Berlin > „Aktive Bürgerschaft“ heißt das Kompetenzzentrum für Bürgerengagement der Volksbanken und Raiffeisenbanken im genossenschaftlichen FinanzVerbund. Das Zentrum engagiert sich für Bürgerstiftungen und eine Gesellschaft aktiver Bürger und engagierter Unternehmen. Vor zehn Jahren wurde die Aktive Bürgerschaft gegründet und als Verein eingetragen. Aus Anlass des Jubiläums sprach CSR NEWS mit Dr. Stefan Nährlich, dem Geschäftsführer des Kompetenzzentrums:
>> CSR NEWS: Vor 10 Jahren entstand die „Aktive Bürgerschaft“ als Kompetenzzentrum für Bürgerengagement der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Was gab den Anlass zu dieser Gründung?
Dr. Stefan Nährlich: Einen konkreten Anlass gab es nicht, wohl aber die feste Überzeugung der Initiatoren, dass staatliches Handeln an seine Grenzen gestoßen ist. Nicht nur aufgrund knapper öffentlicher Kassen, sondern auch wegen der nachlassenden Gestaltungskraft der Politik. Man war sich einig, dass mehr Mitverantwortung der Bürgerinnen und Bürger für das Gemeinwesen in Zukunft unerlässlich sein wird. Hierzu soll der Verein Aktive Bürgerschaft seinen Beitrag leisten, aus einer dezidiert privaten Perspektive, ohne staatliche Gelder.
>> 10 Jahre bürgerschaftliches Engagement – sind Sie mit der Entwicklung dieses Sektors zufrieden? Wo fehlt es noch an Engagement oder Initiativen?
Zufrieden bin ich damit, dass bürgerschaftlichem Engagement heute eine größere und eine positive Aufmerksamkeit in Politik und Medien, Wissenschaft und Gesellschaft zuteil wird. Das war früher nicht so, man denke nur an die Diskussionen in den 80er Jahren über „Vereinsmeierei“ und „funktionalen Dilettantismus“ oder an die seinerzeit weit verbreitete Wahrnehmung von Stiftungen als Steuersparmodell für Reiche. Noch nicht zufrieden bin ich mit der ordnungspolitischen Rahmung des bürgerschaftlichen Engagements, hier fehlt mir insbesondere eine abgestufte Transparenzpflicht für gemeinnützige Organisationen. Häufig unzufrieden bin ich mit der Rolle der Politik. Mit Aktionsprogrammen, Initiativen und Kampagnen wird oft vor dem Hintergrund parteipolitischer Interessen oder aus Anlass aktuell in den Medien aufgegriffener Themen gehandelt. Das ist zwar verständlich, aber wenig hilfreich für eine positive Entwicklung der Bürgergesellschaft. Stattdessen wäre eine konsistente und konsequente Politik optimaler Rahmenbedingungen der richtige Weg.
>> Die Politik zieht sich in Zeiten schwacher öffentlicher Haushalte gerne aus der Verantwortung für gesellschaftliche Aufgaben zurück. Wird da das Ehrenamt nicht zum „billigen Jakob“?
Den Eindruck könnte man haben, vor allem wenn manche Ministerien gelegentlich durch ihr Handeln den Eindruck erwecken, Bürgerengagement sei die Fortsetzung staatlicher Politik nur mit geringeren finanziellen Mitteln. Das wäre aber ein tief greifendes Missverstehen dessen, was Bürgerengagement im Kern bedeutet. Es geht nicht darum, wer etwas billiger kann, sondern es muss darum gehen, wer bestimmte gesellschaftliche Probleme besser lösen kann. Wenn sich mit Bürgerengagement zum Beispiel eine bessere Integration von Zuwanderern erreichen lässt, ist Bürgerengagement der richtige Ansatz. Sonst aber nicht. Das olympische Prinzip „dabei sein ist alles“ darf hier nicht handlungsleitend sein. Es ist notwendig, sich künftig verstärkt um die Fragen der Wirkung, der Bewertbarkeit und der Messbarkeit von Bürgerengagement zu kümmern. Dabei sind natürlich komplexe Zusammenhänge zu berücksichtigen, die zudem in alltagstaugliche Instrumente umgesetzt werden müssen. Da gibt es für Forschung und Praxis noch viel zu tun.
>> Zur Zivilgesellschaft gehört das bürgerschaftliche Engagement ebenso wie die gesellschaftliche Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility). Wo sehen Sie Überschneidungspunkte und Chancen für das Miteinander?
Da wächst aus meiner Sicht langsam zusammen, was auch zusammen gehört, bürgerschaftliches Engagement von Privatpersonen und von privaten Unternehmen. Beides ist nicht nur privates Engagement, beides geschieht auch auf freiwilliger Basis. Gleichzeitig ist beides aber auch selektiv und wählt nach eigenen Interessen und Vorlieben seine Handlungsfelder aus. Beide Seiten engagieren sich auch nicht aus Altruismus, wie zahlreiche Umfragen zeigen, sondern mit der Hoffnung auf eine Gegenleistung, seien es z.B. Absatzsteigerung und Imageverbesserung oder der Wunsch nach Selbstverwirklichung, sozialer Anerkennung oder dem Erwerb von Qualifikationen, die auch im Berufsleben nützlich sind. Dass diese Erkenntnis weitgehend neu ist, liegt vor allem daran, dass bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen in der deutschen Sozialstaats- und Sozialengagementtradition der alten Bundesrepublik kaum eine Rolle gespielt hat. Aus meiner Sicht kann das aber einer der spannendsten Zukunftsbereiche werden.
>> Welche Möglichkeiten haben Sie, die gesellschaftliche Verantwortung der Volksbanken und Raiffeisenbanken mitzugestalten?
Wir fühlen uns durchaus als Teil dieses Verbundes selbständiger und regional verankerten Banken mit ihrer langen Tradition der Hilfe zu Selbsthilfe. Mitgestalten können wir als Ideen- und Impulsgeber, um z.B. bestimmte Ansätze wie Bürgerstiftungen voranzubringen, oder als Fachberater bei der konkreten Umsetzung von sozialen Projekten der Banken. Neben der speziellen genossenschaftlichen Unternehmenskultur der Selbsthilfe prägt auch die genossenschaftliche Struktur der Selbstverwaltung und der Dezentralität unsere Arbeit. Da kann man nicht von oben etwas durchsetzen. Wirksam mitgestalten kann nur, wer mit seiner Arbeit und seinen Leistungen auch überzeugt. Das gelingt uns glaube ich nicht schlecht, immerhin haben die Volksbanken Raiffeisenbanken und wir in den letzten Jahren drei renommierte Auszeichnungen für gesellschaftliches Engagement gewonnen.
>> Wo werden Sie zukünftig Schwerpunkte setzen?
Das Bürgerstiftungsengagement bleibt ein zentraler Schwerpunkt für uns. Mit mehr als 196 Bürgerstiftungen in Deutschland und weiteren 200, die mittelfristig nach unserer Einschätzung noch dazukommen werden, entwickelt sich dieser Bereich zu einem wichtigen Faktor der Bürgergesellschaft. Hier wollen wir mit verschiedenen Instrumenten die Transparenz der Stiftungstätigkeit verbessern und die internen Governance-Strukturen optimieren. Zudem wollen wir verstärkt die gesellschaftliche Wirkung von Bürgerstiftungsarbeit thematisieren. Daneben ist Corporate Citizenship für uns der zweite Schwerpunkt, nicht nur in der Praxis der Zusammenarbeit mit den Volksbanken und Raiffeisenbanken, sondern auch in der gesellschaftspolitischen Reflexion des Themas. Ende des Jahres werden wir hierzu einen Sammelband vorlegen, um der Diskussion über das gesellschaftliche Engagement weitere Impulse zu geben.
Bild: Dr. Stefan Nährlich (Aktive Bürgerschaft)