Wenn es um Verantwortung geht, sind die Zuständigkeiten schnell geklärt, Staat und Unternehmen sollen es richten. Oft wird ein ebenso wichtiger wie mächtiger Marktteilnehmer übersehen: der Konsument. Dabei ließe sich CSR auch als Consumer Social Responsibility lesen. Mit Prof. Dr. Ludger Heidbrink, dem Direktor des Center for Responsibility Research am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, sprach Thomas Feldhaus über die Verantwortung des Konsumenten.
CSR MAGAZIN: Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen wird breit diskutiert, aber wofür trägt der Konsument Verantwortung?
Heidbrink: Ganz grundsätzlich trägt der Konsument eine große Verantwortung. Zunächst hat er über sein Nachfrageverhalten unmittelbaren Einfluss auf die angebotenen Waren. Darüber hinaus hat er auch durch sein alltägliches Verhalten Einfluss auf eine nachhaltige Lebensweise, beispielsweise durch bewussten Einkauf, Verzicht auf überflüssige Autofahrten etc..
Ist eine „Politik mit dem Einkaufswagen“ wirklich möglich, kann der Konsument tatsächlich Einfluss nehmen?
Heidbrink: Das ist die ganz klassische Frage vieler Konsumenten: Was kann ich mit meinem Verhalten eigentlich ändern? Verzichte ich beispielsweise auf mein Auto, alle anderen fahren aber weiter – ändert sich am Ende scheinbar nichts. Dies führt nicht selten zu Frustrationen bei den Verbrauchern und kann eine Rückkehr zum alten Verhalten zur Folge haben. Umgekehrt kann das Verhalten Einzelner allerdings in der Masse Wirkung erzeugen und eine Verhaltensänderung bei Anderen hervorrufen. Wenn alle das gleiche tun, entsteht ein hoher Impact auf soziale und ökologische Prozesse.
Der Konsument trifft seine Entscheidungen zwischen eigener Bedürfnisbefriedigung, der Verantwortung für sich selbst und der Verantwortung für scheinbar Abstraktes – beispielsweise den Schutz der Umwelt. Bedeutet Verantwortung, eigene Bedürfnisse zurückzustellen, und notwendigerweise auch Verzicht?
Heidbrink: Zunächst sollte der Konsument in der Tat seine eigene Verantwortung immer mit einschließen: für die eigene Gesundheit, die Sicherung des Lebensstandards genauso wie die Absicherung der Zukunft. Das bedeutet auf der anderen Seite aber nicht, dass fremdverantwortliches Handeln Verzicht voraussetzt. Konsum aus altruistischen Motiven ist zwar bewundernswert, muss aber kein Modell für die breite Masse sein. Vielmehr wird verantwortlicher Konsum – das belegen empirische Studien – oft selbst als befriedigend empfunden. In diesem Sinne kann der moralische Konsum beiden Seiten dienen, er bedeutet nicht Verzicht, sondern eine Erhöhung der Lebensqualität durch nachhaltiges Verhalten. Nach der Devise „less is more“ kann moralischer Konsum bedeuten, auf überflüssige Dinge zu verzichten, sich dabei besser zu fühlen und gleichzeitig nachhaltige Ziele zu unterstützen.
Tragen Unternehmen und Konsumenten eine gleich hohe Verantwortung?
Heidbrink: Zunächst tragen Konsumenten und Produzenten alleine durch ihr Auftreten auf Märkten eine Verantwortung. Auch wenn der Konsument kaum Einfluss auf Produktionsmethoden oder Preisgestaltungen hat, so ist er durch seine Teilnahme an Märkten mitverantwortlich. Die Frage ist deshalb eher: Wie viel Verantwortung trägt er? Deswegen spricht man von geteilter Verantwortung oder Mitverantwortung des Konsumenten, die sich nach seinen Einflussmöglichkeiten richtet. Durch seine begrenzte Macht trägt der Konsument zwar deutlich weniger Verantwortung als die Unternehmen. Durch sein Einkaufsverhalten, durch Proteste, Boykotte oder politische Partizipation kann er aber einen erheblichen Einfluss ausüben und besitzt zahlreiche Möglichkeiten, aktive Marktverantwortung zu übernehmen.
Brauchen Konsumenten nicht eine transparentere Kommunikation und mehr Informationen von Unternehmen, um Verantwortung übernehmen zu können?
Heidbrink: Ein wesentlicher Faktor der Konsumentenverantwortung ist die Kommunikation und die Transparenz. Genau das ist aber in vielen Unternehmen noch ein Problem, weil sie die notwendige Transparenz nicht herstellen wollen oder können. Konsumenten machen dann den Fehler und versuchen, sich häufig mit diesem Argument der fehlenden Information herauszureden. Man darf Verbraucher nicht in ihrer Verantwortung überfordern, eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Produkten sollte ihnen aber zumutbar sein. Auch dann, wenn man berücksichtigt, dass Konsumakte immer unter Knappheitsbedingungen stattfinden – Informationsknappheit, zeitlicher Knappheit und Geldknappheit. Hier kommt eine andere Frage ins Spiel, denn dem Konsum wird in unserer Alltagskultur häufig ein geringer Stellenwert zugemessen – wir konsumieren im Grunde recht bewusstlos. Dem Einkauf von Lebensmitteln beispielsweise wird nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die eigentlich erforderlich wäre, das funktioniert vielleicht noch beim Autokauf. Der normale Konsum benötigt im Alltag deshalb einen höheren Stellenwert.
Label sollen dem Konsumenten Orientierung geben. Entlassen sie ihn aus der Verantwortung?
Heidbrink: Wir haben inzwischen mehr als 200 Labels, die dem nachhaltigen Konsum zugeordnet werden können, und dadurch einen regelrechten ‘information overload’. Damit ist der Konsument, zu Recht, überfordert. Hier lautet die Devise ‚weniger ist mehr’. Es ist Aufgabe der Produzenten und der Politik dafür zu sorgen, dass es am Ende nur noch wenige aber vertrauenswürdige und valide Label gibt.
Unternehmen schieben Verantwortung gerne an die Verbraucher weiter, umgekehrt verhält es sich genauso. Können freie Märkte verantwortliches Handeln erzeugen?
Heidbrink: Im Sinne der Gleichgewichtstheorie der Märkte sicherlich nicht. Dort müssen Angebot und Nachfrage korrelieren, es spielen andere Faktoren wie beispielsweise die Preisbildung eine Rolle und weniger die Externalisierung von Umwelt- und Sozialkosten. In Fällen von Marktversagen ist ein Eingreifen des Staates unabdingbar, mit klaren Vorgaben für Unternehmen, aber auch Konsumenten.
Möglicherweise ist Wirtschaft zu komplex und zu arbeitsteilig, um Konsumenten Ansatzpunkte für verantwortungsbewusste Kaufentscheidungen zu bieten.
Heidbrink: Ich denke nicht, vielmehr ist es eine Frage des Willens sich mit diesen Vorgängen zu beschäftigen und sich zu fragen: Welche Folgen hat mein Handeln? An dieser Stelle setzt das eigene Nachdenken meist aus und die Bedürfnisbefriedigung steht im Vordergrund. Seit einiger Zeit steht deshalb in der Forschung das Verbraucherbild des desinformierten, wenig interessierten, trägen und insgesamt bequemen Konsumenten im Vordergrund. Hier hat die Politik noch deutlichen Aufholbedarf, weil sie weiterhin vom aufgeklärten und informierten Verbraucher spricht. Sie muss Instrumente finden, wie man Konsumenten dazu bringt, sich im Alltag stärker an nachhaltigen Kriterien auszurichten. Es gibt zahlreiche Beispiele, wie man das Kaufverhalten durch die Gestaltung von Entscheidungen lenken kann, etwa indem gesündere Lebensmittel in den Läden besser positioniert werden. Die Konsumenten müssen auf intelligente Weise angestoßen werden, das zu tun, was sie eigentlich tun wollen.
Was bedeutet Konsumentenverantwortung für Unternehmen?
Heidbrink: Es wäre meine dringende Empfehlung, dass man die CSR-Diskussion zukünftig um den Begriff ConSR (Consumer Social Responsibility) erweitert. Die Einbeziehung des verantwortlichen Konsumenten wird für Unternehmen immer wichtiger, unter anderem weil dadurch zukünftige Investitionsrisiken vermeidbarer werden und Märkte sich transparenter gestalten lassen. Die ConSR zu fördern, um einen Marktpartner auf Augenhöhe zu haben, mit dem auch ein anderer Dialog möglich wird, gehört zu den zukünftigen Aufgaben von Politik und Unternehmen. Das bedeutet aber auch für den Konsumenten, sich als verantwortlichen Marktakteur zu begreifen und dadurch zum ernst zu nehmenden Stakeholder zu werden. Die intelligenteren Unternehmen haben die Relevanz der ConSR schon erkannt.
Vielen Dank für das Gespräch.
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