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Fehlende Krankenversicherung treibt Millionen in Armut – Mikroversicherungen bisher ohne Durchbruch

Berlin > In jedem Jahr rutschen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit rund 100 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze, weil sie nicht krankenversichert sind. Mehr als 150 Millionen Menschen seien zudem jedes Jahr vom finanziellen Ruin bedroht, heißt es im diesjährigen Weltgesundheitsbericht der WHO, der am Montag in Berlin vorgelegt wurde. Auch in reichen Ländern seien die Gesundheitskosten häufig erdrückend. Lösungsansätze bietet das Konzept der Mikro-Versicherungen: Es ist seit 2005 weltweit bekannt, konnte jedoch auf dem Markt noch keinen Durchbruch erzielen.

Dem WHO-Papier zufolge ist mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung nicht krankenversichert. Nur etwa ein Fünftel verfügt demnach über eine umfangreiche Absicherung der Kosten für medizinische Leistungen. Die unzureichende Finanzierung der Gesundheitsversorgung sei vor allem ein Problem von Entwicklungsländern, wo es häufig bereits an einer ausreichenden Verfügbarkeit von Behandlungsressourcen mangele, heißt es in dem WHO-Bericht.

Zudem werden dem Bericht zufolge die für die Gesundheitsversorgung weltweit vorhandenen Mittel „ineffizient und ungerecht“ eingesetzt, was demnach zu einer Verschwendung von 20 bis 40 Prozent des zur Verfügung stehenden Geldes führt. Vor allem in Krankenhäusern, in die weltweit bis zu zwei Drittel aller öffentlichen Gesundheitsausgaben flössen, würden jährlich rund 300 Milliarden Dollar (knapp 220 Milliarden Euro) vergeudet.

Auf diesem Hintergrund bieten Mikroversicherungen nicht nur eine Absicherung des Krankheitsrisikos, sondern auch Schutz bei anderen existentiellen Risiken wie Unfall und Verlust des Eigentums durch Katastrophen oder Ernteausfälle. Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die Allianz AG und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) haben bereits 2005 in einer gemeinsamen Public Private Partnership (PPP) mit der Entwicklung von Versicherungen gegen die existentiellen Lebensrisiken begonnen, vor allem für die Bewohner ländlicher Regionen in Indien. GTZ und UNDP ermittelten dabei in Kooperation mit indischen Nichtregierungsorganisationen (NRO), ländlichen Genossenschaften und Kredit- und Spargruppen den Bedarf an Mikroversicherungen und identifizierten effiziente Vertriebsnetze.

Bei der Allianz haben bisher rund 3,8 Millionen Menschen – zumeist in Asien – eine Mikroversicherung abgeschlossen. Sie nutzen ein von CARE International der indonesische Allianz-Tochtergesellschaft Bajaj Allianz nach dem Tsunami entwickeltes Basispaket. Nach Allianz-Recherchen in Indien haben rund 90 Prozent ihrer Kunden nie zuvor von einer Versicherung gehört. Damit das Konzept flächendeckend wirken kann, müssen Mikroversicherungen wirtschaftlich erfolgreich sein. Das setzt eine sehr hohe Zahl der Versicherten sowie geringe Verwaltungskosten voraus. In Kooperation mit lokalen Produkt- und Vertriebspartnern wie CARE International, SKS Microfinance oder PlaNet Finance will die Allianz diesem Ziel näher kommen. Neben Indien hat die Allianz ihr Angebot auf Ägypten, die Elfenbeinküste, Indonesien, Kamerun, Kolumbien, Madagaskar und den Senegal ausgedehnt.

2009 gründete die Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden (IAIS) in Brasilien die „Access to Insurance Initiative“. Die Initiative will angepasste internationale Standards und Richtlinien für Mikroversicherungen entwickeln, die Kapazitäten der Versicherungsaufsichtsbehörden weltweit stärken und so den Schutz der Versicherungsnehmer garantieren und ein gesundes Wachstum von Mikroversicherungsmärkten fördern. An der Initiative sind das Bundesministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) beteiligt. Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) hat im Auftrag des BMZ die Leitung der Initiative übernommen. Auf Einladung des BMZ und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) trafen sich am 3. Mai 2010 in Berlin Vertreter der Entwicklungspolitik, der Finanzaufsicht und der Versicherungswirtschaft zur Konferenz „Enabling Microinsurance“ und suchten nach Möglichkeiten, wie der Zugang zu Mikroversicherungen verbessert werden kann.

Die WHO ruft die Weltgemeinschaft in dem Bericht dazu auf, sich um ein baldiges Erreichen der sogenannten Millenniumsziele zu bemühen. Die Entwicklungsländer bräuchten zum Aufbau und Betrieb einer grundlegenden Gesundheitsversorgung bis zum Jahr 2015 etwa 60 Dollar (etwa 44 Euro) pro Einwohner. „Die internationale Gemeinschaft wird die eigenen Anstrengungen der ärmsten Länder finanziell unterstützen müssen“, heißt es in dem Papier.

Der Bericht wurde im Rahmen einer internationalen Ministerkonferenz zur Finanzierung von Gesundheitssystemen beraten. An ihr nahmen neben Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler und Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (beide FDP) auch WHO-Chefin Margaret Chan sowie mehr als 30 Minister und weitere politische Vertreter aus rund 50 Ländern teil. Entwicklungsminister Niebel kündigte an, Hilfestellungen beim Ausbau von Gesundheitssystemen in ärmeren Ländern blieben „einer der Schlüsselsektoren der deutschen Entwicklungspolitik“. Die Bundesregierung stelle dafür bereits heute jährlich 500 Millionen Euro bereit.


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