Berlin > Das von der Bundesregierung berufene Expertengremium für Umwelt und Entwicklung hält einen Atomausstieg international auch ohne Abstriche beim Klimaschutz für machbar. „Anspruchsvoller Klimaschutz ist auch ohne Kernenergie möglich“, heißt es in dem am Donnerstag in Berlin veröffentlichten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen (WBGU). Erforderlich seien dafür allerdings massive Investitionen in eine Energiewende, Änderungen im Konsumverhalten der Menschen weltweit und globale Abgaben auf das klimaschädliche Kohlendioxid (CO2).
Der Ausstieg aus der Atomenergie dürfe nicht „durch den Wiedereinstieg oder die Verstärkung von Energieerzeugung aus Braun- und Steinkohle kompensiert werden“, mahnen die Experten. Dies sei nur nur durch den „massiven Ausbau der erneuerbaren Energie“ machbar, heißt es in dem Gutachten.
Dagegen biete sich die Atomenergie „insbesondere wegen der nicht vernachlässigbaren Risiken schwerster Schadensfälle, der ungeklärten Endlagerungsproblematik und dem Risiko unkontrollierter Proliferation“ nicht als Ausweg an. Von dem in verschiedenen Ländern geplanten Bau neuer Atomkraftwerke raten die Experten daher ab. Die Atomkrise im japanischen Fukushima zeige, „dass schnelle Wege in eine klimaverträgliche Zukunft ohne Kernenergie beschritten werden müssen“.
Der Beirat sieht die Welt in einem Umbruch, der sich mit dem Übergang von der Agrar- zur kohlegestützten Industriegesellschaft im 18. Jahrhundert vergleichen lasse. Dieses Mal gehe es um einen Strukturwandel von der fossilen zur post-fossilen Gesellschaft – zu einer Wirtschaftsweise also, in der die Energieversorgung nicht länger auf die Ausbeutung fossiler Brennstoffe wie Öl und Kohle beruht, bei deren Verbrennung klimaschädliches CO2 entsteht. Um die nötigen Investitionen zu ermöglichen, müssten Subventionen für fossile Energieträger abgebaut werden, die „weltweit im hohen dreistelligen Milliardenbereich“ lägen.
Für Deutschland schlagen die Experten der Bundesregierung eine Reihe von konkreten Maßnahmen vor. Das Treibhausgas CO2 solle „möglichst rasch und global mit einem angemessenen Preis belegt werden“. Eine europäische Energiepolitik müsse bis 2050 auf eine „vollständige Klimaverträglichkeit“ abzielen und dabei auch eine Partnerschaft mit Nordafrika aufbauen. Wirtschaftszweige wie die Landwirtschaft sowie gesellschaftliche Prozesse wie die Verstädterung müssten „klimaverträglich gestaltet werden“.
Der Beirat war 1992 von der Bundesregierung als unabhängiges Beratergremium ins Leben gerufen worden. Er hat neun Mitglieder, die für jeweils vier Jahre von der Bundesregierung berufen werden. Vorsitzender ist der Potsdamer Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber.