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BSCI: Die Kunst der kleinen Schritte

Seit Jahren attackieren NGOs und Gewerkschaften die soziale Brancheninitiative BSCI als „Greenwashing“ oder „Hochstapelei“. Jetzt will die Wirtschaftsinitiative auf ihre Kritiker zugehen und enger mit ihnen zusammenarbeiten. Doch die stellen Bedingungen.

Von Hans-Dieter Sohn (CSR MAGAZIN)

Wie wird die „zweiteilige Kleinkinder-Fleecejacke für Mädchen“ gefertigt, die Lidl im Mai 2011 für 4,59 Euro anbietet? Oder die „Kinder-Fußballschuhe“, für die Aldi Süd derzeit 8,99 Euro aufruft? Konkret erfahren Kunden dazu nichts. Aldi Süd mache „die Übernahme von sozialer Verantwortung zum Bestandteil sämtlicher vertraglicher Lieferbedingungen“, schreibt der Discounter auf seiner Webseite.

Das Bekenntnis zu dieser Verantwortung macht Schule: Neben ALDI und LIDL haben sich knapp 700 weitere Händler und Produzenten von Verbrauchsgütern der Business Social Compliance Initiative (BSCI) angeschlossen, die 2003 von der Europäischen Außenhandelsvereinigung mit gerade einmal 20 Firmen als globaler Anstoß für Sozialstandards im Einzelhandel ins Leben gerufen wurde. Die Mitgliedsfirmen verpflichten sich, den BSCI-Verhaltenskodex in der gesamten Lieferkette zu beachten. Der Kodex umfasst wichtige internationale Standards, etwa die der Internationalen Arbeitsorganisation, geht NGOs und Gewerkschaften aber nicht weit genug. „Lieferanten müssten zum Beispiel angehalten werden, mit den Gewerkschaften existenzsichernde Löhne auszuhandeln“, fordert Uwe Wötzel von der Gewerkschaft ver.di. Dass die korrekte Umsetzung der Standards auch vom Verhalten der Einkäufer selbst abhängt, bleibt unberücksichtigt. „Hier könnte die BSCI durch ihr Branchengewicht Vorreiter sein“, empfiehlt die Analystin Lisa Häuser von der Rating-Agentur oekom research.

Prozessorientierter Ansatz der BSCI

Die BSCI konzentrierte sich bislang auf die Überwachung ihrer Standards durch externe Auditoren. Einen stärkeren Schwerpunkt will sie in Zukunft auf Trainings für Mitglieder und Zulieferer legen, zusätzlich zu nationalen Dialogen mit Stakeholdern. „Wir wollen unsere Mitglieder dabei unterstützen, die Sozialperformance der Lieferanten in Entwicklungs- und Schwellenländern weiter zu verbessern“, sagt BSCI-Geschäftsführer Lorenz Berzau. Eine schwierige Aufgabe: Beschaffungsketten können sehr lang und kompliziert sein, die Rahmenbedingungen regional sehr unterschiedlich.

Gleichzeitig ist die Liste der Missstände in einzelnen Zulieferfirmen lang, die NGOs und Medien in den letzten Jahren zusammengetragen haben: Dazu zählen Kinder- oder Zwangsarbeit, mangelnde Sicherheit am Arbeitsplatz, das Fehlen existenzsichernder Löhne, Behinderung der Arbeit von Arbeitnehmervertretern, zu hohe Regelarbeitszeiten, zu viele Überstunden sowie alle möglichen Formen der Diskriminierung. Auch die BSCI geht in ihrem jüngsten Jahresbericht offen mit arbeitsrechtlichen Defiziten um: Beim Erstaudit entsprachen zuletzt weniger als 20 Prozent der Zulieferer dem Kodex. Das zweite Audit bestanden rund zwei Drittel der Firmen. Daher räumt auch das BSCI-Mitglied Aldi ein, „dass der Aufbau von Strukturen zur Einführung und Überprüfung von Sozialstandards entlang der Lieferkette ein langfristiger Prozess ist.“

Andere kommunizierten weniger zurückhaltend. Als BSCI-Mitglied leiste Lidl „einen großen Beitrag zur nachhaltigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der weltweiten Lieferkette“, behauptete der Aldi-Konkurrent noch Anfang 2010 in Anzeigen, auf denen auch das Siegel der BSCI zu sehen war. Die Verbraucherzentrale Hamburg und die Kampagne für Saubere Kleidung sahen darin eine irreführende Werbung und reichten Klage ein. Lidl hänge sich ein „soziales Mäntelchen um“ und erschleiche sich einen Wettbewerbsvorteil, argumentierten sie. Die NGOs hatten Zulieferfabriken in Bangladesch untersucht sich dort von Näherinnen „unmenschliche Arbeitsbedingungen“ schildern lassen. Schließlich gab Lidl eine Unterlassungserklärung ab. Das mediale Echo war verheerend, der „Spiegel“ nannte die BSCI „eine Art sozialer Vollkaskoschutz, den Einzelhändler wie Lidl und Metro für sich erfanden“.

Mangelnde Transparenz

Gegen die wenig ausgeprägte Transparenz in Lieferketten regt sich zunehmend Kritik. Ende April startete die „Supermarktinitiative“, eine Gruppe von 24 NGOs, eine neue „Transparenzkampagne“. Sie fordern eine gesetzliche Pflicht für Unternehmen, unter anderem Arbeitnehmerrechte sowie Lieferanten- und Produktionsstandorte offen zu legen. Die SPD-Fraktion im Bundestag hatte zuvor einen Antrag gegen Missbrauch von Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel eingebracht. Doch BSCI-Geschäftsführer Berzau wiegelt ab: „Viele unserer Mitgliedsunternehmen können ihre Lieferanten nicht preisgeben, weil dies wettbewerbsrelevante Informationen sind, die ihre Geschäftsinteressen beeinträchtigen würden. Zwischenhändler etwa könnten umgangen werden, wenn klar wird, von welchem Produzenten eine Ware stammt.“

Doch NGOs und Gewerkschaften fordern auch mehr Transparenz von der BSCI selbst: „Es sind weder detaillierte Audit-Ergebnisse noch qualitative Berichte über das Engagement und konkrete Maßnahmen der Mitgliedsunternehmen erhältlich“, bemängelt ver.di-Mann Uwe Wötzel. „Welche Arbeitsrechtsverletzungen kommen in welchen Ländern und bei welchen Unternehmen vor?“, will die Arbeitsrechts-Expertin NGO Oxfam Franziska Humbert wissen. „Selbst die Frage, wer letztlich die Kosten für die Audits trägt, bleibt häufig unklar“, fügt Sandra Dusch Silva von der Christlichen Initiative Romero hinzu.

Lob von Wirtschaftsethikern

Wie weit entfernt die Positionen von Kritikern und Befürwortern der BSCI sind, zeigte Ende 2009 die Diskussion um die Auszeichnung der BSCI mit dem „DNWE Preis für Unternehmensethik“ des Deutschen Netzwerks für Wirtschaftsethik. Die Organisationsform der BSCI als Verband sei der richtige Weg zwischen einzelbetrieblichen Lösungen und einer staatlichen Lenkung, lobte die DNWE-Jury. Der soziale Aspekt werde so aus dem Wettbewerb herausgenommen und die Vernachlässigung von Sozialstandards scheide als Möglichkeit zur Reduzierung der Einkaufspreise aus.

Kritik der NGOs ließ nicht lange auf sich warten: Da der Einzelhandel weit entfernt von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen sei, sei die Auszeichnung der BSCI nicht nachvollziehbar, antwortete die Kampagne für Saubere Kleidung. Das DNWE feuerte daraufhin zurück: Es gehe der DNWE nicht um den Beweis einer „total compliance“, die bei NGOs als hehrer Anspruch weit verbreitet scheine, sondern um die Frage, welches wirtschaftsethische Potential in der real existierenden Initiative BSCI stecke und ob damit ein Vorbild nachhaltig in Gang gebracht worden sei.

Dialog mit Stakeholdern

Ein weiterer Kritikpunkt der NGOs und Gewerkschaften betrifft die Struktur der BSCI, in der die zahlenden Mitgliedsunternehmen das Sagen haben. Dass andere Stakeholder zwar zum Informationsaustausch regelmäßig zu Treffen geladen werden, ohne jedoch aktiv eingebunden zu sein, war der Hauptgrund dafür, dass im vergangenen Herbst einige deutsche NGOs ihre Teilnahme an einem Runden Tisch absagten. Die Veranstaltung fiel aus. BSCI-Manager Berzau bemüht sich, die Tür zu den Stakeholdern offen zu halten, und wirbt dafür, in konkreten Projekten mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten, etwa gemeinsame Trainings anzubieten. Doch auch eine grundlegende Reform der BSCI scheint näher zu rücken: „Wir wollen in naher Zukunft die Stakeholder stärker in unsere Entscheidungsprozesse einbinden.“

Doch angesichts ihrer zahlreichen inhaltlichen Kritikpunkte geben sich diese eher zurückhaltend. Oxfam-Arbeitsrechtsexpertin Franziska Humbert zeigt sich offen für einen Dialog, fordert aber inhaltliche Fortschritte. Für Uwe Wötzel von Verdi ist „zunächst eine Verständigung über die Ziele, Inhalte und Formen der Zusammenarbeit notwendig.“ Er bringt die von der Kampagne für Saubere Kleidung verfassen „Vier Schritte zu einer fairen Zulieferkette“ als Basis für eine Zusammenarbeit ins Spiel, die auf strengere Standards, mehr Transparenz und die Bildung einer Multi-Stakeholder-Initiative abzielen. „Wir erwarten, dass Dialog auf Augenhöhe erfolgt“, ergänzt er.

Von andern Initiativen lernen

Ein Vorteil für die BSCI könnte sein, dass sie in einigen der kritisierten Bereiche das Rad nicht neu erfinden muss. „Bei der eigenen Verantwortung und der Einbindung von Stakeholdern ist die Ethical Trading Initiative ETI insgesamt fortschrittlicher und stellt höhere Anforderungen an ihre Mitglieder“, sagt oekom research-Analystin Lisa Häuser. „Mehr Transparenz über die Aktivitäten ihrer Mitglieder könnte sich BSCI von der Fair Wear Foundation abschauen.“ Die Fair Labour Association veröffentlicht bereits konkrete Auditergebnisse über ihre FLA Tracking Charts, inklusive der Maßnahmen, die das teilnehmende Unternehmen als Antwort auf Probleme eingeleitet hat. Wie weit Transparenz heute schon gehen kann, zeigt auch die Webseite respect-code.org, welche die Produktionskette von Textilien offenlegt und auf Google Maps visualisiert.


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