Bonn/Stuttgart > Das Dilemma „Tank oder Teller“ sorgt in der letzten Zeit immer wieder für Aufmerksamkeit, die Produktion von Biokraftstoffen wurde sogar schon als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet. Neuestes Beispiel: die Ethanolherstellung der Schweizer Firma Addax Bioenergy. Das Unternehmen hat in Sierra Leone großflächig Land zum Anbau von Zuckerrohr gepachtet und stellt daraus Ethanol für den europäischen Markt her. Etwa 57.000 Hektar Land haben sich die Schweizer auf fünfzig Jahre gesichert. In einer nun vorgestellten Studie des „Netzwerk für Nahrungssicherheit“, einer Partnerorganisation des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), und „Brot für die Welt“ werden Addax schwere Vorwürfe gemacht. Die betroffenen Bauern verlieren durch den großflächigen Anbau den Zugang zu Ackerflächen, Trinkwasser und dadurch ihr Recht auf Nahrung, heißt es. Die Autoren der Studie untersuchten in zwölf von der Landverpachtung betroffenen Dörfern die Auswirkungen der Zuckerrohrplantagen auf die Bevölkerung. „Viele Bauern im Norden haben große Teile ihres Ackerlands an Addax verpachtet. Sie glaubten, dass sie sich mit dem angebotenen Ersatzland versorgen könnten“, so Francisco Mari, Agrarhandelsexperte des EED. Tatsächlich waren die Ersatzflächen nicht zur Aussaat vorbereitet, in den Dörfern werden nun die Vorräte knapp. „Für die Regenzeit befürchten wir Hunger in der Region“, so Karen Neumeyer, Kampagnenkoordinatorin bei „Brot für die Welt“. Die Studie belegt weiterhin, dass durch Umleitung von Zuflüssen die Menschen in einem Dorf keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Die Menschen vor Ort können kaum gegen ihre bestehenden Pachtverträge vorgehen. Klagen sind nur am Sitz von Addax in London möglich. Das Unternehmen verweist auf klärende Gespräche mit den Organisationen vor Ort.
In seiner Projektbeschreibung teilt Addax mit, das Zuckerrohrprojekt beeinflusse den lokalen Reisanbau kaum, nur kleine Teile des Anbaugebietes würden überhaupt für die Produktion von Nahrungsmitteln genutzt und die Bauern besäßen weiter ungehinderten Zugang zu ihren Feldern.
Unbeachtet dieser Situation gilt der großflächige Anbau sogenannter Energiepflanzen als äußerst problematisch. Treibstoffe aus Zuckerrohr gelten als pflanzliche Energieträger der ersten Generation. Ihr Anbau steht in Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau und ihr großflächiger Anbau in Monokulturen führt zu starken Veränderungen der Landnutzung. Die Bevölkerung in den Anbauregionen kann nur selten profitieren. Meist werden die Felder mit moderner Technik geerntet, Arbeitsplätze entstehen nur wenige. Ein weiteres Problem ist das sogenannte Landgrabbing, die stark zunehmende Inbesitznahme von Anbauflächen in den Entwicklungsländern. Alleine in Afrika wurden in den vergangenen Jahren Pacht- oder Kaufverträge über eine Fläche von etwa 60 Millionen Hektar Land abgeschlossen, oft mit Beteiligung westlicher Banken und Fondsgesellschaften.
Auf den Anbau von Energiepflanzen lassen sich die Probleme der afrikanischen Landwirtschaft jedoch nicht alleine und vielleicht auch nicht zuerst zurückführen: Kleine Feldgrößen – oft deutlich unter einem Hektar -, fehlende Bevorratung von Lebensmitteln und Saatgut, mangelnde Kenntnisse über die Möglichkeiten einer optimierten Landwirtschaft machen den Bauern zu schaffen. In letzter Zeit kamen Schwankungen im Klima hinzu: Für die Landwirte lässt sich das Einsetzen der Regenzeit nicht mehr sicher voraussehen, oftmals erfolgt ihre Aussaat dadurch nicht oder zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Große Monokulturen an Zuckerrohr sind zudem nicht nur für die Erzeugung von Agrosprit, sondern auch für die Zuckergewinnung entstanden.