Skandale in der jüngeren Vergangenheit, mehr Wettbewerb um Spendenmittel und ein zunehmendes Verlangen von Spendern nach Transparenz: Diesen Herausforderungen müssen sich Hilfsorganisationen seit geraumer Zeit stellen. Dabei zeigt sich die Branche erstaunlich lernfähig. Eine Befragung von sechs Schweizer Hilfsorganisationen zeigt: Die Zeichen der Zeit sind erkannt, Herausforderungen werden als Chance begriffen.
Von Christoph Schank, Pascal Daetz, Thomas Gackstatter, Christian Hemmrich und Constantin Schnupp
Im Jahr 2007 erschütterte der Skandal um veruntreute Mittel und hohe Beraterrechnungen bei Unicef Deutschland die Öffentlichkeit. Ein solcher Vorfall bei einer derart renommierten Organisation löste eine Krise innerhalb des Sektors aus, wurde doch das wichtigste Gut der Hilfswerke bedroht: Vertrauen. Sinkendes Spendenvolumen bei Unicef und kritische Berichterstattungen in den Medien waren eine Konsequenz. Doch neben kurzfristigen negativen Auswirkungen beinhalten Krisen die Chance zu Sensibilisierung und Veränderung. So herrscht in den Chefetagen der Wohltätigkeitsorganisationen nun vor allem ein Motto: Offenheit. Passend hierzu stellt das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PWC) in Deutschland fest, dass die Qualität der Berichterstattung seit 2005 signifikant gestiegen ist.
Ein Blick Richtung Schweiz
In der Schweiz bilden die Hilfswerke einen sich professionalisierenden Sektor, der jährlich rund CHF 1,6 Mrd. an privaten Spenden einnimmt. Doch der Wettbewerb um öffentliche Spendenmittel nimmt zu. Einerseits werden laut eines Brancheninsiders diese Gelder nicht länger „unter Freunden verteilt“. Andererseits dürfen sich inzwischen auch ausländische Hilfswerke um öffentliche Schweizer Gelder bewerben.
Innerhalb der Branche besteht durchaus eine Sensibilisierung für die Thematik der ordnungsgemässe Verwendung von Spendengeldern. Die Organisationen begegnen den Herausforderungen mit unterschiedlichen Instrumenten, um im Wettbewerb zu bestehen. Neben marketingtechnischen Ansätzen wie der Betonung des Swissness-Faktors wird zunehmend Wert auf interne Maßnahmen gelegt. So wird unter anderem versucht, mittels Verhaltenskodizes Compliance auf Mitarbeiterebene zu verankern. Auch wenn die Mehrheit der Organisationen sich dieser Maßnahme bedient, schwankt die Intensität. Während einige Hilfswerke ihre Verhaltenskodizes originär erstellen, übernehmen andere fremd erstellte. Auch unterscheiden sich die Maßnahmen zur Implementierung. Zwar schulen die meisten Hilfswerke ihre Mitarbeiten regelmäßig und verpflichten sie, die Kodizes zu unterschreiben, doch bleibt das Wissen der Mitarbeiter über konkrete Inhalte schwammig. Angaben eines ranghohen Vertreters zufolge wird dem Kodex eine zunehmend hohe Bedeutung beigemessen. Letztlich hängt die gelebte Praxis aber von den handelnden Personen ab.
Ein weiteres Instrument stellt ein internes Kontrollsystem (IKS) dar, wozu beispielsweise das Vieraugenprinzip und doppelte Unterschriften zählen. Auch wenn der Begriff des IKS nicht allen Vertretern der Hilfsorganisationen bekannt ist, sind entsprechende Elemente weit verbreitet.
Neben diesen Instrumenten existieren bei einigen Organisationen eine detaillierte Budgetplanung und eine kontinuierliche Projektevaluation. Allerdings fehlt manchmal ein fundiertes Wissen über lokale Kostengrößen in den Zielländern der Projekte. Vertrauen ersetzt hier Kontrolle und erfordert daher eine sorgfältige Selektion der Partner und Mitarbeiter. Dabei hilft den Hilfswerken der starke interorganisationale Austausch, getreu der Devise: Konkurrenz in der Mittelbeschaffung, Partner bei der Umsetzung.
Zertifizierung schafft Vertrauen, aber um welchen Preis?
Um das Vertrauen der Spender zu stärken, werden diese internen Maßnahmen nach außen kommuniziert und teilweise von externer Stelle überprüft und validiert. Neben der klassischen Prüfung durch Revisionsgesellschaften bietet die Stiftung ZEWO (siehe unten) eine Zertifizierung mittels Gütesiegel an. Zertifizierte Organisationen profitieren von Bekanntheit und Unabhängigkeit des Siegels. Zudem stellt dies teilweise eine Voraussetzung für den Zugang zu öffentlichen Spendengeldern dar. Doch wo Licht ist, fällt auch Schatten: Aufgrund ihrer exponierten Stellung werfen Kritiker der ZEWO Monopolverhalten vor, da sie nur Organisationen zertifiziert, die sämtliche von ihr diktierten Kriterien erfüllen. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Siegels für die Hilfswerke hat die ZEWO in der Tat großen Einfluss. Sie schreibt den Hilfswerken unter anderem vor, was als spendenwürdig gilt. Kinderpatenschaften werden beispielsweise kategorisch abgelehnt. Dies, obwohl Vertreter entsprechender Organisationen durchaus schlüssige Argumente für einen entsprechenden Hilfeansatz anführen. Einen weiteren, oft genannten Kritikpunkt bilden die mit der Zertifizierung einhergehenden Gebühren. Ein Geschäftsführer eines Hilfswerks etwa bemängelte die umsatzabhängige Gebührenstruktur. Gemessen an einer durchschnittlichen Kostenquote im administrativen Bereich der Organisationen von 11% bleibt der Mitgliedsbeitrag von 0,333% aber überschaubar. Die Abhängigkeit der Gebühr vom Umsatz soll eine Benachteiligung kleinerer Organisationen vermeiden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der Schweiz die dominante Stellung der ZEWO einerseits Orientierung und Verlässlichkeit bietet, Hilfsorganisationen aber gleichsam vor Probleme wie Dirigismus und Alternativlosigkeit gestellt werden.
Ausblick
Neben der ursprünglichen Intention, Betrug zu verhindern, steigt das Interesse, vorhandene Spenden möglichst wirkungsvoll einzusetzen. Um diesem Anspruch zu genügen, müssen Instrumente wie Budgetierung und Projektcontrolling weiterentwickelt und neue Kompetenzen bezüglich der Partnerauswahl aufgebaut werden. Letzteres wird vor dem Hintergrund des Strukturwandels der humanitären Hilfe immer bedeutender. So setzen zunehmend weniger Hilfswerke Projekte in Zielländern eigenständig um, sondern bedienen sich hierfür lokaler Partner.
Zunehmendes öffentliches Interesse sowie steigender Wettbewerb um Spendenmittel führen zu erhöhtem Transparenzdruck und damit einhergehend steigenden Kosten. Kleine Organisationen verfügen zwar häufig nicht über die finanziellen Ressourcen für institutionalisierte Kontrollen, dafür können sie im Gegensatz zu ihren großen Pendants – bedingt durch schlanke Struktur und Überschaubarkeit der Projekte – auf Vertrauensbasis agieren. Grundsätzlich aber gilt es für Hilfsorganisationen aller Größen, die richtige Balance zwischen Nutzen und Kosten von Kontrolle zu finden.
Die Stiftung Zewo
Die Stiftung hat sich seit ihrer Gründung 1934 zum Ziel gesetzt, Transparenz und Lauterkeit im Schweizer Spendenwesen zu fördern. Hierzu prüft sie gemeinnützige Organisationen und verleiht ein Gütesiegel, sofern diese einen gewissenhaften Umgang mit Spendengeldern nachweisen. Gleichzeitig warnt sie vor vermeintlich intransparenten und unseriösen Hilfswerken und dient als Informationsplattform für Spenderinnen und Spender.
Daneben ermöglicht sie einen interorganisationalen Austausch und fördert somit die Kommunikation zwischen den Hilfswerken. Die Stiftung widmet sich darüber hinaus auch aktuellen Trends und erstellt Branchenstudien, wie z.B. Kostenanalysen.
Derzeit tragen 495 Schweizer Hilfsorganisationen das ZEWO Gütesiegel.Web-Link: www.zewo.ch