Kiel > Unter den großen deutschen Wohlfahrtsverbänden löst der Trend mehr als nur Sogen aus: Immer mehr erwerbswirtschaftlich orientierte Unternehmen übernehmen Aufgaben der Wohlfahrtspflege – und machen damit Kasse. Alten- und Krankenpflege, die Unterbringung Obdachloser, Bau und Führung von Gefängnissen und die Jugendhilfe sind zu Tätigkeitsfeldern von Unternehmen geworden. Aktuelles Beispiel: Die Ende April in Kiel durchgeführte Fachveranstaltung des Bundesverbandes privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe (VPK).
Durch Wettbewerbsverzerrungen und einseitige Bevorzugung von gemeinnützigen Trägern werde in der Jugendhilfe viel Geld verschwendet, teilten die Veranstalter mit. Und sie richteten einen dringenden Appell an den Gesetzgeber, auf diesem Feld endlich für fairen Wettbewerb zu sorgen. Der VPK vertritt nach eigenen Angaben ca. 400 privatwirtschaftliche Anbieter der Kinder- und Jugendhilfe. Nur elf Prozent aller Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland seien bisher in privater Hand, hieß es auf der Tagung.
Seitens der Wohlfahrtsverbände wird ins Feld geführt, dass die Privatisierung der Wohlfahrtspflege einen Qualitätsverlust bedeute. Denn hier gehe es zuerst um den Menschen, um Werte und um mehr als den wirtschaftlichen Erfolg. Kritiker halten dagegen, die Wohlfahrtsverbände seien längst selbst zu Konzernen geworden, die ihre auskömmlichen Einnahmen vorwiegend aus den öffentlichen Haushalten erhielten.
Sicher ist: Deutschland geht mit seiner verbandlich orientierten Wohlfahrtspflege in Europa einen Sonderweg und hat damit für Menschen in Lebens- und Existenzkrisen viel erreicht. Genauso sicher ist: Angesichts gesellschaftlicher Umbruchprozesse ist die Sonderstellung der Wohlfahrtsverbände in dieser Form kein Zukunftsmodell. Das wirft neue Fragen auf: Danach, wie die in der Wohlfahrtspflege engagierten Unternehmen ihrer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und zugleich wirtschaftlich erfolgreich sein können. Und danach, wie das Miteinander von staatlicher Existenzsicherung, Bürgergesellschaft und Wirtschaft in der Zukunft aussehen soll.