Unternehmen in Deutschland blicken auf eine lange Tradition gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme zurück. Das Neue am Konzept der Corporate Social Responsibility ist deren strategische Verankerung im Unternehmen. Ohne ein solches Verantwortungsmanagement kommt auch der Mittelstand in der globalen Welt nicht aus. Doch selbst Global Player weisen hier teils erschreckende Defizite auf.
Von Achim Halfmann
Im Vorfeld dieser Magazinausgabe meldet sich der deutsche CSR-Verantwortliche eines auf allen Kontinenten tätigen Hightech-Konzerns in der Redaktion. Überzeugt berichtete er davon, dass sein Unternehmen seit kurzem eine CSR-Strategie verankert und mit personellen Zuständigkeiten hinterlegt habe. Als Beleg dafür dienten ihm das Sponsoring wissenschaftlicher Studien zum eigenen Geschäftsfeld und Schulpartnerschaften. Schon bei den Fragen nach Arbeitsstandards in den weltweiten Unternehmensbereichen und in der Zulieferkette und dem dafür geltenden Code of Conduct musste er passen und versprach „nachzuliefern“. Guttun würde diesem Konzern die Umsetzung eines Ratschlags, an dem viele andere die Entwicklung ihrer Strategie orientieren: CSR ist von innen nach außen zu gestalten. Verantwortungsmanagement beginnt nicht mit der Kommunikation der guten Taten eines Unternehmens. Womit aber dann?
Fukushima war ein Auslöser
Mit Einsichten und Überzeugungen zum Beispiel: Für Dibella- Geschäftsführer Ralf Hellmann wurden die Lehman Brothers-Pleite samt nachfolgender Wirtschaftskrise, der Untergang der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko und die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima zum Anlass, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen – und seine Bocholter Firma daran auszurichten. Das mittelständische Handelsunternehmen liefert Textilien an Gastgewerbe und Gesundheitswesen. Hellmann beobachtete, wie infolge der Wirtschaftskrise der Baumwollpreis einbrach – mit verheerenden Folgen für die weltweit 27 Millionen Beschäftigten im Baumwollanbau. Was kann ein deutscher Mittelständler mit 25 Mitarbeitern an dieser Situation ändern?
Dibella ging schnell und konkret Schritte in Richtung gesellschaftliche Verantwortungsübernahme: Das Unternehmen gab sich einen Verhaltenskodex, der auch seine internationalen Geschäftspartner verpflichtet, und veröffentlichte ihn im Internet. Im März trat Dibella dem UN Global Compact bei. Und im April erschien der erste Nachhaltigkeitsbericht. Ein Dreivierteljahr hat die Arbeit daran gedauert, berichtet Hellmann, der dazu auf die Unterstützung eines externen Beraters zurückgriff. Der Bericht orientiert sich an der neuen internationalen CSR-Norm ISO 26.000 und gibt der Verantwortung für die Zulieferkette einen weiten Raum.
Ein weiteres wichtiges Nachhaltigkeitsthema ist für den Geschäftsführer die Einbindung seiner Mitarbeiter: Hellmann sorgte für neue Kommunikationsstrukturen, eine Stärkung der Teambildung und verbesserte Mitarbeiterinformationen. Die Fluktuationsrate des Unternehmens lässt sich sehen: Sie beträgt 2,5 Prozent. Viel Zeit und Energie steckt Dibella in den Aufbau einer mit dem Fairtrade- und dem GOTS-Siegel versehenen Produktgruppe. Wissen dazu erwarb Hellmann durch die Mitgliedschaft bei der internationalen NGO Textile Exchange. Im vergangenen Jahr erhielt Dibella die Zertifizierung nach dem Global Organic Textile Standard (GOTS), einem internationalen Standard für Naturtextilien aus kontrolliert biologischem Anbau, sowie die Fairtrade-Lizenz. Jetzt geht es für das Unternehmen darum, die mit diesen Labeln versehenen Textilien am Markt zu platzieren.
Nach den Worten von Dieter Schöffmann, Geschäftsführer der Kölner Entwicklungsagentur VIS a VIS, kann Dibella damit als „Prototyp“ eines nachhaltigen Unternehmens in der Größenordnung von bis zu 100 Mitarbeitern gelten. „Nach meinen Erfahrungen ist das Engagement meist Inhaber-getrieben“, sagt Schöffmann. „Entweder der Inhaber hat das drauf oder nicht.“ Für die Einrichtung einer eigenen Funktion im Unternehmen fehlen die Ressourcen. Nur wenige Firmen dieser Größenordnung verfügen über schriftliche Leitbilder oder Verhaltenskodizes, wie dies bei Dibella der Fall ist.
Global Compact stärkt KMU
Hilft einem kleinen Mittelständler der Beitritt zum UN Global Compact bei der Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie? Jürgen Janssen, Koordinator des Deutschen Global Compact Netzwerks, sagt dazu: „Das Global Compact-Netzwerk ist für alle Unternehmen interessant, die ein signifikantes Auslandsgeschäft haben.“ Denn es geht um eine Selbstverpflichtung zur Durchsetzung von Menschenrechten und Arbeitsnormen in der weltweiten Produktionskette. Für multinationale Unternehmen sei die Teilnahme „mittlerweile gesetzt“. Aber es beteiligten sich auch viele kleinere Unternehmen, um so die Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu unterstützen. Unternehmen, die mit ihrem Beitritt die eigene Nachhaltigkeitsagenda vorantreiben wollen, können im Netzwerk auf Materialien und Coaching zurückgreifen. So finden pro Jahr drei Arbeitstreffen der deutschen Sektion statt, an denen Unternehmen ebenso wie NGOs teilnehmen.
CR-Botschafter in die Welt gesandt
Ein weiterer Mittelständler, der durch sein nachhaltiges Engagement hervorsticht, ist der Premiumanbieter von Obst und Gemüse SanLucar. Die Unternehmenszentrale mit 150 Mitarbeitern befindet sich im spanischen Valencia, von dort aus arbeitet das Unternehmen in 30 Ländern weltweit. Corporate Responsibility war für den Mittelständler in der Lebensmittelbranche von Anfang wichtig. „2010 haben wir bei SanLucar dem Thema Unternehmensverantwortung einen starken Schub gegeben“, sagt Corporate Responsibility Managerin Delia Garcia. Das Unternehmen gründete eine CR-Abteilung und erstellte im selben Jahr seinen ersten CR-Bericht. Wichtige Schritte im Nachhaltigkeitsmanagement von SanLucar waren die Identifikation CR-relevanter Bereiche in der gesamten Prozesskette, eine Chancen- und Risikenanalyse, die Priorisierung der Stakeholder, eine Bestandsaufnahme der Ressourcen, die Festlegung strategischer CR-Ziele und der daraus abgeleiteten und nah am Kerngeschäft orientierten Projekte.
Nachhaltigkeit lässt sich aber nicht auf dem Papier steuern, sie muss zu einem Bestandteil der Unternehmenskultur werden. Eine Herausforderung, welcher der in Europa, Afrika und Südamerika tätige Mittelständler mit seinen SanLucar CR-Botschaftern begegnet. „Das sind regional verwurzelte Kollegen, die die Werte von SanLucar kennen, leben und weitergeben. Ihre Aufgabe ist es, die lokalen Bedürfnisse zu kennen und diese in Projekte gemeinsam mit dem Team umzusetzen“, sagt Garcia.
CSR-Berichte als Managementtool?
Eignet sich die Arbeit an einem CSR-Bericht als Einstieg in das Nachhaltigkeitsmanagement? Die Geschäftsführerin der Münchener akzente kommunikation und beratung, Sabine Braun, verweist auf unterschiedliche Handlungsansätze von Nachhaltigkeitsmanagement und Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die Berichterstattung orientiert sich an den Erwartungen der Stakeholder. „Nachhaltigkeitsberichte sind per se ein Transparenzinstrument nach außen“, sagt Braun. Das Nachhaltigkeitsmanagement setzt dagegen bei den für das Unternehmen selbst wichtigen Steuerungsgrößen an – und das können andere sein. Nachhaltigkeitsberichte stehen somit nicht am Anfang eines Nachhaltigkeitsmanagements und sind selbst später nicht zwingend. Es gebe durchaus nachhaltige Unternehmen mit der Einstellung: „Ich will nicht transparent nach draußen sein und ich habe kein Vertrauensproblem mit meinen Stakeholdern“, sagt Braun. Wer aber Transparenz zeigen will, der sollte sich an einem von außen aufgestellten Standard orientieren – dem der Global Reporting Initiative (GRI) – und umfassend berichten. Dabei muss dann nicht gleich die höchste Erfüllungsebene A+ angestrebt werden.
CR als Change-Prozess
Zahlreiche Unternehmen sind über Umweltthemen in das Nachhaltigkeitsmanagement eingestiegen, und auch heute weht aus dieser Richtung ein erheblicher öffentlicher Handlungsdruck. Anfang Juni formulierte es Bundespräsident Joachim Gauck so: “Marktwirtschaftliche, wachstumsfreundliche Umweltpolitik heißt für mich, dass Kosten für Umweltbelastungen und Umweltrisiken den Verursachern in Rechnung gestellt werden und nicht den Steuerzahlern.” Eine umweltfreundliche Produktion müsse sich für Unternehmen im Wettbewerb auszahlen, so Gauck weiter. Ein möglicher Profiteur im Wettbewerb wäre BSH Bosch und Siemens Hausgeräte. Bereits Anfang der 90ger Jahre etablierte der Konzern ein weltweites Umweltmanagementsystem und erhob Kennzahlen über die Reduzierung von Abfallmengen sowie den Wasser- und Energieverbrauch. 1992 erschien der erste Umweltbericht, aus dem im Laufe der Jahre der Nachhaltigkeitsbericht nach GRI-Standard entstand.
„Im Grunde ist die Verankerung von Corporate Responsibility ein Change-Prozess“, sagt Peter Böhm, Chief Corporate Responsibility Officer der BSH. „Wir stoßen damit ein Veränderungsmanagement an und beschleunigen den Kultur- und Wertewandel im Unternehmen.“ Für eine erfolgreiche Umsetzung dieses Prozesses sind Messgrößen entscheidend – sogenannte KPIs oder Key Performance Indicators. „Denn nur das, was gemessen wird, kann auch gemanagt und gesteuert werden. Und was incentiviert, also mit einem Anreiz versehen wird, wird auch systematisch und langfristig umgesetzt.“ Womit Böhm einen aktuellen Gedanken des Nachhaltigkeitsmanagements anspricht: Nämlich dessen Verbindung mit den flexiblen Anteilen der Management-Vergütung oder mit dem betrieblichen Vorschlagswesen.
Viel getan, nicht genug bewegt
In multinationalen Konzernen hat sich an der Schnittstelle von Nachhaltigkeitsmanagement und Personalmanagement eine Sonderfunktion etabliert: Der Diversity Manager. Bei HP Deutschland besetzt Eva Faenger diese Funktion. „Das Thema Diversity besitzt für uns eine hohe wirtschaftliche Bedeutung und es geht keinesfalls darum, dass wir gute Menschen sein wollen“, sagt Faenger. „HP steht für Innovationen und Innovationen gelingen nur mit unterschiedlichen Sichtweisen.“ Das Engagement für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besitzt bei dem Hightech-Konzern eine lange Geschichte. Dazu gehören eine Vertrauenskultur, flexible Arbeitszeitmodelle, Child Care- sowie Mentoring-Programme und Mitarbeiter- sowie Eltern- und Frauennetzwerke. Faenger: „Vor zwei Jahren haben wir uns dann unsere Programme angesehen und festgestellt: Wir haben viel getan, aber nicht genug bewegt. Daraus haben wir Konsequenzen gezogen.“ HP gründete einen Diversity Council, legte konkrete Zielgrößen für den Frauenanteil im Management fest und entwickelte bereichsübergreifende Female-Talent-Pools.
Auch Diversity Manager sind Change-Manager. Eva Faenger gelingt die Initiierung dieses Veränderungsprozesses, weil sie Voraussetzungen erfüllt, die Peter Böhm so beschreibt: Der Nachhaltigkeitsmanager braucht „eine breite Kenntnis des Unternehmens, idealerweise dadurch, dass er in verschiedenen Funktionen selbst tätig war. Denn sonst gerät er schnell in die Rolle einer Nachhaltigkeits-Stabsstelle, in der er lediglich Zahlen zusammenträgt und der CR-Kommunikation zuarbeitet.“