Der wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen hängt zunehmend an ihrer Bewertung als moralisch integer. Moral und Werte werden von Menschen in Unternehmen hinein getragen – oder eben nicht. Das Top-Management trifft dabei eine besondere Verantwortung. Weil wir wissen, aus welchem „Stoff“ verantwortungsvolle Führungspersönlichkeiten sind, müssen wir solche Menschen in Führungspositionen bringen.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus M. Leisinger im Rahmen des DNWE-Expertenforums
Unternehmen sind, wie Thomas Donaldson treffend bemerkte, moralisch gesehen ungewöhnliche Gebilde: Sie haben keine Hintern, in die man treten, und keine Seelen, die man verdammen könnte. Trotzdem sind Unternehmen als „juristische Personen“ Träger von Rechten und Pflichten, auch von moralischen. Und angesichts einer steigenden öffentlichen Sensibilität für die unternehmerische Verantwortungsübernahme mit Blick auf Menschenrechte, ökologische Zukunftsfähigkeit und gesellschaftliche Herausforderungen hängt an der Moralität eines Unternehmens auch ein wichtiger Teil seines wirtschaftlichen Erfolges. Unternehmen handeln allerdings nicht per se moralisch oder unmoralisch: Moralität — oder der Mangel daran — wird von Menschen, ihren Werteorientierungen, ihrer moralischen Integrität und ihrem konsistenten und kohärenten Verhalten in soziale Systeme hineingebracht.
Mitarbeiter auf allen Ebenen eines Unternehmens haben die Pflicht, für die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf andere und für das Erreichen der Unternehmensziele Verantwortung zu übernehmen. Und sie haben auch die Pflicht, für ihre moralische Überzeugungen einzutreten. Innerhalb von Unternehmen ist kaum jemand zu einer reinen Befehlsempfänger-Haltung verurteilt. In der Regel sind die individuellen Möglichkeiten des Widerspruchs gegen moralische Zumutungen groß, und zwar ohne die Folge unzumutbarer persönlicher Bedrängungen. Wer moralischen Einfluss nehmen will, kann dies tun und so die ethische Qualität von Gruppenentscheidungen erhöhen.
Führungseliten haben in allen Institutionen eine besondere Verantwortung – auch in Unternehmen. Mitglieder des Top-Managements besitzen kraft ihrer Autorität großen Einfluss auf die im Unternehmen gelebte Wertestruktur und Ethikkultur. Sie tragen sowohl die nicht-delegierbare Verantwortung für die strategische Ausrichtung des Unternehmens als auch die Verantwortung für die Charakteristiken der Unternehmenskultur: Top-Manager setzen und kommunizieren den richtigen „Ton“, bieten ein gutes Beispiel für das im Unternehmen erwartete Handeln und inspirieren andere als „Rollen-Modell“ für das im Unternehmen als anstrebenswert empfundene Verhaltensmuster. Die Vorsitzenden der Geschäftsleitung (CEOs) trifft in dieser Hinsicht eine herausgehobene Verantwortung.
Die „moralische Gauss-Verteilung“ von Menschen in Unternehmen unterscheidet sich nicht prinzipiell von derjenigen der Mitarbeiter anderer Sub-Systemen der Gesellschaft (z.B. der Politik, Zivilgesellschaft oder Religion). Und so treffen wir auch in Unternehmen am einen Ende der Normalverteilung auf ein paar wenige „Heilige“ und „Genies“, am anderen Ende auf ein paar wenige „Schurken“ und „Idioten“ und – dazwischen – auf jene „Durchschnittsmenschen“ die unsere Gesellschaft prägen. Es gibt deshalb eine Möglichkeit, aus einem – an der ethischen Qualität des Handelns gemessenen – „Durchschnitts-Unternehmen“ ein „Spitzen-Unternehmen“ zu machen: Eine möglichst große Anzahl der Führungsverantwortlichen muss aus dem „richtigen“ Ende der Gauss’schen Normalverteilung rekrutiert werden.
Das Anforderungsprofil an Menschen, denen die Führung von bedeutenden, weil Gemeinwohl-relevanten Institutionen anvertraut werden solle, ist aus allen klassischen Texten bekannt: Es sollen ganzheitliche Persönlichkeiten sein und nicht bloße Fachspezialisten. Menschen also, die sich in Bezug auf eine Reihe von Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsmerkmalen vom „Durchschnitts-Menschen“ abheben:
• durch Intelligenz, Vertrauenswürdigkeit, Menschlichkeit, Mut und Durchsetzungsvermögen;
• durch zur Weisheit entwickelte Vernunft, Gerechtigkeitsinn, Ehrlichkeit, Tapferkeit und Besonnenheit;
• durch Leidenschaft im Dienst der Sache, Verantwortungsempfinden für die Folgen des eigenen Tuns im Interesse des Sachanliegens;
• durch Augenmaß im Sinne der Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen und die notwendige Distanz zu den Dingen und Menschen zu wahren;
• durch Achtsamkeit für die Anliegen der von Entscheidungen Betroffenen, Fairness, soziale Kompetenz, Zivilcourage, Lernfähigkeit und die Fähigkeit, die eigene Meinung zu ändern, wenn tiefere Einblicke zu besseren Einsichten;
• und vielleicht auch durch Charisma im Sinne von Augustinus‘ Diktum, wonach in Dir brennen muss, was Du in anderen entzünden willst…
Es ist die Wertehaltung der Führungselite, die bestimmt, wie das Unternehmen und dessen Rolle für das gesellschaftliche Umfeld definiert wird. Verantwortungsträger legen mit ihren Wertprämissen und personalen Tugenden die Auswahl der als legitim erachteten Handlungsoptionen fest und setzen sie in der Praxis durch. Aus meiner über 30-jährigen praktischen Erfahrung waren die persönlichen Wertprämissen des Top-Managements, das soziale Bewusstsein und die Zivilcourage, auch bei „Gegenwind“ für die eigenen Überzeugungen einzustehen, die wichtigsten Determinanten für die ethische Qualität eines Unternehmens. Das macht -neben dem Fachwissen – die personalen Tugenden der Führungsverantwortlichen und der ganzen Belegschaft zu den wichtigsten Ressourcen und Kompetenzen eines Unternehmens.
Da es in Unternehmen keine ethischen Fragestellungen gibt, die nicht zugleich auch wirtschaftliche Handlungsbeschränkungen implizieren, muss das Top-Management das aus der Philosophie altbekannte „richtige Maß“ finden und durch Interaktion mit seinen Stakeholdern möglichst friktionsfrei durchsetzen. Wer will kann also wissen, aus welchem „Stoff“ Führungspersönlichkeiten sind, die ihre Unternehmen verantwortungsvoll und auf legitime Weise innerhalb ethisch reflektierter Leitplanken lenken.
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