Düsseldorf / Jena > Nur noch jedes achte der rund 6.700 Callcenter in Deutschland bindet sich an einen Flächentarifvertrag. In der Entstehungsphase der Callcenter Anfang der 90er Jahre hingegen hätten die meisten als eigene Abteilungen in Großunternehmen noch dem jeweiligen Branchentarif unterlegen, berichtete der Soziologe Hajo Holst von der Universität Jena in der Fachzeitschrift des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Holst zeichnet darin nach, wie sich die Arbeitsbeziehungen in der Branche verändert haben.
Demnach ist der Callcenter-Bereich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre stark gewachsen und es habe sich „ein schnell wachsender Rand nicht regulierter Arbeitsverhältnisse mit einem hohen Prekaritätsrisiko“ entwickelt. Inzwischen seien die Standards der nicht tarifgebundenen Callcenter „faktisch zum Referenzpunkt der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen im gesamten Wirtschaftszweig geworden“, berichtet der Wissenschaftler. Und auch wer noch zu relativ komfortablen Bedingungen in einer nicht ausgelagerten Telefonzentrale eines großen Konzerns arbeite, profitiere kaum mehr von einer guten Ertragslage des Unternehmens. Die verbliebenen internen Callcenter seien stattdessen ständig mit einer „latenten und nicht selten sogar expliziten Fremdvergabebedrohung“ konfrontiert.
Der Call-Center-Verband Deutschland (CCV) meldete derweil am Dienstag deutschlandweit 20.000 offene Stellen. Seit Februar sei die Nachfrage nach qualifizierten Mitarbeitern um ein Drittel gestiegen. Die Unternehmen suchten dabei nicht nur Telefonisten, knapp 43 Prozent der offenen Stellen seien solche von Führungskräften oder Lehrpersonal.
In der vergangenen Woche hatte sich Verbandspräsident Manfred Stockmann für einen Mindestlohn für die Branche ausgesprochen. Das verhindere den Wettbewerb auf Grundlage von Dumpinglöhnen und bekämpfe den Fachkräftemangel in der Branche.