit oder Umweltschutz, lässt sich aber über Indikatoren sehr wohl bewerten. Doch was geht und was nicht?
Jan Uwe Lieback
Ist Nachhaltigkeit als definierter Zustand einer Organisation überhaupt möglich? Wer behauptet, nachhaltig zu sein, müsste unzählige, einheitlich bewertbare Parameter dieser Welt genau ken-nen – allein das ist kaum möglich. Dieses „Nachhaltig-Sein“ wäre ein Einwirken auf die Welt, die sich dadurch bereits in diesem Moment schon wieder verändert hat. Das würde sogleich erneute Aktivitäten erfordern, um wieder in den Zustand des Nachhaltig-Seins zu gelangen. Ein Zustand „ich bin/wir sind nachhaltig“ ist also gar nicht möglich. Nachhaltigkeit ist immer als Entwicklung, als Prozess oder als Weg zu verstehen. Korrekt ist es deshalb, von „nachhaltiger Entwicklung“ zu sprechen. Bekannte Definitionen beschreiben „nachhaltige Entwicklung“, „nachhaltige Forstwirtschaft“ oder „nachhaltige Sicherung unserer Lebensgrundlagen“.
Ist nachhaltige Entwicklung zertifizierbar?
Wie soll Nachhaltigkeit zertifizierbar sein, wenn es keine anerkannte Nachhaltigkeitsleistung als definierten Zustand gibt? Auch die ISO 26000 ist ja nur ein „Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung“, der Orientierung geben soll und gar nicht den Anspruch erhebt, einen Anwender in die Nachhaltigkeit zu führen. Anders als in der Physik, gibt es für das, was nachhaltig sein soll, keinen absoluten Maßstab. Denn Indikatoren, die für eine nachhaltige Entwicklung als wichtig angesehen werden, sind immer an den Kontext der soziokulturellen Umgebung oder den geografischen Standort gebunden. Zwei Beispiele zur Illustration:
Generell lehnen wir Kinderarbeit ab. Wie steht es aber mit dem häuslichen oder landwirtschaft-lichen Bereich? Wie ist es zu beurteilen, wenn ein deutsches Unternehmen Kinderarbeit auf Feldern in seinen ausländischen Erntegebieten ausdrücklich zulässt, um damit zu garantieren, dass die Kinder vorher wenigsten vier Stunden eine geförderte Schule besuchen?
Die Süßwasservorräte der Welt werden immer knapper – Wassersparen ist daher in aller Munde. Aber in einem Land wie etwa Indien kann dieser Aspekt regional völlig unterschiedlich gewichtet werden: Während in Südindien Wassersparen fast überall ein Gebot ist, hat man in Assam wegen des Monsunklimas oft mehr als genug Regenwasser.
Es gibt kein Soll
Ganz anders ist das bei Themen wir Qualität, Umweltschutz oder Sicherheit. Heute besteht in-ternationaler Konsens darüber, was für ein Unternehmen jeweils Qualität bedeutet. Noch deutli-cher wird dies beim Umweltschutz oder der Sicherheit, wo Grenzwerte international angeglichen sind. Messbare (Grenz-)Werte bieten ein Soll, gegen das gemessen und auf das in einer Zertifizierung bewertend eingegangen werden kann. Eine Zertifizierung ist immer der Abgleich von einem Soll zu einem Ist. Da es dieses Soll für eine Nachhaltigkeitsleistung nicht gibt, ist auch eine Zertifizierung im bekannten Kontext nicht möglich.
Zertifikate sind Etikettenschwindel
Trotzdem ist es mehr als sinnvoll, die nachhaltige Entwicklung eines Unternehmens kontinuier-lich mit Hilfe eines Managementsystems auszubauen. Der nachhaltige Weg fordert ja gerade dazu heraus, im Rahmen eines kontinuierlichen Entwicklungszyklus beschritten zu werden. Auch das ist aber keine Basis für eine Nachhaltigkeitszertifizierung, sondern bedeutet lediglich die Nutzung eines erprobten Managementwerkzeugs. Hierfür Zertifikate auszustellen, mit denen ein Bezug zur Nachhaltigkeit oder der gesellschaftlichen Verantwortung des Trägers hergestellt wird, ist Etikettenschwindel. Es beweist im Gegenteil, dass der Zertifikatshalter von nachhaltiger Entwicklung nichts verstanden hat. Wer sich auf den Weg einer nachhaltigen Entwicklung be-gibt, muss weiter gehen als bis zum Erreichen einer eher marketingorientieren Zertifizierung. Er muss sich mit seinen Wurzeln, seinem Selbstverständnis, seinem gesamten Umfeld und seinen Stakeholdern auseinandersetzen, darüber reflektieren und individuelle Antworten finden.
Benchmarken ist besser
Was geht dann aber? Wie kann ein Unternehmen seine Nachhaltigkeitsleistung bewerten, um daraus Hinweise für eine gezielte, ernsthafte Entwicklung zu ziehen, die Zukunftsoptionen öff-net? Es geht, und zwar sogar recht unkompliziert und systematisch mit einem doppelten Benchmark, der sich an bekannten Indikatoren für Nachhaltigkeitsaspekte orientiert.
Solche, heute eine breite internationale Anerkennung genießenden Indikatoren, finden wir bei-spielswiese in der ISO 26000. Diese setzt ihrerseits auf vielen Indikatorsammlungen, wie dem Global Compact, den OECD-Leitsätzen, dem SA 8000 der Social Accountability International oder den Arbeiten der Global Reporting Initiative, auf. Keine dieser Sammlungen von Indikatoren für eine nachhaltige Entwicklung ist allerdings vollständig. Entsprechend der Herkunft der Herausgeber setzen sie Schwerpunkte oder lassen Teilbereiche der Nachhaltigkeitsdiskussion außen vor. Das ist auch in der ISO 26000 so. Zwar enthält sie eine der heute umfassendsten Sammlungen an Nachhaltigkeitsindikatoren. Eine genaue Betrachtung zeigt aber, dass auch in der ISO 26000 einer der drei Grundpfeiler der nachhaltigen Entwicklung ausgeklammert wird: die ökonomischen Aspekte. Daneben lässt die ISO 26000 auch den Bereich der Sicherheit praktisch unberührt.
Zielführende Indikatorensammlung
Fügt man die verschiedenen Standards zu einer Sammlung heute gängiger Indikatoren für eine nachhaltige Entwicklung zusammen und ergänzt diese um die wirtschaftlichen Indikatoren, ist das Werkzeug für ein systematisches Benchmarking geschaffen. Diese umfassende Sammlung aller Indikatoren enthält der GUTcert-NachhaltigkeitsCheck. Auf Basis dieser Indikatorsammlung kann jedes Unternehmen seinen Standort im Wald der Nachhaltigkeitsindikatoren bestimmen. Besteht bereits ein kontinuierlicher Verbesserungszyklus, kann diese Analyse noch verfeinert werden, wenn parallel zur aktuellen Standortbestimmung berücksichtigt wird, inwieweit ein Indikator, gemessen am Vor-Status bereits Beachtung findet. Dieser Benchmark bietet nicht nur die unbedingt erforderliche Ausgangsbasis für eine gezielte nachhaltige Entwicklung des Unternehmens. Er ist auch eine gute Grundlage für den Vergleich mit anderen Marktteilnehmern um die eigenen Potenziale besser einschätzen zu können und notwendige Entwicklungen zu erkennen. Im Verlauf des Erarbeitens des Benchmarks fällt darüber hinaus eine umfassende Informationssammlung an. Geordnet bildet sie die solide Basis für einen hervorragenden, weil aussagekräftigen, ehrlichen und ethisch verantwortbaren Nachhaltigkeitsbericht, der kein Ran-king zu scheuen braucht.
Kontakt zum Autor:
Prof. Dr.-Ing. Jan Uwe Lieback,
GUT Certifizierungsgesellschaft für Managementsysteme mbH, Berlin
info@gut-cert.de