Hamburg > Etwa 3,3 Millionen Haushalte in Deutschland gelten als überschuldet – im Mehrjahresvergleich mit steigender Tendenz. Überschuldung ist für die Betroffenen oft mit Scham, mit deutlichen materiellen Einschnitten, verringerter gesellschaftlicher Teilhabe und mit vielen Ängsten verbunden. Für die Wirtschaft entstehen Forderungsausfälle und die Kosten der Forderungsbeitreibung. Und auch die Gesellschaft zahlt drauf, etwa durch die Beschäftigung der Gerichte mit Insolvenzverfahren. Um den Problemen der Überschuldung wirkungsvoll begegnen zu können, sind Kenntnisse zu deren Ursachen und dem Verlauf von Verschuldungssituationen wichtig. Solche legte gestern in Hamburg das institut für finanzdienstleistungen e.V. mit dem iff-Überschuldungsreport 2009 vor, gefördert von der Stiftung Deutschland im Plus:
Arbeitslosigkeit bildet den häufigsten Auslöser von Überschuldungssituationen, gefolgt von Scheidung und von gescheiterter Selbständigkeit. Erst an vierter Stelle folgt das Konsumverhalten als Auslöser. Die durchschnittliche Schuldenhöhe beträgt 33.338 Euro und verteilt sich auf 18 Forderungen. Banken sind dabei die wichtigsten Gläubiger. Acht von zehn überschuldeten Haushalten gelten als einkommensarm. In einem Drittel der überschuldeten Haushalte leben Kinder, das sind 1,5-mal so viele Kinder wie im Durchschnitt. Besonders betroffen sind Alleinerziehendenhaushalte und Paarhaushalte mit drei oder mehr minderjährigen Kindern. Fast jeder fünfte überschuldete Haushalt verfügt nicht über ein eigenes Girokonto. Für den Bericht wurden 12.000 Haushalte untersucht, bei denen in den Jahren 2004 bis 2009 eine Schuldnerberatung begann.
„Die Ergebnisse zeigen uns, wie wichtig ein dauerhaftes Engagement zur Überschuldungsprävention ist“, sagt Prof. Dr. Michael-Burkhard Piorkowsky, Vorstand der Stiftung „Deutschland im Plus“. Die offiziell vorliegenden Zahlen sind für Piorkowsky nur die „Spitze eines Eisbergs“. Die Stiftung will mit einer Telefon- und Onlineberatung die Hemmschwelle für Schuldner zu einem ersten Beratungsgespräch herabsetzen. Auf der Homepage www.deutschland-im-plus.de finden Interessierte eine Telefonnummer für fernmündliche Beratungsgespräche und Zugang zu einer Online-Beratung. Diese Beratung ersetzt nicht die spätere umfassende Begleitung durch eine Schuldnerberatungsstelle, eignet sich aber gut als ein niedrigschwelliger Einstieg, findet Schuldnerberater Werner Just vom Kölner Sozialdienst katholischer Männer (SKM). Denn auch das weist die Studie aus: Schuldner warten nach dem Auslösen der Überschuldung im Schnitt vier Jahre, bis sie eine Beratung in Anspruch nehmen. Das weitere Engagement der Stiftung „Deutschland im Plus“ zielt auf die finanzielle Bildung von Schülern. Unter dem Motto „Konsum planen – Budget im Griff“ gestalten Mitarbeiter der Stiftung an unterschiedlichen Schultypen in Nürnberg Bildungseinheiten, in denen Schüler Strategien für den Umgang mit ihrem Geld entwickeln. Dabei kommen auch Mitarbeiter des Ratenkreditinstituts easyCredit zum Einsatz, das die Stiftung „Deutschland im Plus“ vor zwei Jahren gründete.
Wie können Unternehmen der Herausforderung einer zunehmend überschuldeten Gesellschaft begegnen? Der iff-Bericht berechnet die Höhe allein der in Beratungsstellen registrierten Forderungsausfälle mit 110 Mrd. Euro. easyCredit lässt die Erkenntnisse der Studie in ihre Produktentwicklung einfließen (wir berichteten gestern). Arbeitgeber sind gefordert, ihre Arbeitnehmer bei Lohnpfändungen nicht zu entlassen und den damit verbundenen Aufwand zu tragen. Auch Arbeitgeber können ihre Mitarbeiter auf die Möglichkeiten einer Beratungsstelle hinweisen – und müssen dabei im Auge haben, dass die Wartezeit für den Beginn einer solchen Beratung etwa neun Monate beträgt. Zudem gibt es zunehmend Insolvenzberatungsstellen der Wohlfahrtspflege, die Unternehmen eine Zusammenarbeit anbieten – wie etwa die Gefährdetenhilfe Scheideweg e.V. in Nordrhein-Westfalen (Kontakt über info@gefaehrdetenhilfe.de). Im Bereich der Warenkredite sind flexible Lösungen gefragt, die sich an den Lebenslagen der Schuldner orientieren. Hier bietet zwar die Übergabe von Forderungen an Inkassoinstitute eine pragmatische Lösung und spart den unternehmensinternen Aufwand. Sie führt aber in vielen Fällen zu einem Verfahren, in dem diese Lebenslagen keine Rolle spielen. Und bei den jedem Privatinsolvenzverfahren verpflichtend vorgeschalteten außergerichtlichen Einigungsversuch böte es dem Schuldner große Chancen, wenn mehr Unternehmen der von den Beratungsstellen erstellten privaten Einigungsversuchen zustimmen würden. In 90 bis 95 Prozent scheitert eine solche Einigung an den Unternehmen, berichtet Hjördis Christiansen, die Leiterin der Schuldnerberatung der Verbraucherzentrale Hamburg. Und das selbst da, wo aufgrund von Erwerbsunfähigkeits- oder Altersrenten keine Aussicht auf Zahlungen in einem gerichtlichen Verfahren bestehen.