Berlin > Deutsche Pharmazeuten liefern das Betäubungsmittel Thiopental nicht in die Vereinigten Staaten. Das ergaben Recherchen von CSR NEWS bei Herstellern und Händlern. In einem Appell an die deutsche Pharmaindustrie hatten Politik, Kirchen und Ärzteschaft gefordert, den USA das für Hinrichtungen verwendete Betäubungsmittel nicht zu liefern. Nach Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) mahnte am Montag der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, die Pharmaindustrie, “ethisches Gewissen zu zeigen und die Hinrichtungen zu boykottieren”. Und auch der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bernhard Felmberg, forderte von der deutschen Pharmaindustrie, das Mittel nicht in die USA zu liefern.
Politiker und Ärzteschaft werben für Boykott
Rösler hatte zuvor in einem Schreiben an die deutschen Pharmafirmen und den Großhandel für einen Boykott geworben. Darin warnte er vor einer “missbräuchlichen Verwendung” des Betäubungsmittels Thiopental-Natrium und forderte die Hersteller auf, entsprechenden Lieferungsersuchen aus den USA “nicht zu entsprechen”. Rösler verwies in dem einseitigen Schreiben vom 18. Januar auf entsprechende Grundsatzentscheidungen in Deutschland und auf europäischer Ebene gegen die Todesstrafe.
Das Betäubungsmittel Thiopental-Natrium ist ein Bestandteil der Giftmischung, die in den USA für Hinrichtungen verwendet wird. Die USA haben seit mehreren Monaten Schwierigkeiten, das Mittel zu produzieren. Da Thiopental in den USA bisher das einzige für Hinrichtungen zugelassene Mittel ist, musste bereits in mehreren Fällen die Vollstreckung der Todesstrafe aufgeschoben werden. Wie aus Röslers Schreiben hervorgeht, liegen derzeit Hinweise zur Anforderung von Thiopental durch die USA in Großbritannien vor.
Durch einen Lieferboykott könnte die deutsche Pharmaindustrie laut Montgomery zeigen, “dass sie sich den Menschen und nicht den Absatzmärkten verpflichtet fühlt”. Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrike Flach, erklärte, die deutsche Pharmaindustrie setze auf die Herstellung von Arzneimitteln, nicht auf den Export von “Hinrichtungsgift”.
Deutsche Unternehmen und Pharmahandel: Wir liefern nicht.
Zu den Produzenten in Deutschland gehört Rotexmedica aus Trittau bei Hamburg, eine Tochter der französischen Panpharma-Gruppe, und das Freiburger Unternehmen Inresa. Rotexmedia-Vertriebsleiter Dr. Andreas Wendt sagte, sein Unternehmen liefere das Präparat nicht in die USA; es läge auch keine entsprechende Anfrage vor. Die mögliche Verwendung als Hinrichtungsgift sei dem Unternehmen seit Jahren bekannt, eine solche Nachfrage würde Rotexmedica nicht befriedigen. Auch Inresa-Geschäftsführer Henric Wassmer hat keine Nachfrage aus den USA erhalten, und auch sein Unternehmen würde den Wirkstoff nicht nach dort liefern. Insera beliefert Kliniken und den Großhandel. Was dort allerdings mit dem Betäubungsmittel geschehe, könne sein Unternehmen nicht verfolgen.
Der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (PHAGRO) habe alle seine Mitgliedsfirmen über das Schreiben von Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler informiert, sagte Thomas Graf, Pressesprecher der Andreae-Noris Zahn AG, ein Mitglied des Verbandes. „Alle im PHAGRO vertretenen Pharma-Großhändler beliefern ausschließlich in Deutschland zugelassene Apotheken und Krankenhausapotheken und diese geben verschreibungspflichtige Medikamente nur nach Vorlage eines Rezeptes ab.“ Daher sei missbräuchliche Abgabe des Betäubungsmittels an andere Empfänger durch den pharmazeutischen Großhandel ausgeschlossen.
Gesetzliche Regelungen fehlen
Das Gesundheitsministerium sieht nach eigenen Angaben allerdings keine Möglichkeit, die Ausfuhr von Thiopental rechtlich zu unterbinden. Ein Ministeriumssprecher sagte am Montag, über das Arzneimittelrecht könne solch ein Ausfuhrverbot nicht geregelt werden. Dies wäre nur über entsprechende Regelungen im Außenhandelsgesetz möglich, das in die Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums falle.
In Deutschland wird Thiopental-Natrium als Pulver zur Herstellung von Injektionslösungen produziert und vor allem in der Anästhesie verwendet, also zur kurzen Narkose während einer Operation. Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) handelt es sich um ein in Deutschland “vollkommen übliches Arzneimittel”. Für die Patienten in Deutschland seien mit diesem Wirkstoff keine besonderen Risiken verbunden, die über die ganz allgemein mit Narkosen verbundenen möglichen Risiken hinaus gehen, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit.
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