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Dortmund statt Doha

Doha (Foto: Lucca Belliboni auf Unsplash)

Weshalb der DFB zu hasenfüßig ist und eine alternative Fußball-WM organisieren sollte

Von Thomas Beschorner (Universität St. Gallen) und Markus Scholz (FHWien & INSEAD)

Es war eine gutgemeinte Geste der deutschen Fußballnationalspieler als sie vor dem Beginn des ersten Qualifikationsspiels für die Weltmeisterschaft im Katar (2022) mit der Aufschrift „Human Rights“ auf ihren Trikots für die Presse posierten. Sie wollten damit auf Menschenrechtsverletzungen im Gastgeberland der nächsten WM aufmerksam machen und daran Kritik üben.

Am Freitag vor einer Woche gab der Deutsche Fußball Bund nun eine Erklärung heraus, in der DFB-Präsident Fritz Keller formuliert: „Menschenrechte sind universell gültig und nicht verhandelbar. Überall auf der Welt. Dafür stehen wir ein.“ Von einem Boykott will man hingegen absehen und hält „einen Verzicht auf die Teilnahme an dem Turnier im Falle einer Qualifikation für nicht zielführend“.

Der Hintergrund der anhaltenden Diskussionen zur WM 2022 im Katar war ein Beitrag im The Guardian, in dem berichtet wird, das in den vergangen 10 Jahren etwa 6500 Gastarbeiter insbesondere aus Indien, Pakistan und Nepal ums Leben gekommen sein sollen, Arbeiter, die u.a. beim Bau neuer Stadien für das geplante Fußballfest tätig waren. Auch wenn diese Zahl mit Vorsicht zu genießen ist, weil weder die genauen Todesursachen der Arbeiter bekannt sind noch eine direkte Zuordnung zur Konstruktion der Infrastruktur für die Fußball-WM vom Katar transparent gemacht wird, so ändern dies nichts daran, dass wir es seit Jahrzehnten mit massiven Menschenrechtsverletzungen im Katar zu tun haben, die wissenschaftlich gut dokumentiert sind.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Veranstaltung von sportlichen Großveranstaltungen in bestimmten Ländern in der Kritik steht. Die Geschichte dazu wiederholt sich zwar nicht, aber sie reimt sich. Seien es die olympischen Spiele in China 2008, die Fußball-WM 2018 in Russland oder eben die nächste FIFA-WM im Katar, die Rhetorik der Sportfunktionäre lautet entweder: „wir halten uns aus politischen Fragen raus“, das ist nicht die Sache des Sports. Oder aber es heißt, ein Boykott oder andere Sanktionen bringen nichts. Im Gegenteil könne doch der Sport einen positiven Beitrag zur Demokratisierung und Inklusion von Minderheiten leisten. Beim DFB ist man bezogen auf die anstehende WM der Meinung, dass „der Sport auf und abseits des Platzes Brücken bauen kann.“

Leider stimmen beide Argumente nicht.

Der Profifußball belügt sich, erstens, selbst, wenn er postuliert, ein Spiel dauere nur 90 Minuten und fände lediglich auf dem grünen Rasen statt. Eine Fußball-WM ist ein mediales Megaereignis, die Teilnahme an einem Turnier wie im Katar ist auch ein politisches Statement. Und aus ethischer Sicht kann eine Turnierteilnahme auch als „stille Komplizenschaft“ bewertet werden, durch die man sich mitschuldig macht, u.a. am Tod von Gastarbeitern, die die Stadien konstruiert haben. An der Wahrheit, wie sie das Bündnis ProFans formuliert hat, wird ein derartiges Wegducken jedoch nichts ändern: Wir werden „ein rauschendes Fußballfest auf den Gräbern von Tausenden Arbeitsmigranten“ erleben. Und in der Tat: das „wäre das Ende von Ethik und Würde“ (ProFans).

Zweitens scheint uns die schöne Idee, Brücken abseits des Platzes bauen zu wollen entweder eine rhetorische Finte oder Wunschdenken, wissenschaftlich abgesichert sie jedoch nicht (> Link). Wir kennen keine Beispiele, bei denen sportliche Großanlässe die Entwicklung demokratischer Strukturen in totalitären Regimen signifikant beeinflusst haben.

Fußballverbände, teilweise auch Fußballvereine, wenden sich seit einigen Jahren in zunehmender Weise ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und lancieren zunehmend Aktivitäten in sehr unterschiedlichen Bereichen. Dabei soll es Verlautbarungen nach nicht um kleine Korrekturen im „Fußball-Business“, sondern im Kern um ein Umdenken gehen, bei dem gesellschaftliche – nicht ökonomische – Zwecke des Fußballs wieder mehr in den Mittelpunkt rücken. Auch ökologische Fragen spielen dabei eine Rolle. UEFA President Aleksander Čeferin brachte dies im vergangenen Jahr auf der Jahrestagung des europäischen Verbandes auf die Formel „Purpose over profit. That is the key“. Auch für nationale Verbände werden moralische Fragen bedeutsamer. So bekennt sich der Deutsche Fußball Bund (DFB) beispielsweise „zur Achtung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für die Achtung dieser Rechte ein – ganz besonders in den Bereichen Anti-Diskriminierung, Vielfalt, Inklusion, Sicherheit und Kinderrechte, speziell im Umfeld von Länderspielen und internationalen Turnieren.“

Will man mit solchen Positionen durch eine Teilnahme an der WM im Katar nicht einem völligen Zynismus verfallen, sondern stattdessen, erstens, ein Signal an die Weltgemeinschaft senden und, zweitens, den notwendigen gesellschaftlichen Rückhalt für ein anderes Handeln realisieren, so erscheint uns eine Überlegung noch zu wenig diskutiert: Dortmund statt Doha – die Organisation einer alternativen Fußball-Weltmeisterschaft; und damit ein Teilnahmeboykott bei der WM im Katar.

Das ist zu radikal gedacht, zu wenig realpolitisch? Nein, es ist konsequent gedacht. Und realpolitisch ist was, real politisch stattfinden kann. Möglichkeiten gäbe es:

Die Deutschen können keine Flughäfen bauen und mögen sich bei der Verabreichung von Covid19-Impfstoffen schwertun, aber was sie sehr gut können, sind sportliche Großveranstaltung organisieren. Die Infrastruktur (Stadien und Mobilitätsnetz) im Land des viermaligen Fußball-Weltmeisters ist weltweit beispiellos und wird sich durch die schon begonnenen Vorbereitungen auf die EM 2024 nochmals verbessern. Auch eine Partnerschaft mit Österreich und der Schweiz wären sehr gut denkbar und würde bei den südlichen Nachbarn sicherlich willkommen geheißen.

Es bedarf dazu natürlich noch wenigstens zweier wichtiger Zutaten: Erstens, eine bestimmte Anzahl von großen Fußballnationen, die ihre Zusage für eine Teilnahme an einer alternativen WM geben: Frankreich, Italien, England, Brasilien, Argentinien zum Beispiel. Dann würden andere Verbände folgen. Was man für ein solches Vorhaben im Übrigen nicht braucht ist die FIFA, deren Ende bei einer alternativen WM ohnehin eingeleitet sein dürfte. Zweitens, will man einen solchen Vorschlag ernsthaft verfolgen und einer genaueren Prüfung unterziehen, so sollte man nicht so naiv sein, auf Initiativen aus Fußballverbänden, z.B. dem DFB, zu hoffen. Dieser Fisch ist zu groß – und ohnehin hält man sich aus politischen Fragen ja (scheinbar) gerne raus. Deshalb: Ein entsprechender Prüfauftrag müsste aus der Politik kommen, dem BMI als verantwortliches Ministerium, aber eigentlich direkt aus dem Bundeskanzleramt.

Nein, die toten Arbeitsmigranten, die im Katar die Stadien erbaut haben, bringt ein solches Projekt nicht wieder zurück, aber es würde eine sehr wichtige, nicht nur symbolische Botschaft an die Welt richten (weit über die nächste Fußball-WM hinausreichend und nicht nur den Fußball betreffend): Ethik und Würde sind dem Sport wichtig; sie sind vor allem Deutschland wichtig. Menschenrechtsverletzungen werden unter keinen Umständen toleriert. Das kann dann gerne auch seinen medialen Ausdruck finden, wenn die Mannschaften des Eröffnungsspiels bei der (CO2-neutralen) Fußball-Weltmeisterschaft 2022 „Human Rights“ auf ihren Trikots tragen.

Eine Kurzfassung dieses Beitrages ist am 7.5.2021 in der Neuen Züricher Zeitung (NZZ, S. 18) erschienen.


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