Projekte, die zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen sollen, hat sich die UPJ-Bundesinitiative zum Ziel gesetzt. In dem Netzwerk sind 29 Unternehmen und 26 gemeinnützige Mittlerorganisationen zusammengeschlossen. UPJ begleitet zudem zahlreiche Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Corporate Volunteering-Programme und ist Ausrichter der European Employee Volunteering Awards. CSR MAGAZIN sprach mit dem UPJ-Projektmanager Moritz Blanke über seine Erfahrungen mit dem Corporate Volunteering.
CSR MAGAZIN: Die Entwicklung von Corporate Volunteering (CV) in Deutschland begleitet UPJ seit über 15 Jahren. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Moritz Blanke: Am offensichtlichsten ist die quantitative Zunahme von Corporate Volunteering in Deutschland. Nahezu alle großen Unternehmen verfügen mittlerweile über eigene Volunteering-Programme und auch viele mittelständische Betriebe ermöglichen ihren Beschäftigten, sich gesellschaftlich zu engagieren. Entscheidend ist aber die qualitative Entwicklung: Erfolgte CV in der Vergangenheit häufig eher ungerichtet aus einer wohltätigen Giving-Back-Motivation heraus, verstehen es Unternehmen heute zunehmend als eine gezielte, an der Kernstrategie des Unternehmens ausgerichtete Investition in gesellschaftlichen Fortschritt, die Wirkung erzielen soll und auch im eigenen wirtschaftlichen Interesse erfolgt. Mit dieser Entwicklung einhergehen zugleich eine Professionalisierung des Managements sowie eine Ausdifferenzierung der CV-Programme.
In Deutschland ist es nicht unumstritten, ob Corporate Volunteering nachhaltige Wirkungen verzeichnen kann – in Unternehmen, den gemeinnützigen Organisationen und der Gesellschaft. Was beobachten Sie?
Die gezielte Investition von Zeit, Know-how und Wissen der Mitarbeiter ins Gemeinwesen rechnet sich für Unternehmen. Die möglichen Nutzendimensionen variieren je nach konkretem CV-Programm, gehen aber weit über Image- und Reputationsaspekte hinaus. Positive Wirkungen sind beispielsweise häufig beim Mitarbeiterstolz, der Unternehmenskultur, der Motivation und Zufriedenheit sowie der Bindung der engagierten Mitarbeiter an das Unternehmen zu beobachten – und übrigens auch messbar zu belegen. Zudem lassen sich Personalentwicklungsziele unterstützen und Handlungskompetenzen sowie Fertigkeiten von Mitarbeitern fördern. Der Nutzen für die Organisationen besteht – zusätzlich zur unmittelbaren Unterstützung – primär in der Erweiterung ihrer Problemlösungsfähigkeit durch den Einsatz der spezifischen Kompetenzen der Unternehmensmitarbeiter etwa bei der Organisationsentwicklung oder der Verbesserung der Angebote für die Zielgruppen der Organisation. Von dieser Wirkung profitieren indirekt wiederum die Unternehmen, denn ein intaktes Gemeinwesen stellt eine Voraussetzung für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg dar. Über den Nutzen im Einzelfall hinaus sehe ich als gesamtgesellschaftliche Wirkung zudem, dass CV ermöglicht, auf begrenztem Raum innovative Formen gesellschaftlicher Problemlösung zu erproben. Diese können staatliches Handeln ergänzen und die Grundlage für dessen Weiterentwicklung bilden. Ganz klar muss man sagen, dass es in der Praxis neben vielen guten Beispielen auch solche gibt, bei denen scheinbar weniger die Problemlösung, als vielmehr das Produzieren von Fotos mit „leuchtenden Kinderaugen“ im Vordergrund steht.
Welche Rahmenbedingungen in Unternehmen und gesellschaftlichen Organisationen sind wichtig, damit CV gelingt und mehr ist als „Window Dressing“?
Wirkungsvolle CV-Aktivitäten haben eine wesentliche Voraussetzung: Sie folgen der gleichen Ernsthaftigkeit, Professionalität und systematischen Herangehensweise wie die unternehmerischen Entscheidungen im Kerngeschäft. Praktisch heißt das: Sie haben einen klaren Bezug zur Unternehmensstrategie und sind nicht Hobby einzelner Mitarbeiter. Sie sind eingebunden in die übergeordnete CSR-Strategie. Die Unternehmensleitung trägt die Aktivtäten und engagiert sich bestenfalls sogar selbst. Es gibt klar definierte Verantwortliche. Die Personalabteilung wird frühzeitig eingebunden Alle Aktivitäten orientieren sich am gesellschaftlichen Bedarf. Die Ergebnisse und die Wirkung werden überprüft. In der gemeinnützigen Organisation sollte eine Ansprechperson zur Verfügung stehen, die für die Anforderungen der Kooperation ebenso wie für die Umsetzung des gemeinsamen Projekts über ein angemessenes Zeitbudget und einen klaren Auftrag verfügen muss. Insgesamt sind die Anforderungen auf beiden Seiten relativ hoch und nicht immer ohne weiteres zu erfüllen. So sind Unternehmen häufig keine Experten bei der Ermittlung gesellschaftlicher Bedarfe und die Organisationen tun sich oft schwer damit einzuschätzen, welche Ressourcen und Kompetenzen Unternehmen außer Geld noch sinnvoll einbringen können. Eine zunehmende Zahl von Unternehmen arbeitet deshalb bei der Entwicklung und Durchführung von CV-Aktivitäten mit erfahrenen Mittlerorganisationen zusammen, die über entsprechendes Know-how an der Schnittstelle von Wirtschaft und Gemeinwesen verfügen.
Welche Formen von CV haben sich bewährt? Welche neuen Ideen gibt es?
Als besonders wirkungsvoll hat sich das so genannte Skills-based Volunteering erweisen, bei dem Mitarbeiter sich mit ihren Kern-Kompetenzen und ihrem Fachwissen engagieren. Wenn etwa Führungskräfte Schulleitungen in Management- und Führungsfragen coachen, Mitarbeiter der Controllingabteilung einen Träger der Obdachlosenhilfe bei der Liquiditätsplanung unterstützen oder ein Mitarbeiterteam eines Sicherheitsdienstleisters gemeinsam mit den Jugendlichen einer Streetwork-Einrichtung ein Sicherheitskonzept für Veranstaltungen entwickeln, das von den Jugendlichen selbst umgesetzt werden kann, ist dies wirkungsvoller, als die Räume der Organisationen zu streichen. Dies gilt sowohl für die Wirkung bei den gemeinnützigen Organisationen und ihren Adressaten, als auch für die informellen Lernerfahrungen der Unternehmensmitarbeiter durch die Erlebnisse in den ungewohnten Handlungskontexten. Aber auch Hands-on Volunteering, das sind Engagementformen, bei denen stärker die Begegnung oder handwerkliche Tätigkeiten im Vordergrund stehen, kann sehr wohl wertvolle Wirkungen erzielen. Das Gefühl der Wertschätzung, das beispielsweise die Bewohner einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung bei einem gemeinsamen Ausflug mit Unternehmensmitarbeitern erfahren, kann nicht mit Geld bezahlt werden. Zudem sind Skills-based Volunteering-Programmen auch Grenzen gesetzt – sie erfordern häufig eine gewisse Volunteering-Vorerfahrung der Unternehmens- sowie der Organisationsmitarbeiter, haben oft einen längerfristigen Fokus, sind schwierig auf große Teile der Belegschaft eines Unternehmens zu skalieren und viele Mitarbeiter suchen zudem bewusst nach einem Engagementfeld, das eben nicht ihrem täglichen Aufgabenbereich entspricht.
Die Diskussion Skills-based versus Hands-on greift deshalb zu kurz. Vielmehr geht es darum, einen richtigen Mix der beiden Volunteering-Formen zu entwickeln, der den individuellen Volunteering-Zielen des Unternehmens und den realen gesellschaftlichen Bedarfen entspricht. Zunehmend an Bedeutung gewinnen Programme, bei denen mehrere Unternehmen ihre Kompetenzen bündeln und gemeinsam an einer Problemlösung arbeiten. Spannend ist auch, ob Microvolunteering – kurze oder in Teilschritte zerlegte Volunteering-Aufgaben, die von den Mitarbeitern in ihrem Job “zwischendurch” von ihrem Arbeitsplatz aus erledigt werden können – künftig noch stärker in Unternehmen Anwendung finden wird. Großes Potential sehe ich zudem beim CV der Mitarbeitergeneration 55+ beziehungsweise der Frage, wie CV am Übergang zum Ruhestand und darüber hinaus gestaltet werden kann.
Das Thema „Work-Life-Balance“ rückt zunehmend in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Was kann CV hier leisten?
Es gibt eine ganz klare Beziehung zwischen CV und dem Thema Work-Life-Balance. Das im Auftrag der Bundesregierung erstellte Freiwilligensurvey zeigt, dass sich 36% aller Bundesbürger ehrenamtlich oder freiwillig engagieren. Die Gesellschaft im Kleinen mitgestalten, Menschen helfen und mit ihnen zusammenkommen, sowie Spaß und Freude erfahren, zählen dabei zu den Hauptmotiven. Wenn Unternehmen das Engagement ihrer Mitarbeiter unterstützen und eigene Angebote machen, wirkt sich das nicht nur positiv auf das Verhältnis der Mitarbeiter zu ihrem Arbeitgeber und -platz aus, sondern hat auch einen sinnstiftenden und ausgleichenden Effekt im privaten Umfeld. Dies gilt umso mehr, wenn man betrachtet, dass nur gut die Hälfte der Erwerbstätigen in Deutschland ihre freie Zeit unter der Woche verlässlich planen kann – mit den entsprechenden Konsequenzen für ihr freiwilliges Engagement. Arbeitszeit für Engagement zur Verfügung zu stellen, neue Kontakte am Arbeitsort zu ermöglichen, Freude an sinnstiftendem Engagement zu vermitteln – all das trägt zu einer besseren Balance bei. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass laut einer internen Studie eines großen deutschen Unternehmens mittlerweile etwa ein Drittel aller Bewerber im Vorstellungsgespräch nach Volunteering-Angebote und Unterstützungsmöglichkeiten fragen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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