Hamburg > Seit 2004 veranstaltet die Michael Otto Stiftung für Umweltschutz jährlich ihre „Hamburger Gespräche für Naturschutz“. Das sechste Symposium aus dieser Reihe am 5. November 2009 stand unter dem Thema „Natur frei Haus – ein Symposium über den riskanten Umgang mit dem Marktfaktor Natur“. Dazu ist jetzt eine Dokumentation erschienen, die als Printfassung oder zum Download unter www.michaelottostiftung.de bezogen werden kann. Über die Erkenntnisse aus dieser Veranstaltung sprach CSR NEWS mit dem Stifter und Kuratoriumsvorsitzenden Dr. Michael Otto:
CSR NEWS: Herr Dr. Otto, „Natur frei Haus“ ist ein bedrohlicher Titel. Was können wir tun, um ab morgen im Umgang mit der Natur eine andere Richtung einzuschlagen?
Dr. Michael Otto: Eine einfache, sofort wirksame Lösung gibt es nicht. Die Vorträge unseres Symposiums zeigen das Spannungsverhältnis auf, in dem wir stehen. Dabei kristallisieren sich zwei Ansatzpunkte heraus. Wir haben zum Einen gehört, was wir durch staatliche Lenkung erreichen können: durch die Setzung von Rahmenbedingungen von Seiten der Regierungen, etwa eine Lenkung durch Anreize, wie sie unserer bestehenden Marktwirtschaft entspricht. Zum Anderen brauchen wir gleichzeitig eine Bewusstseinsänderung, die bei jedem einzelnen Bürger beginnt. Eine solche Bewusstseinsänderung braucht wiederum ein entsprechendes Handlungsumfeld. Beides – die Lenkung durch gezielt gesetzte Anreize und die Bewusstseinsänderung – sind langwierige Prozesse. Bewusstseinsänderungen brauchen Jahrzehnte. Und damit Regierungen Anreizsysteme setzen können, muss zunächst auch der finanzielle Wert, den die Güter und Dienstleistungen der Natur für uns haben, quantifiziert werden. Denn wir schätzen die Natur zumeist aus ethischen oder kulturellen Gründen; wichtig ist jedoch, dass auch die sogenannten „ökosystemaren Dienstleistungen“ der Natur in Wert gesetzt werden, um ihren unverzichtbaren ökonomischen Beitrag begreiflich zu machen. Das ist ebenfalls ein langwieriger Prozess.
CSR NEWS: Im Grundsatz brauchen wir aber doch mehr staatliche Lenkung und nicht nur freiwilliges unternehmerisches und gesellschaftliches Engagement?
Michael Otto: Überall dort, wo wir etwas durch Eigeninitiative erreichen können, sollte sie den Vorrang haben. Es gibt allerdings Bereiche, in denen die Veränderungen zu langsam vor sich gehen. An diesen Stellen brauchen wir Vorgaben und Rahmenbedingungen, die der Staat setzt. Ein gutes Beispiel dafür ist die gegenwärtige Umweltgesetzgebung, die unserem Land gut bekommt. Umweltgesetze haben einen Druck zu umweltbewussterem Verhalten erzeugt und die Veränderung von Prozessen angestoßen. Wir haben im Bereich der erneuerbaren Energien viele kreative Ingenieurleistungen hervor gebracht. Und unsere grünen Industriezweige sind zu Exportschlagern geworden.
CSR NEWS: Sehen Sie bei den Konsumenten in Deutschland eine Entwicklung in Richtung zu mehr Umweltbewusstsein, die sich auch in Kaufentscheidungen widerspiegelt?
Michael Otto: Wir können tatsächlich feststellen, dass das Bewusstsein in der Bevölkerung für Umweltfragen deutlich gestiegen ist, ebenso wie das Bewusstsein für die Bedeutung des Klimaschutzes oder sozialer Fragen. Bei Otto haben wir in 2009 zum zweiten Mal eine Studie zum ethischen Konsum aufgelegt. Die Ergebnisse zeigen: die Menschen wollen gerne mit einem guten Gefühl konsumieren – und nicht zulasten der Umwelt oder unter Inkaufnahme von Kinderarbeit. Das sicherzustellen ist Sache der Unternehmen, so sehen es die Konsumenten. Kritisch wird es, wenn die verantwortungsvolle Herstellung eines Produktes zu spürbaren Mehrkosten führt. Zur Zahlung eines dadurch verursachten höheren Preises besteht kaum Bereitschaft.
CSR NEWS: Wie handeln Sie da in Ihrem eigenen Unternehmen?
Michael Otto: Otto hat früh mit der Implementierung von Umwelt- und Sozialstandards begonnen, das war uns ein aufrichtiges Anliegen. Dabei haben wir festgestellt: Diese Themen sind nicht nur für unsere Kunden, sondern auch für unsere Mitarbeiter wichtig. Für unser Unternehmen und dessen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und auch für die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber hat sich das positiv ausgewirkt. Und in einigen Bereichen lässt sich durch nachhaltiges Wirtschaften zudem ein Kostenvorteil erzielen.
CSR NEWS: Wie zufrieden sind Sie mit Ihren Unternehmerkollegen und deren Nachhaltigkeitsengagement?
Michael Otto: Bei Unternehmen hat das Umweltbewusstsein deutlich zugenommen. Es ist eingebunden in eine breitere Verantwortungskultur, die unter dem Begriff Corporate Social Responsibility läuft. Die Motive sind dabei unterschiedlich: Einige Unternehmen analysieren eher nüchtern die Ansprüche ihrer Stakeholder und handeln deshalb verantwortlich. Ganz wichtig war in dieser Hinsicht, dass Nachhaltigkeitsthemen Eingang in die Finanzwirtschaft gefunden haben, etwa über den Dow Jones Sustainability Index. Manche Pensionsfonds legen ihren Portfolios heute Nachhaltigkeitskriterien zugrunde. Und auch bei der Bewertung durch Ratingagenturen spielen Nachhaltigkeitskriterien eine Rolle. Denn nicht nachhaltig agierende Unternehmen laufen Gefahr, Gegenstand von Kampagnen und Boykottaufrufen der Nichtregierungsorganisationen zu werden, sie arbeiten also mit einem höheren Risiko. Andererseits kenne ich aber auch eine ganze Reihe Unternehmer, die als „Überzeugungstäter“ von dem Gedanken getrieben werden: Wir müssen etwas für unsere Kunden und die Gesellschaft tun. Die setzen sich in der Tat aus innerer Motivation entsprechend dafür ein, diese Aspekte in ihrem Unternehmen kontinuierlich voran zu bringen.
CSR NEWS: Herzlichen Dank für das Gespräch!