Wir leben in einer Netzwerkgesellschaft, heißt es oft. Doch was sind eigentlich Netzwerke? Wie kann man sie greifbar machen und wie funktionieren sie? CSR MAGAZIN sprach mit der Ökonomin Dr. Martina Kauffeld-Monz über neue Ansätze der Analyse und Visualisierung, gutes Netzwerk-Management und die Relevanz von Vertrauen. Das Gespräch führte Thomas Beschorner.
CSR MAGAZIN: Frau Kauffeld-Monz, Sie beschäftigen sich seit über zehn Jahren mit Netzwerkanalysen. Können Sie uns kurz umreißen, um was es in Ihrem Fachgebiet geht?
Martina Kauffeld-Monz: Anhand der Netzwerkanalyse lassen sich Verbindungen und Austauschbeziehungen zwischen Akteuren identifizieren und visualisieren. Dadurch werden Strukturen sichtbar, die aufgrund ihrer Komplexität nicht oder nur schwer zu erfassen sind. Auf dieser Basis lässt sich zum Beispiel feststellen, welche Subgruppen es in einem Netzwerk gibt, wer die zentralen Akteure eines Netzwerks sind, welche Akteure unzureichend angebunden sind, auf welchen Wegen Informationen und Wissen fließen und ob es Dysfunktionalitäten gibt. Dies sind sehr wichtige Ansatzpunkte zur Verbesserung der ökonomischen Leistungsfähigkeit netzwerkartiger Strukturen.
Als Ökonomin legen Sie Ihr Augenmerk also auf den ökonomischen Erfolg. Wie oder wodurch kann sich gutes Netzwerkmanagement auszahlen?
Die Erträge eines guten Netzwerkmanagements können sehr vielfältig sein. Zum einen gilt es, belastbare, vertrauensvolle Beziehungen zu schaffen, damit viel Wissen ausgetauscht wird und Informationen zirkulieren. Dies fördert die Entstehung gemeinsamer Projekte und deren erfolgreiche Umsetzung. Ein gutes Netzwerkmanagement ist aber auch in der Lage zu erkennen, wo es „strukturelle Löcher“ gibt. Dies sind unverbundene Teile eines Netzwerks, durch deren Zusammenführung sich neue Aktivitätsfelder oder Themen mit hohem Innovationsgehalt entwickeln können. Einer der wichtigsten Erträge guten Netzwerkmanagement ist es sicher, die Netzwerkakteure miteinander ausreichend bekannt zu machen, damit sie wechselseitig eine „Informationsselektionsfunktion“ ausüben können. Bestenfalls gelangen dann Informationen schnell genau dorthin, wo sie Nutzen stiften können.
Ihren geht es in Ihrer Arbeit nicht nur um rein wissenschaftliche Analyse von Netzwerken. Sie entwickeln ein praxistaugliches Tool.
Ansatzpunkt einer Netzwerkanalyse sind Informationen über die Verbindungen und den Austausch zwischen einer vorher bestimmten oder unbestimmten Gruppe von Akteuren. Man kann dies durch direkte Befragung der Beteiligten feststellen, aber auch anhand anderer Informationsquellen eruieren, zum Beispiel Projektdatenbanken, Links auf Internetseiten usw. Auf der Basis solcher relationaler Daten lässt sich dann ein sogenannter Netzwerkgraph generieren. Hieraus können Aussagen über die Struktur als Ganzes, aber auch Positions- und Aktivitätsmaße einzelner Akteure ermittelt werden. Darüber hinaus bietet aber auch der reine visuelle Blick aus der Vogelperspektive oft schon einige neue Einsichten.
Wo kann ein solches Instrument angewendet werden?
Die Netzwerkanalyse ist ein universelles Instrument zur Untersuchung vernetzter Strukturen. Sie ist aber vor allem dann fruchtbar, wenn es um komplexe Zusammenhänge geht, etwa die arbeitsteilige Zusammenarbeit von Organisationen oder Unternehmen gefragt ist, wie zum Beispiel in regionalen Innovationssystemen oder Wirtschaftsclustern. Insbesondere wenn es in einem System viele verschiedene Akteursgruppen gibt, ermöglicht die Netzwerkanalyse einen guten Einblick in die Akteurslandschaft.
Und wo im Bereich der CSR im Besonderen?
CSR ist ja noch ein recht junges Feld und mir scheinen sich Netzwerke hier erst zu formieren, was aber ein sehr spannender Prozess ist. Ich denke hier besonders an regional verankerte Netzwerke. Mein Tool wäre beispielsweise in der Lage, Aktivitäts- und Innovationsgrade verschiedener, etwa regionaler Netzwerke zu messen und zu visualisieren. Aus einer solchen Bestandsaufnahme können dann wichtige Hinweise für eine bessere Zusammenarbeit entwickelt werden. Möglicherweise lassen sich auch unausgeschöpfte Schnittstellen bisher nicht miteinander verbundener Themen im Bereich CSR feststellen.
Eignet sich das Instrument auch für Analysen innerhalb von Organisationen?
Natürlich, auch in Organisationen, beispielsweise Unternehmen gibt es Einsatzmöglichkeiten. So lässt sich feststellen, welche informellen Kommunikationskanäle es gibt und welche Mitarbeiter zu bestimmten Themen „informelle Experten“ sind. Die Netzwerkanalyse kann aber auch Anhaltspunkte dafür liefern, an welchen Stellen eine Organisation Instabilitäten aufweist, wie etwa Cutpoints, die im Falle ihres unerwarteten Wegbrechens die Organisation in separierte Teile zerfallen lassen würden.
Frau Kauffeld-Monz, Sie haben sich auch mit der Relevanz von Vertrauen in Netzwerkbeziehungen beschäftigt. Welchen Unterschied macht es, ob es Vertrauen gibt oder nicht?
Zunächst einmal ließ sich feststellen, dass graduelle Unterschiede des Vertrauensgrades ins Gewicht fallen. Für relativ risikoreiche Interaktionen – wie arbeitsteilige Innovationsprozesse – braucht es schon ein mittleres Maß an Vertrauen, damit sie überhaupt in Gang kommen. Formale Verträge können an dieser Stelle kaum fehlendes Vertrauen substituieren. Mit steigendem Vertrauen steigen in der Regel auch der Informations- und Wissensaustausch und der Erfolg der Kooperationsprojekte. Kurz gefasst: Vertrauen ermöglicht Kooperationen, erweitert deren Aktionsraum, verbessert den Erfolg und reduziert Kosten.
Sie schreiben in Ihren Publikationen, dass auch ein gemeinsamer Wertekanon in Netzwerken hochgradig relevant ist.
Ja, wir sprechen hier auch von „Sozialkapital“ und damit sind gemeinsame Werte und Normen gemeint. Es handelt sich dabei beispielsweise um etablierte Umgangsformen oder Regeln für die Zusammenarbeit von Akteuren in Netzwerken. Dies ist wichtig, damit die Handlungen Anderer kalkulierbarer werden. Charakteristisch für Netzwerke ist, dass aus dem Zusammenspiel von etablierten Werten, Normen und Vernetzung Sanktionsmechanismen erwachsen, die unfaires Verhalten verringern. Außerdem werden durch Netzwerke Reputationsmechanismen in Gang gesetzt, die nicht nur Anreize für faires Verhalten mit sich bringen, sondern ebenso die Mitwirkungsbereitschaft erhöhen, weil sich hieraus Reputationsgewinne speisen können. Wichtig ist darüber hinaus die Identifikation mit dem Netzwerk, weil damit Interessen anderer Netzwerkbeteiligter internalisiert werden und Raum für die Entwicklung gemeinsamer Ziele entsteht. Die Forschung zeigt recht deutlich, dass bei gemeinsamen Werten und Zielen die Wahrscheinlichkeit gelingender gemeinsamer Projekt steigt. Eine gute, vertrauensvolle Netzwerkkultur verdrängt die permanente Kalkulation des Eigeninteresses Anderer und verbessert somit die Bereitschaft zu kollektiver Problemlösung, wovon letztlich alle Netzwerkakteure profitieren.
Wir danken Ihnen für das Gespräch!
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